Die Energiepolitiker der Grünen wissen seit langem, dass nur Solar- und Binnenlandwindenergie das Potential haben, uns rasch aus der Abhängigkeit von Kohle und Atom zu befreien. Sie wünschen diese Befreiung aus ganzem Herzen und bekämpfen mit bitteren Worten den politischen Gegner, der den Ausbau von Solar- und Windenergie brutal bremst. Doch wie es denn nun wirklich zum raschen Umstieg auf die Erneuerbaren Energien kommen soll, dazu fehlt den Grünen derzeit ein überzeugendes Konzept. Das war früher anders.

Hans Josef Fell, heute der energiepolitische Sprecher der Partei, damals (1993) noch Stadtrat in Hammelburg, war der erste Parteipolitiker, der sein politisches Schicksal mit der Förderung der Sonnenenergie verknüpfte. Ganz ohne Unterstützung durch Studien angesehener wissenschaftlicher Institute entschied er sich damals dafür, die kostendeckende Einspeisevergütung für Solarstrom in seiner Stadt durchzusetzen. Es gab damals - genau so wenig wie heute - keine einzige wirtschaftswissenschaftliche Studie, die das Markteinführungsprogramm „kostendeckende Einspeisevergütung“ des Solarenergie-Fördervereins untersucht und auch nur im mindesten gestützt hätte. Stattdessen gab es hunderte von Aussagen prominenter Fachleute, dass der Einsatz von Solarenergie in der Energieversorgung geradezu absurd sei. Unvergessen ist die gemeinsame Anzeige der großen Energieversorger mit dem Wortlaut „Sonne, Wasser oder Wind werden auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfs decken können.“

Doch Hans Josef Fell ließ sich nicht irremachen. Die Anfangserfolge der Photovoltaik sind weitgehend seinem Verdienst zuzuschreiben.

Nun ein Zeitsprung:

Im Jahr 2010 veröffentlichte das Institut Roland Berger im Auftrag des Bundesverbandes Solarwirtschaft gemeinsam mit PROGNOS einen „Wegweiser Solarwirtschaft - PV-Roadmap 2020“. Auf diese Studie berufen sich die Grünen heutzutage. Unter „Die neun Kernziele der deutschen Photovoltaik-Industrie“ findet sich dort folgendes Kernziel:

„3. Umlage für Solarstrom auf rund 2 Cent/kWh begrenzen - im Jahr 2010 werden in Deutschland rund 8 GW Photovoltaik installiert; im Jahr 2011 wird die Installation von rund 6 GW erwartet. Für das Erreichen des Ausbauszenarios des Nationalen Aktionsplans für Erneuerbare Energien (NAP) der Bundesregierung von 52 GW Photovoltaik bis 2020 ist ein Einschwingen in den Folgejahren auf einen jährlichen Zubau von durchschnittlich 3 GW erforderlich. (...)“

Dass beim Lesen dieser Zeilen nicht sämtliche Alarmglocken sowohl bei dem Auftraggeber, dem BSW Solar und dann bei den Grünen geschrillt haben, ist schier unbegreiflich. Wie kritiklos und autoritätsgläubig müssen Vertreter der Photovoltaikbranche sein, die sich dieses „Kernziel“ als ein erstrebenswertes Ziel haben einreden lassen! Wie weit müssen sie sich von der Praxis der von ihnen vertretenen Installationsbetriebe entfernt haben, denen sie nun zumuten, die verkauften Stückzahlen mehr als zu halbieren und dabei weitere Preissenkungen zu verwirklichen. (Halbierung der Stückzahlen bei gleichzeitiger drastischer Preissenkung, bedeutet Umsatzverluste von mehr als 50 Prozent). Muss wirklich erst ein Doktor der Mathematik kommen, um zu zeigen, mit welcher Fahrlässigkeit selbst Autoritäten der Ökonomie mathematische Formeln anwenden, die überhaupt keinen Bezug zu dem zu lösenden realen Problem haben (siehe Die Dogmen der Ökonomie und die Realität).

