Stand 2015-10-03 06:50

Gliederung:

 

Wer ist die "Agora Energiewende" und wie konnte sie das Vertrauen von Umweltverbänden und Politikern gewinnen?

Seit einigen Jahren geht ein tiefer Riss durch die Umweltbewegung. Vorschläge des Solarenergie-Fördervereins Deutschland oder z.B. von EUROSOLAR zur Beschleunigung der Energiewende treffen auf Widerspruch von anderen bekannten Umweltorganisationen, wie z.B. WWF oder NABU, oder von Kreisverbänden der Grünen, mit scheinbar gut durchdachten Argumenten, die letztlich aber das Tempo der Energiewende verzögern. Fragt man nach, so stößt man auf Parolen, Merksätze oder Empfehlungen, deren Begründung teilweise sogar wörtlich aus der „Denkfabrik“ Agora Energiewende stammen und von den energie-fachlich teilweise wenig versierten Umweltorganisationen willig übernommen wurden.

Als Beispiel mag ein Zitat aus einem Brief des WWF zur Frage der Markteinführung von Speichern dienen: "Gegenwärtig ist es jedoch in der Tat so, dass diese Technologien heutzutage noch nicht in großem Maßstab marktreif, d.h.kosteneffizient anzuwenden sind. Verschiedene Studien (bspw. Agora Energiewende 2014 – Speicher in der Energiewende) legen dar, dass sich eine entsprechende Wertigkeit des erneuerbar erzeugten Stroms, und damit die Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Speichertechnologien und –systeme) erst ab einem Anteil von etwa 60% der erneuerbaren Energieerzeugung am Strommix ergeben." Zitatende.

Agora Energiewende ist eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Agora Energiewende wurde Anfang April 2012 gegründet. Führender Kopf und erster Direktor war Rainer Baake.

Seit 2014 hat Rainer Baake als beamteter Staatssekretär für Energiefragen eine Führungsposition im Bundeswirtschaftsministerium.

Nachfolger als Direktor der Agora ist Dr. Patrick Graichen.

Den Vorsitz des Rates der Agora hat 2014 der ehemalige Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer übernommen.

Der Einfluss der Agora Energiewende auf eine große Zahl von Umweltorganisationen ist beachtlich.

Es stellt sich die Frage, wie es einer regierungsnahen Organisation gelingen konnte, so rasch das Vertrauen vieler kritischer Umweltorganisationen zu gewinnen. Hier der Versuch einer Antwort:


Agora-These 1 - Der erste Hauptsatz der Energiewende lautet:
Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar!


Mit der Aussage: "Der erste Hauptsatz der Energiewende lautet: Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar" hat die "Denkfabrik" Agora Energiewende das Vertrauen vieler deutschen Klimaschutzorganisationen gewonnen. Solch einen mutigen Satz hatte bis dahin (2012) noch keine regierungsnahe Organisation gewagt.

Hoffnung flammte auf. Nun war zu erwarten, dass die durch die Mercator-Stiftung und die European Climate Foundation mit einem reichlichen Budget ausgestattete Agora für den raschen Umstieg auf Erneuerbare Energien in den Streit ziehen würde.

 

Ein grundlegender Fehler im Gedankengebäude der Agora wird zur Doktrin

Ziel und Programm der Agora ergibt sich aus dem "Ersten Hauptsatz"

Die anspruchsvolle Bezeichnung „Erster Hauptsatz der Energiewende“ legte nahe, dass es sich hier um eine allgemeingültige Grundlage für ein in sich stimmiges Denkgebäude handelt, auf dem alle weiteren Folgerungen und Aktivitäten logisch aufbauen.

Doch wer aufmerksam weiterliest, findet unter der mitreißenden Überschrift, "Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar" eine eher dürftige Fortsetzung (siehe z.B. Folie 5).

Agora:
Wind- und Solarenergie haben drei zentrale Eigenschaften:

  • Sie sind dargebotsabhängig, das heißt, die Stromproduktion hängt vom Wetter ab.
  • Sie haben hohe Kapitalkosten und (fast) keine Betriebskosten.
  • Ihre Stromproduktion ist schnell fluktuierend.

 

Die Aussage, dass Wind- und Solarenergie drei(!) zentrale Eigenschaften besitzen, unterstellt, dass es sich hier um eine abschließende Aufzählung der wichtigen Eigenschaften handelt. Grundsätzlicher als eine „zentrale Eigenschaft“ in einem „ersten Hauptsatz“ kann eine Eigenschaft wohl kaum sein. Wir fragen uns, warum Agora andere wichtige Eigenschaften von Wind- und Sonnenenergie weggelassen hat.

