Aufs Kleingedruckte achten! Klimaschutz in den Programmen der Parteien
Aufs Kleingedruckte achten!
(Fast) alle Parteien reden jetzt vom Klimaschutz. Aber sowohl die Zielvorgaben als auch die Wege zur Zielerreichung unterscheiden sich beträchtlich. Auch wenn keine der kandidierenden größeren Parteien ambitioniert genug auftritt, lohnt sich ein Vergleich. Hier kommt eine kleine Handreichung dafür.
Über 180 Tote durch das Jahrhundert-Hochwasser in Westdeutschland; die kanadische und US-amerikanische Atlantikküste in Flammen, bei Temperaturen teils über 50 °C; Hungersnot nach dreijähriger Dürre in Madagaskar – die Klimakatastrophe ist schon hier, und sie zeigt die Hilflosigkeit, mit der auch reiche Länder ihr ausgeliefert sind. Wir wollen nicht noch mehr davon! Bei der Bundestagswahl am 26. September ist keine Frage so vordringlich wie die, wer radikale Schritte gegen die weitere Steigerung des anthropogenen Treibhauseffekts unternimmt.
Der wichtigste Akteur dabei: Wir! Egal welche Mehrheiten, egal welche Koalition in Berlin regieren wird: Die nötigen Maßnahmen werden unterbleiben, wenn wir nicht vor und nach der Wahl mehr Druck auf sie ausüben als die mächtige Fossil-Lobby, die uns bereits Jahrzehnte der Untätigkeit beschert hat. Wir dürfen nicht lockerlassen, und dem dient u.a. die SFV-Wahlkampagne (siehe S.38 in diesem Heft).
Gleichwohl unterscheiden sich die Parteien. Und wer zur Wahlurne geht, wird ungern einer Partei die Stimme geben, deren klimapolitisches Programm schlechter ist als das der anderen. Wir können hier nur einen kurzen Blick auf die Parteiprogramme werfen, aber der wird schon so einige Hinweise zutage fördern.
Die entscheidende Frage lautet: Bis wann peilen die Parteien für unser Land 100% Erneuerbare Energien (bzw. Klimaneutralität, die auch nichtfossile Treibhausgas-Quellen berücksichtigt) an? Zur Erinnerung: Notwendig wäre, als äußerster Kompromiss, das Jahr 2030.
100% Erneuerbare bis ... ?
AFD gar nicht (denn sie leugnet sowohl die anthropogene Verursachung als auch die Schädlichkeit der Erderwärmung. Wir müssen uns im folgenden daher nicht weiter mit dieser Partei beschäftigen.)
FDP: 2050 („Klimaneutralität“)
CDU / CSU: 2045 („Klimaneutralität“)
SPD: 2045 („Klimaneutralität“)
GRÜNE: 2035 (100% EE), 2041 („Klimaneutralität“)
LINKE: 2035 (100% EE), 2040 („keine Treibhausgase mehr“)
Wie gesagt, es handelt sich nur um Wahlprogramme, und es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft, die Parteien und Regierungen zu einer ehrgeizigeren Klimapolitik zu drängen. Aber diese Daten zeigen schon, bei wem das schwerer und bei wem es leichter gehen dürfte.
Die nächste Frage, die sich aus den Zieljahren ergibt, lautet, mit welchen Mitteln die Parteien ihr Ziel denn erreichen wollen. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede.
Mit welchen Mitteln wollen die Parteien ihre Ziele erreichen?
Die FDP fordert, den bestehenden Emissionshandel auf alle Energie-Bereiche ausweiten und auch zu globalisieren. Dagegen spricht nicht nur, dass die Spekulation mit „Verschmutzungsrechten“ an der Börse an sich eine unangenehme Idee ist; sondern auch, dass dieses Prinzip in der Vergangenheit hauptsächlich dazu gedient hat, unvorhergesehene Emissionseinsparungen wieder zunichte zu machen. Es war ein Brems-, kein Beschleunigungsinstrument, und die FDP ist nicht bekannt dafür, dass sie sich bemüht hätte, es in Richtung Klimaschutz auszugestalten. Die industrielle Lobby-Organisation INSM ist hier auf der gleichen Linie wie die FDP; daran kann man schon gut ablesen, wem dieses Instrument nützen würde. Es ist nicht das Klima.
