Kreutzfeldt_StrompreisKomplott

Der taz-Korrespondent Malte Kreutzfeldt hat im April dieses Jahres eine potenziell mächtige Waffe im Meinungskampf um die Energiewende in Deutschland vorgelegt. Auf knapp 130 kleinen Paperback-Seiten zum erschwinglichen Preis stellt er verständlich die wichtigsten Zusammenhänge der Strompreisentwicklung in Deutschland dar. Im Endergebnis handelt es sich bei der Debatte über hohe Strompreise um ein „gezieltes Komplott, mit dem die erneuerbaren Energien ausgebremst werden und die Bedingungen für konventionelle Betreiber verbessert werden sollen.“ (S.99) Obwohl das EEG 2014 bei Erscheinen des Bandes noch nicht verabschiedet war, ist die Analyse Kreutzfeldts im Großen und Ganzen schlüssig und aktuell und wird wohl noch eine ganze Zeit lang wertvolle Dienste in energiepolitischen Debatten leisten können.

Der Autor nimmt die Sorgen armer Haushalte ernst, steigende Stromrechnungen bezahlen zu können. Sein Buch beginnt mit der Schilderung von Fällen, bei denen zahlungssäumigen Kunden die Stromversorgung abgedreht wurde. Er zeigt auf, dass ärmere Haushalte nicht nur anteilig mehr für Strom aufbringen müssen, sondern überdies auf ungünstigeren Verträgen und stromfressenden Haushaltsgeräten sitzen bleiben. Als (übrigens preiswerte) Lösung schlägt er u.a. vor, die Sozialleistungen zu erhöhen, indem dort endlich die realen Stromkosten eingerechnet werden. Aber: „So gern die Sorge um die Armen auch bemüht wird, um die Energiewende in Frage zu stellen – so groß, dass wirksame und relativ günstige Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ist sie dann offenbar doch nicht.“ (S.101)

Das Büchlein verfolgt gleichwohl das Grundanliegen, Strom solle billig sein. Man muss dieses Anliegen nicht teilen – unter ökologischem Aspekt ließen sich Konsumsphären ausmachen, die dringlicher eine Verbilligung erheischten (der öffentliche Verkehrssektor z.B.). Aber hier ist es zielführend, die scheinheilige Debatte um „explodierende Strompreise“ einmal beim Wort zu nehmen und die tatsächlichen Ursachen dieser „Explosion“ zu benennen. Dies tut Kreutzfeldt auf bemerkenswert stringente Art.

Dabei werden die meisten Argumente den LeserInnen dieser Besprechung nicht neu sein: Die „Abzocke“ der Stromversorger, die gesunkene Börsenpreise nicht an die Endverbraucher weitergeben; die ins Absurde ausgeuferten Industrierabatte bei der EEG-Umlage, die den begünstigten Unternehmen nicht nur den Rücken der privaten Verbraucher als sanftes Ruhekissen bescheren, sondern auch unlautere Vorteile gegenüber anderen inländischen Unternehmen verschaffen; der stillschweigend mitkassierende Finanzminister. Auch von den verdeckten Kosten der fossilen Energien (Subventionen, Kosten der Luftverschmutzung, Kosten des durch den Treibhauseffekt erzeugten Klimawandels) oder der Atomenergie (abermals Subventionen, und vor allem die Befreiung von der Haftpflichtversicherung im Katastrophenfall) hat man schon öfter gehört. Kreutzfeldt fasst diese Argumente gut zusammen, und er macht unter Berufung auf unverdächtige Quellen die Rechnung auf, was die konventionelle Stromerzeugung pro Kilowattstunde kosten würde, wenn alles (wie bei den Erneuerbaren) auf den Strompreis umgelegt würde. Sowohl für fossile wie für atomare Kraftwerke wäre diese hypothetische Umlage um ein mehrfaches höher als die EEG-Umlage. Bei Kraftwerksneubauten, die ihre Investitionskosten noch nicht eingespielt haben, sieht die Rechnung noch schlechter für die Konventionellen aus. Das zeigt nicht zuletzt die Einspeisevergütung, die der britische Staat dem AKW-Neubau Hinkley Point C garantiert hat. 10,8 Cent pro kWh über 35 Jahre (gegenüber 20 Jahren bei EE-Strom) zuzüglich einem jährlichen Inflationsausgleich - Kreutzfeldt rechnet vor, dass diese Förderhöhe bei Umrechnung auf die Vergütungsregeln des EEG eine Alimentierung von 33,6 Cent je kWh Atomstrom ergeben würde. Zum Vergleich: Eine Photovoltaik-Anlage, die in diesem Monat ans Netz geht, erhält keinesfalls mehr als 12,62 Cent je kWh.

In einem weiteren Kapitel erörtert das Buch, was getan werden könnte und sollte, um die Stromkosten niedrig zu halten. Nicht alles, was hier steht, verdient vorbehaltlose Unterstützung. So wird die von Klaus Töpfer ins Spiel gebrachte Idee eines steuerfinanzierten Fonds für EEG-„Altlasten“ ebenso wohlwollend diskutiert wie eine „Abwrackprämie“ für Kühlschränke und dgl. Aber insgesamt wird hier klar, dass es hinreichend viele Möglichkeiten für politische Entscheider gäbe, den Strompreis für Endkunden zu senken, ohne dabei die Energiewende auszubremsen. Das Strompreis-Argument in den deutschen Debatten ist also reine Heuchelei.

Wenn aus Kostengründen also alles für einen Umstieg auf Erneuerbare spricht – wieso gelingt es dann, eben diese Erneuerbaren in Deutschland zu drosseln und gleichzeitig als Preistreiber an den Pranger zu stellen? Die Antwort hierauf ist ebenfalls nicht neu: Es geht um die Verflechtung von Politik und den Lobbyinteressen der Energiewendeverlierer, die ihre immer noch beträchtliche ökonomische Macht in die Waagschale werfen. Kreutzfeldt zeigt an einigen prägnanten Beispielen, wie die Energie-Lobbyisten nach den letzten Bundestagswahlen in einer der „intensivsten Lobbyschlachten aller Zeiten“ (S.119) es schafften, die Weichen für die Verlängerung ihrer Extraprofite und eben auch für ein Steigen der Strompreise zu stellen – während die Kampagnenmacht von Lobbyorganisationen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ den Unsinn vom „Preistreiber EEG“ in die Öffentlichkeit förmlich eintrichterten.

Der Preisbildungsmechanismus an der Leipziger Strombörse ist schwerere Kost als der Hinweis auf die EEG-Umlage in jeder Stromrechnung. Die Wahrheit ist schwerer zu vermitteln als die plumpe Lüge. Aber hier liegt sie in einer gut verständlichen, flott lesbaren und preisgünstigen Form vor. Diesem Buch ist auch weiterhin eine sehr weite Verbreitung zu wünschen.

Malte Kreutzfeldt: Das Strompreis-Komplott. Warum die Energiekosten wirklich steigen und wer dafür bezahlt. München: Knaur 2014 (Reihe: Knaur Klartext). 128 S., 7,00 €. ISBN 978-3-426-78673-4