Zum "Who is who" der Bundesregierung

 

Die Bundesregierung hat im Juli 2015 eine Broschüre herausgegeben, mit der die deutsche Energiewende weltweit vermittelt werden soll: Das „Who is who der Energiewende in Deutschland“. Herausgeber ist das Auswärtige Amt in Berlin, das hierbei eng mit dem Bundeswirtschaftsministerium zusammengearbeitet hat. Das Vorwort stammt von den beiden Ministern Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Sigmar Gabriel (SPD).

Die 90seitige Broschüre beansprucht vor allem, „die wichtigsten Akteure der Energiewende in Deutschland, ihre Aufgaben, Funktionen und Arbeitsfelder“ (S. 5) einem internationalen Publikum vorzustellen. Wer sind diese „wichtigsten Akteure“? Es sind zuerst staatliche Stellen – Bundesministerien, Bundesbehörden und Vereinigungen kommunaler Körperschaften (die Landesregierungen haben ein eigenes Kapitel am Ende der Broschüre). Dann kommt die Wirtschaft, unterteilt in die Übertragungsnetzbetreiber, Wirtschaftsverbände, Energieagenturen und (für die finanziellen Aspekte) die EEX-Börse sowie die KfW-Bank. Als dritte Akteursgruppe wird die „Gesellschaft“ genannt, unterteilt in Forschungseinrichtungen, NGOs und politische Stiftungen. Insgesamt listet die Broschüre 158 institutionelle Akteure auf, die ihr als „die wichtigsten“ gelten.

 

Charakteristische Auslassungen

 

Wie ist diese Auswahl einzuschätzen? Es fallen charakteristische Auslassungen auf. Dass keine einzelnen Firmen genannt werden, ist sicher eine richtige Entscheidung, obwohl es gewiss welche gibt, die sich um die Energiewende verdient gemacht haben (und andere – wie z.B. RWE – die solches fälschlich für sich reklamieren).

Dass das ganze Segment der wissenschaftlichen Hochschulen im „Who is who der Energiewende“ fehlt, verwundert schon eher. Geht man in der Bundesregierung davon aus, dass die Energiewende nichts mit firmenunabhängiger Forschung und Lehre und Bildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu tun hat?

Bei manchen anderen Auslassungen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie einer politischen Absicht folgen. Das betrifft vor allem die Abteilung „Zivilgesellschaftliche Akteure (NGOs, Thinktanks)“. Folgende neun Instanzen werden dort vorgestellt:

  • 100 prozent erneuerbar stiftung
  • Agora Energiewende
  • BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V./ Friends of the Earth Germany
  • DFBEE - Deutsch-französisches Büro für erneuerbare Energien
  • Germanwatch e.V.
  • Greenpeace e.V.
  • NABU - Naturschutzbund Deutschland
  • vzbv - Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
  • World Wide Fund For Nature Deutschland (S. 73-77)

Ohne Zweifel überwiegend sehr verdienstvolle Organisationen. Aber wieso taucht der vzbv in dieser Liste auf, dem wir so schöne Schlagzeilen verdanken wie „Strompreise in Gefahr – Schuld hat die EEG-Umlage“ (7.8.2012) – während der thematisch hier eigentlich zuständige „Bund der Energieverbraucher“ unerwähnt bleibt, der im gleichen Sommer (am 24.7.2012) die Darstellung zurückwies, „der Ausbau regenerativer Energien lasse die Strompreise explodieren oder gefährde die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“? Da die fachliche Zuständigkeit hier offensichtlich nicht das Kriterium war – war es dann vielleicht die inhaltliche Positionierung?

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V., der die Idee der kostendeckenden Einspeisevergütung immerhin zuerst entwickelt und auf kommunaler Ebene vorangebracht hat, wird vom Auswärtigen Amt und vom Wirtschaftsministerium nicht unter „die wichtigsten Akteure der Energiewende in Deutschland“ gezählt. Natürlich ärgert uns das. Aber wir befinden uns in guter Gesellschaft. Eurosolar, diese bedeutende, auf den aufrechten Sozialdemokraten Hermann Scheer zurückgehende Pressuregroup für eine mutigere Energiewende und Veranstalterin wichtiger internationaler Konferenzen zum Thema, fehlt ebenso. Kampagnen-Netzwerke wir Campact oder .augestrahlt, ohne deren Mobilisierungen es wahrscheinlich keinen zweiten Atomausstiegs-Beschluss in Deutschland gegeben hätte, sucht man vergebens. Die „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW), die sich seit langem gegen die kommerzielle Nutzung der Atomenergie und gegen den Klimawandel engagieren, fehlen. Die KlimaaktivistInnen von Robin Wood oder urgewald – Fehlanzeige!

 

Böcke zu Gärtnern

 

Stattdessen sollen wir (und die internationalen LeserInnen der Broschüre) das „Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung“ (RWI) für einen wichtigen Akteur der Energiewende halten. In seiner Selbstdarstellung schreibt das RWI, „Erneuerbare Energien“ gehörten zu seinem Aktivitäten-Portfolio (S. 68). Das RWI fordert bekanntlich eine (nachweislich kontraproduktive) „Quotenlösung“ für die Energiewende und beruft sich schon einmal auf Gefälligkeitsstudien, die im Auftrag amerikanischer Erdöl- und Kohlekonzerne erstellt wurden. Es arbeitet der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ zu, die die Energiewende bis aufs Messer bekämpft, und ist mit dem Kohle- und Atomkonzern RWE vielfältig verflochten.