Auch die CDU/CSU will den Emissionshandel ausweiten, und sie fordert, beim Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft auf Verbote zu verzichten und stattdessen Marktmechanismen walten zu lassen. Das nennt man dann wohl „Business as usual“. Im Wahlprogramm der Union steht auch, man wolle den „Aufwuchspfad der CO2-Bepreisung straffen“. Wenn ich diesen Begriff richtig verstehe, ist dies genau das, was die Grünen vor einiger Zeit angemahnt haben - das führte zu einem wütenden Aufjaulen bei der CDU-Prominenz, weil dies in einem Anstieg der Benzinpreise resultiere.
Im Übrigen muss man bei der Union auch das Programm mit der Regierungspolitik ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet vergleichen, der zugibt, dass er die Bundesrepublik so regieren möchte wie derzeit das Bundesland NRW: Verbissenes Festhalten am späten Braunkohleausstieg 2038; äußerst restriktive Abstandsregeln für Windkraftanlagen; Einschätzung eines Tempolimits als „unlogisch“. Es ist fraglos, dass die Union alles tun wird, um ihr eigenes Ausstiegsziel 2045 nicht einzuhalten.
Mehr Info zum Thema Emissionshandel: hier.
Die SPD setzt in ihrem Wahlprogramm auf die CO2-Bepreisung und auf einen „entschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien“. Die CO2-Bepreisung findet in Deutschland, je nach Sektor, nach dem europäischen oder dem nationalen Emissionshandel statt. Letzterer arbeitet in den ersten Jahren mit (viel zu niedrig veranschlagten) Festpreisen und ab 2026 mit Preiskorridoren, deren Obergrenzen wiederum verhindern werden, dass die tatsächlichen Kosten der Verbrennung fossiler Brennstoffe angemessen eingepreist werden. Die SPD hat dieses unzureichende Instrument zusammen mit der Union implementiert und schwört nun darauf.
Wenn es um konkrete Maßnahmen geht, bewirbt die SPD jenen Gemischtwarenladen, auf den sie sich in der Großen Koalition mit der Union 2019 geeinigt hat, im Zuge des damaligen, unzureichenden „Klimapakets“. Mit den Worten des „Klimaschutzprogramms 2030“ der SPD: „Dazu gehört die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets, die Entlastung von Pendlerinnen und Pendlern mit langen Arbeitswegen über die Pendlerpauschale bzw. eine Mobilitätsprämie, die Kaufprämie für Elektroautos, die Erhöhung des Wohngeldes und die Senkung der EEG-Umlage.“
Wie wir an anderer Stelle gezeigt haben, verdient dieses Potpourri seinen Titel „Soziale Klimapolitik“ nur sehr bedingt. Manche Maßnahmen sind nicht sozial, andere schützen das Klima nicht. Insgesamt fehlt eine leitende Idee für den Klimaschutz.
Die Grünen bieten einen „klugen Mix aus CO2-Preisen, Anreizen und Förderung sowie Ordnungsrecht und Abbau von umweltschädlichen Subventionen“ an. Wo die SPD auf eine erhöhte Pendlerpauschale setzt, wollen die Grünen mit einem „Klimabonus-Fonds“ etwas zielgerichteter zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder emissionsfreie Fahrzeuge anreizen. Eine Besonderheit des Programms ist die Rückerstattung der CO2-Bepreisung als „Energiegeld“ an die Bevölkerung pro Kopf. Aber selbst hier wird diese klare und zielführende Idee dadurch verwässert, dass zuvor Gelder abgezweigt werden, um die EEG-Umlage zu senken. Die Absenkung bzw. Abschaffung der EEG-Umlage steht übrigens in allen fünf hier betrachteten Programmen. Warum man dafür ausgerechnet die CO2-Umlage beschädigen und damit unpopulär machen muss, ist aber wenig einleuchtend.
