Außergewöhnliche Notsituationen
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 15.11.2023 geurteilt, dass die Bundesregierung nicht nachträglich Mittel in den „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umwidmen durfte, die zur Bewältigung der Corona-Pandemie vorgesehen, aber nicht verwendet worden waren. Sämtliche Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag hatten gegen dieses Vorgehen geklagt. Einer Fraktion also, die in 16-jähriger Regierungsverantwortung Klimaschutz sabotiert und nichts für den Aufbau einer soliden Finanzierung in diesem Bereich getan hat. Wir werden nicht vergessen, dass es just das BVerfG war, das 2021 der letzten Merkel-Regierung ihr lasches „Klimaschutzgesetz“ um die Ohren gehauen hat.
Gerügt hat das BVerfG am 15.11. die Vorgehensweise der Bundesregierung, insbesondere den rückwirkenden Beschluss eines Nachtragshaushalts 2021 im Jahr 2022. Im Hinblick auf dieses Verfahren ist das Urteil in der Tat auch nachzuvollziehen. In einer ersten Reaktion machte CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt jedoch klar, dass es zumindest ihm nicht um das Verfahren ging, sondern um den politischen Inhalt. Die Bundesregierung habe „Milliarden, die sie nicht hätten anrühren dürfen, genommen, um daraus ihre links-grünen Luftschlösser zu finanzieren“. Diese „Luftschlösser“, die aus dem nun um 60 Mrd. Euro gekürzten Klima- und Transformationsfonds bezahlt werden sollten, sind die inzwischen steuerfinanzierte EEG-Förderung, die Elektromobilität und der Ausbau der Eisenbahn-Infrastruktur, die Halbleiter-Produktion, die Wasserstoffwirtschaft sowie die kürzlich beschlossene Strompreis-Entlastung für „besonders energieintensive Unternehmen“.[3] Einige dieser Punkte (besonders der letzte) sind in der Tat diskussionsbedürftig; aber was daran Luftschlösser sind, geschweige denn „links-grüne“, verschweigt der CSU-Politiker. Dobrindt macht mit seiner Wortwahl deutlich, dass er Klimapolitik grundsätzlich ablehnt.
Damit hat er das BVerfG nicht auf seiner Seite. In dem Entscheid vom 15.11. schreiben die Richter:innen: „Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“ Genau um diese Lösungen, die Milliarden zu kompensieren, muss es jetzt gehen. Das Beste wäre es, die berüchtigte, 2009 eingeführte „Schuldenbremse“ nach Art. 109 (3) des Grundgesetzes wieder aus dem Grundgesetz zu streichen. Sie ist extrem undemokratisch, indem sie aus den möglichen Finanz- und Wirtschaftspolitiken eine spezielle (und wahrlich nicht die beste!) festschreibt und der politischen Entscheidung entzieht: die staatliche Sparpolitik, die schon vor 90 Jahren zum Untergang der Weimarer Republik beitrug.
Momentan muss das BVerfG aber diese „Schuldenbremse“ zur Grundlage seiner Entscheidungen machen. Solange das so ist, bietet sich einerseits das oft erprobte Verfahren an, außerhalb des Bundeshaushalts sogenannte „Sondervermögen“ zu etablieren, die nicht der Schuldenbremse unterliegen. Der Klima- und Transformationsfonds ist bereits ein solches „Sondervermögen“. Die Bundesregierung muss nur einen Weg ersinnen, den Fonds mit den nun notwendigen zusätzlichen Kreditermächtigungen zu versehen.
Das Urteil des BVerfG betont im Hinblick auf den Art. 109 andererseits den „notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen“, der bei der Umwidmung der Corona-Gelder missachtet worden sei. Der Zusammenhang zwischen dem Klimafonds und der Corona-Pandemie erscheint dem Gericht nicht deutlich genug. Dass aber die Klimakrise selbst im Jahre 2023 eine veritable Notsituation darstellt, und dass alle Maßnahmen zur Beendigung der Verbrennung fossiler Rohstoffe in einem klaren Veranlassungszusammenhang mit dieser Notsituation stehen, dürfte auch den Richter:innen sonnenklar sein. Es geht auch um eine „intertemporale“ Vorsorgepflicht des Staates: Wenn wir heute nicht massiv in die Förderung Erneuerbarer Energien, den Aufbau von Produktionsstätten für Wind- und Solarenergieanlagen, den Ausbau von Netz- und Speicher-Infrastrukturen investieren, werden wir schon bald mit Klimafolgekosten konfrontiert sein, die jährlich ein Vielfaches der jetzt fraglichen 60 Mrd. € ausmachen, was jede Haushaltspolitik dann heillos überfordern dürfte. Ein temporäres Verlassen der „Schuldenbremse“ ist in dieser Notsituation grundgesetzlich voll gedeckt. Dafür braucht man keine umgebuchten Corona-Gelder.
Titelfoto: CC BY-SA 3.0 Hilarmont