Oder wir sollen als wichtigen Akteur der Energiewende den „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW) annehmen (S. 30). Der BDEW ist die zentrale Lobbyorganisation der herkömmlichen Energiewirtschaft. Unter seiner Vorsitzenden Hildegard Müller (CDU), vormals Kanzleramtsministerin unter Angela Merkel (CDU), torpediert er jede Maßnahme, die die Energiewende beschleunigen könnte – so zuletzt den Vorschlag Gabriels zur Einführung einer Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke.

Kurzum: Die Auswahl von „Energiewende-Akteuren“ in der Broschüre der beiden Minister ist zwar nicht völlig einseitig, weist aber charakteristische Tendenzen auf, die der Energiewende in Deutschland gerade nicht förderlich sind. Welche Überlegung liegt diesem Vorgehen zugrunde? In ihrem Vorwort schreiben die beiden Minister:

Die Energiewende hat vielfältige Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der Menschen in Deutschland. Erfolgreich werden wir dabei nur sein, wenn wir die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe angehen, an der alle mit ihren Stärken und Kompetenzen mitwirken.“ (S. 5)


Das mag so sein. Aber wenn man die Stärken und Kompetenzen mächtiger Lobbyorganisationen der Energiewendegegner einbindet und gleichzeitig die meisten wichtigen Organisationen der Energiewendebefürworter (im wissenschaftlichen und im politischen Feld) gar nicht wahrnimmt, dann ist die „gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe“ auf keinem guten Gleis.

Dann kommt es auch zu taktisch fatalen Folgeproblemen. Steinmeier und Gabriel wollen der Energiewende in Deutschland den Bremsklotz einer europäischen Koordinierung unterschieben:

Hier gilt: Die Energiewende kann nur im Schulterschluss mit unseren europäischen und internationalen Partnern gelingen.“ (S. 5)

Der „Schulterschluss“ ist aber die strikte Negation der Wahrnehmung:

Im internationalen Energiediskurs ist der Begriff ‘Energiewende‘ bereits zum geflügelten Wort geworden. Wir beobachten im Ausland ein immer größeres Interesse an unserer Energiepolitik.“ (S. 5)

Denn diese Beobachtung geht von der Vorreiterrolle aus, die Deutschland energiepolitisch einnahm, bis die vorige und die jetzige Bundesregierung darangingen, die Energiewende zu stutzen. Eine Vorreiterrolle, die eben auch dann nicht eingenommen werden kann, wenn man sich zugleich auf einen Schulterschluss verpflichtet: Entweder bin ich vor meinem Partner, oder neben ihm; an beiden Orten gleichzeitig kann ich nicht sein.

 

Müssen die Gegner mit ins Boot?

 

Diese Option für den „Schulterschluss“ ist verbunden mit einer ungebremst zentralistischen Sichtweise, die nun europäische Dimensionen annimmt. In einem auf das Vorwort folgenden einleitenden Text wird demnach die volkswirtschaftliche Fehleinschätzung, „große Mengen Grünstrom“ müssten „aus dem windreichen Norden in den Süden und Westen transportiert werden“, gleich anschließend auf internationaler Ebene wiederholt:

Je größer der gemeinsame Markt ist, umso besser können schwankende Einspeisungen von Wind und Sonne ausgeglichen werden. Ein europäischer Binnenmarkt funktioniert aber nur, wenn Energie dorthin fließen kann, wo sie gebraucht wird. Hierfür fehlt es jedoch häufig noch an freien Kapazitäten in den bestehenden Strom- und Gasleitungen.“ (S. 8)

Auch die übrigen Fehlentscheidungen der Bundesregierung: Entlastungsregelungen für energieintensive Unternehmen, „Marktintegration“ durch Ausschreibungsverfahren, werden in dem kurzen Einleitungstext als Erfolgsmaßnahmen verkauft. Das grenzt an Realitätsverleugnung, wenn es über die jüngsten Änderungen am EEG heißt, damit gehe „der Ausbau der erneuerbaren Energien kraftvoll weiter; gut gesteuert und kostensparend“ (S. 7) Das sagt dieselbe Regierung, die es geschafft hat, den monatlichen Photovoltaik-Zubau in Deutschland auf unter 100 MWp zu drücken, kaum ein Sechstel der Werte, die von 2010 bis 2012 verwirklicht werden konnten, und kaum die Hälfte des selbst definierten, schon skandalös unterdimensionierten „Ausbaukorridors“. Vielleicht äußert sich hier ein speziell sozialdemokratisches Verständnis des Begriffs „kraftvoll“ ...

In solchen Verzerrungen offenbart sich – hinter allen schönen Beteuerungen von der „Modellfunktion“ (S. 5) der deutschen Energiewende – die Tragik der strategischen Grundentscheidung, „alle“ müssten bei der Energiewende ins Boot geholt werden. In ihrem Eifer, die Verlierer der Energiewende ins Boot zu holen, stößt die Bundesregierung die Unterstützer nach und nach über Bord. Sie kann aber die Verlierer nicht zu Gewinnern machen, ohne die Energiewende zu verspielen.

Wenn das, was die Bundesregierung hier als Energiewende verkauft, anderen Ländern als Vorbild angedient werden soll, hat das etwas von einem Bärendienst. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich internationale Akteure, die sich für die deutsche Energiewende interessieren, weiterhin an jene Stellen wenden, die das Vorgehen der derzeitigen Bundesregierung als das analysieren, was es ist: ein Abbruchprogramm.

Es ist nämlich nicht nur die Frage zu stellen: „Who is who?“, sondern auch: „What's their agenda?“