So verwandelt sich auch der „kluge Mix“ im Programm der Grünen tendenziell in einen Gemischtwarenladen. Immerhin hat dieser etliche gute Waren im Angebot; so sind die Grünen die einzigen, die die Erdgaspipeline „Nord Stream 2“ explizit ablehnen. Insgesamt erweckt das Programm (anders als das der SPD, geschweige denn das der Union) den Eindruck, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen das angegebene Ziel auch erreichen können. Aber dieses Ziel ist eben immer noch nicht ambitioniert genug.
Die Linke setzt bei der Energiewende vor allem auf das Ordnungsrecht. Die Förderung der Erneuerbaren Energien soll über den Bundeshaushalt abgewickelt werden, die Energienetze in öffentliche Hand überführt werden, und es werden „massive öffentliche Investitionen“ gefordert. Im Programm der Linken wird die im Kern richtige Einsicht formuliert, der Klimawandel werde „nicht von den Menschen gemacht, sondern von den Reichen“. Die Konsequenzen aus dieser Einsicht formuliert die Partei aber überwiegend nicht in den klimabezogenen Kapiteln des Programmes, sondern im Zuge der steuerpolitischen Umverteilungsideen. Denn Klimapolitik soll im Großen und Ganzen aus Steuermitteln bezahlt werden.
Als wichtige Ausnahme hiervon setzt die Linke überraschenderweise ebenfalls darauf, den EU-Emissionshandel zu reformieren – als ob dieses neoliberale Instrument seine Untauglichkeit nicht hinreichend unter Beweis gestellt hätte. In diesem Punkt wäre eine Koalition aus Linken und FDP also gar nicht ausgeschlossen; insgesamt steht das Linken-Programm aber dem der Grünen näher, das es mit stärkerer sozialer Sensibilität anreichern könnte.
Während z.B. alle Parteien außer der FDP sich zur Stärkung von Mieterstromkonzepten bekennen, fordert alleine die Linke ein Verbot von „Energiesperren“ für Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten sowie ein „preisgünstiges Grundkontingent für Strom, Wasser und Heizstoffe“ – wobei sich freilich sogleich die Frage stellt, wie man dann von einer Versorgung mit klimaschädlichen Heizstoffen wegkommen möchte.
Weitere klimapolitische Bereiche?
Sehr viele Politikbereiche sind klimarelevant, das wissen auch die hier untersuchten Parteiprogramme. Die Buchstabenkombination „klima“ erscheint in den Programmen so oft:
FDP: 58 mal
CDU / CSU: 91 mal
SPD: 67 mal
LINKE: 157 mal
GRÜNE: 274 mal
Stünde hier mehr Platz zur Verfügung, könnten wir noch viele Politikbereiche vergleichend untersuchen, z.B. die Landwirtschaftspolitik. Hier können wir aber nur noch ein Themenfeld herausgreifen, das ideologisch besonders vermint ist. Es geht um die Frage:
Wie halten die Parteien es mit dem Auto?
Die beiden Prüfkriterien sind hier, welche Rolle die Elektrifizierung des Autoverkehrs spielen soll, und welcher Stellenwert einer Verringerung des Autoverkehrs beigemessen wird.
Die FDP ist die einzige Partei, die primär auf eine Zukunft der Verbrennungsmotoren setzt. Diese sollen mit synthetischen Kraftstoffen weitergenutzt werden und so zum Klimaschutz beitragen. Die damit verbundenen Effizienzprobleme werden nicht erwähnt. Hinsichtlich der Luftqualität in den Städten fordert die Partei „kluge Lösungen statt Fahrverbote“. Worin die klugen Lösungen bestehen sollen, bleibt der Phantasie der Leserin überlassen. Eine Kaufprämie für E-Autos lehnt die FDP ab, von einer Verringerung des Fahrzeugbestands ist keine Rede. Die Rolle des ÖPNV will die Partei „ständig im Blick“ haben, nennt als konkretes Ziel in diesem Zusammenhang die Abschaffung der Rückkehrpflicht für Mietwagen.