Es ist eine wirtschaftliche Binsenweisheit - dazu bedarf es keiner Studie - dass die Erneuerbaren Energien nur dann schnell wachsen, wenn man ihnen Kapital zuführt. Und man kann es sich an den zehn Fingern abzählen, dass in neue Siliziumfabriken und Solarmodulfabriken nur dann investiert wird, wenn die alten voll ausgelastet sind und Gewinne abwerfen, die man für den Neubau verwenden kann, d. h. wenn es eine höhere, eine gewinnbringende Einspeisevergütung und einen PV-Boom gibt.

Diskutiert man mit Energiepolitikern der Grünen so müssen sie einräumen, dass eine Reduzierung der PV-Ausbauraten durch Kapitalentzug nur deshalb erfolgen soll, um die Kosten der Stromkunden zu begrenzen. Das steht auch im zweiten Teil des Road-Map-Kernziels Nr. 3. Dort heißt es: „Für das Erreichen eines Dynamischen Ausbauszenarios von 70 GW bis 2020 ist ein Zubau von jährlich rund 5 GW erforderlich. In beiden Szenarien kann auf Basis des derzeitigen EEG-Degressionskorridors eine Begrenzung der PV-Umlage auf rund 2 Cent pro kWh ermöglicht werden. Dabei liegt der Anteil des Solarstroms an der EEG-Umlage jeweils bei rund 50%. Dies bedeutet eine Stromkostenbelastung pro Person in einem Durchschnittshaushalt von unter 2 Euro im Monat.“ (Hervorhebung durch SFV.)

Eigentlich wissen die Grünen, dass die EEG-Umlage die Stromkosten nicht oder nur marginal erhöht, weil Solarstrom um die Mittagszeit teure Spitzenlastkraftwerke verdrängt und damit den Börsenpreis senkt (wegen des Merit-Order-Effekts (Solarbrief 2/11, S.37). Die Grünen wissen außerdem, dass der Klimawandel unvergleichlich mehr kosten würde.

Fragt man weiter nach, warum sie sich denn nicht energischer gegen die gesetzlich vorgeschriebene weitere Absenkung der Solarstrom-Einspeisevergütung wehren, dann zeigt sich ihre eigentliche Sorge: Sie fürchten bei weiteren Erfolgen der Photovoltaik die Gegenwehr der Stromwirtschaft.

Diese Gegenwehr könnte im Schüren einer Neidkampagne gegen jeden bestehen, der mit Solar- oder Windenergie Geld verdient. Reiche Leute könnten sich mit Solaranlagen auf ihrem Dach noch mehr Geld verdienen - eine goldene Nase machen, während die Hartz IV Empfänger dafür höhere Strompreise bezahlen müssen.

Die Vorstellung, dass die Bildzeitung ein solches Szenarium aufbauen könnte, ist natürlich nicht abwegig. Aber darf sie als Entschuldigung dafür dienen, dass die Grünen lieber die Solarenergie zusammenstutzen lassen, als dass sie die dringend notwendige Richtigstellung des „Goldene Nasen-Arguments“ in Angriff nehmen?

Richtigstellungen sind intellektuell kein Kunststück, doch darf eine Partei sie nicht einem Einzelnen überlassen. Sie erfordern Mut und Geschlossenheit aller Mitglieder.

Die Bevölkerung sehnt sich nach einer Regierung, die in den Wirrnissen der gegenwärtigen Krisen überzeugend und energisch einen richtigen Kurs steuert. Wenn sich aber Politiker nicht mehr trauen, den möglichen Fehlinformationen der Bildzeitung entgegenzutreten, dann geben sie schließlich ihren Führungsanspruch an die Bildzeitung ab.

Erwähnen möchten wir zum Abschluss in großer Dankbarkeit Herrn Dr. Dieter Schulte-Janson von der Strompreisaufsicht in Düsseldorf, der Anfang der neunziger Jahre in einer ähnlich schwierigen Situation - als es darum ging, ob die kostendeckende Vergütung für Solarstrom überhaupt auf die Stromkunden umgelegt werden durfte - seine Karriere aufs Spiel gesetzt hat, dies gegen seinen Minister und die Meinung des gesamten NRW-Wirtschaftsministeriums durchzusetzen.

Von ihm stammt übrigens der Spruch: „Wenn der Himmel einstürzt, werden auch die Angsthasen erschlagen“, der angesichts der heraufziehenden Klimakatastrophe einen immer aktuelleren Bezug bekommt.