Die Union sieht, wie die FDP, in der Zukunft einen Mix aus Verbrennern und E-Autos. Man will „technologieoffen“ bleiben. Ob der parallele Aufbau einer Batterie- und einer Wasserstoff-Ladeinfrastruktur ökonomisch sinnvoll ist, wird nicht problematisiert. Das Programm bekennt sich abstrakt zum Ausbau des ÖPNV, fügt aber hinzu: „Wir werden aber auch weiterhin Ortsumgehungen bauen. Und wo es häufig Stau gibt, werden wir unsere Bundesstraßen und Autobahnen erweitern. Weniger Staus bedeuten mehr Klimaschutz.“ Von einer Verkleinerung der Autoflotten ist keine Rede. In dem von CDU/CSU ausgerufenen „Modernisierungsjahrzehnt“ soll es demnach wohl allenfalls kosmetische Änderungen geben.
Die SPD will den Kauf von Elektroautos mit einem „Umweltbonus“ fördern. 2030 sollen mindestens 15 Millionen PKW in Deutschland voll elektrisch fahren. So soll die Automobilbranche „Leitindustrie“ in Deutschland bleiben. Die Partei will außerdem – im Gegensatz zu Union und FDP – ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen einführen. In den Städten will man „mehr Fläche für öffentlichen Verkehr, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen“ schaffen und den öffentlichen Verkehrssektor bis 2030 durch „Austauschprogramme“ zur Klimaneutralität bringen.
Die Grünen teilen das Ziel der SPD, bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf die Straßen zu bringen. Ab 2030 soll ein Neuzulassungsverbot für Verbrenner gelten. Die Partei problematisiert das steigende Gewicht der Autos und das Dienstwagenprivileg. Sie fordert einen „Ausbau von Geh-, Rad- und Schienenwegen“ als verkehrspolitischen „Fokus“ und ist auch sonst im verkehrspolitischen Bereich konkreter als ihre Mitbewerber. Zumindest in den Städten streben die Grünen eine „Verringerung des Pkw-Bestands“ an. Dort soll als Regel-Geschwindigkeit Tempo 30 eingeführt werden, auf Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h. Das liest sich alles sehr freundlich. Allerdings werden 2029 zugelassene Benzinautos zehn Jahre später noch immer auf den Straßen sein und das Ziel der Emissionsfreiheit gefährden.
Die Linke setzt sich für „weitgehend autofreie Innenstädte“ ein und verkündet das Ziel einer Gesellschaft mit „weniger Autos“, die einen „geringeren ökologischen Fußabdruck“ aufweisen. Eine Kaufprämie für Elektroautos lehnt die Partei ab. Stattdessen fordert sie einen „solidarisch finanzierten Nulltarif im ÖPNV für alle“. Die Linke fordert entschleunigende Tempolimits auf allen Straßen, ihre Zielmarke für Autobahnen liegt bei 120 km/h. Das Zulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2030 teilt die Partei mit den Grünen.
Fazit
Das Verhältnis zum Auto ist ein guter Indikator für die Haltung zum Klimaschutz insgesamt. Hier stehen mit den Grünen und der Linken zwei Parteien zur Wahl, die programmatisch in die richtige Richtung gehen, wenn auch nicht entschlossen genug. Mit CDU/CSU und der FDP stehen dem zwei Parteien gegenüber, die davon ausgehen, dass wir noch sehr viel Zeit hätten, um unsere klimaschädlichen Systeme behutsam umzubauen. Die SPD steht programmatisch zwischen diesen beiden Lagern.
Auf jeden Fall muss die nächste Regierung von der Zivilgesellschaft gedrängt werden, klimapolitisch genug zu tun. Bei welcher Regierungskoalition (und welcher parlamentarischen Opposition) die Chancen dafür am aussichtsreichsten sind – das ist nun die spannende Frage, vor der wir Wahlberechtigte bis zum 26. September stehen.
P.S.: Eine Darstellung der klimapolitischen Programmatik einiger kleinerer kandidierender Parteien findet sich hier.
Quellen
Parteiprogramme Online als PDF
CDU/CSU
• www.csu.de/common/download/Regierungsprogramm.pdf
Linke
• www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/BTWP21_Entwurf_Vorsitzende.pdf
FDP
• www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf
Grüne
SPD
• https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm.pdf
AFD
• cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2021/05/2021-05-20-_-AfD-Bundestagswahlprogramm-2021.pdf