Müsste hier nicht auch ihre Unerschöpflichkeit genannt werden und ihre weltweite Verfügbarkeit? Diese Eigenschaften könnten immerhin helfen, Kriege um fossile Reserven zu verhindern, die ohnehin aus Klimaschutzgründen unter der Erde bleiben müssen.

Ist nicht ihre schnelle Umsetzbarkeit von der Planung bis zur Inbetriebnahme ein unschätzbarer Vorteil, der uns beim Wettlauf mit dem galoppierenden Klimawandel helfen könnte?

Und was ist mit ihrer Freiheit von CO2-Emissionen und mit der Tatsache, dass Wind- und Sonnenenergie auch sonst kaum externe Kosten haben?

"Welche Überlegungen haben Agora dazu veranlasst, gerade diese positiven Eigenschaften von Sonnen- und Windenergie nicht in ihrer Liste "zentraler Eigenschaften" aufzunehmen?

Das Weglassen dieser positiven Eigenschaften bei den Grundannahmen stellt jedenfalls aus Sicht des Solarenergie-Fördervereins Deutschland (SFV) einen unverzeihlichen Fehler dar, der alle darauf aufbauenden Agora-Handlungsempfehlungen entwertet. Das Gedankengebäude kann nicht sachgerecht sein, weil sein Fundament nicht stimmt. Kurz gesagt, die Agora-Handlungsempfehlungen nutzen nicht die gegebenen Möglichkeiten und berücksichtigen nicht, dass uns zur Abwehr der endgültigen Klimakatastrophe nur noch extrem wenig Zeit bleibt.

Dass es sich bei diesen Auslassungen nicht nur um eine redaktionelle Flüchtigkeit handelt, sondern anscheinend um eine systematische Entscheidung, zeigt sich unter anderem darin, dass auf der gesamten umfänglichen Internetseite der Agora Energiewende die "externen Kosten" von atomarer und fossiler Energiegewinnung nicht diskutiert, ja nicht einmal erwähnt werden. Ein Diskussionsforum zur Energiewende, in dem der Begriff "externe Kosten" praktisch nicht zu finden ist, hinterlässt einen befremdlichen Eindruck!

Aus einem Grundsatzfehler entsteht so eine fehlerhafte Doktrin.

Die Idee einer "Strompreisbremse" ist ein typischer Ausfluss der Agora-Doktrin. Geld zu sparen, indem man den Umstieg auf Erneuerbare Energien verlangsamt, während der Klimawandel und seine furchtbaren Folgen sich weiter beschleunigen und Klimaforscher Zweifel hegen, ob die endgültige Klimakatastrophe überhaupt noch zu vermeiden ist.

Da die Agora-Vorschläge häufig den Vorschlägen der Stromwirtschaft entsprechen, die sich ebenfalls weigert, die Konsequenzen aus den schnell ansteigenden externen Kosten der fossilen und atomaren Energieversorgung zu ziehen, entsteht zwangsläufig der Eindruck, dass es sich bei der Agora Energiewende um eine "Denkfabrik" handelt, die sich in wichtigen Fragen von der Stromwirtschaft vorschreiben lässt, was sie denken darf und was nicht.

 

Die InternetAntwort auf die Frage, "Was sind die konkreten Themen, die im Mittelpunkt der Agora stehen?" hinterlässt einen enttäuschenden Eindruck:

Agora:
Die Arbeit von Agora Energiewende konzentriert sich auf den Stromsektor in Deutschland. Wir arbeiten auf der Basis der gesetzlich formulierten Energiewende-Ziele: Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 und Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf mindestens 80 Prozent bis spätestens zum Jahr 2050. Die Schnittstellen zu Europa und zu den Bereichen Wärme und Mobilität behalten wir dabei im Blick. (...)
Hervorhebung durch SFV

Eine Arbeit auf der "Basis der gesetzlich formulierten Energiewende-Ziele" beschränkt sich auf die "Akzeptanz-Beschaffung" für die Entscheidungen der Bundesregierung oder letztlich der Stromwirtschaft. Es ist nicht mehr zu erkennen, wer von den drei Akteuren: Stromwirtschaft, Agora Energiewende oder Bundesregierung die Ideen entwickelt, mit denen die Energiewende seit 2009 gegen die Wand gefahren wird.

Welche Fehlentscheidungen der deutschen Energiepolitik werden mit der Agora-Doktrin verteidigt?


In den Jahren ab 2009 wurde der hoffnungsgebende Solar- und Windkraft-Boom der vorangehenden 8 Jahre durch rücksichtslose Änderungen der energiegesetzlichen Rahmenbedingungen gebrochen. Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) fordert deshalb eine grundlegende Verbesserung der Energiewende-Gesetze und macht dazu eigene Vorschläge. Nahezu all diesen Vorschlägen setzt die Agora ihr "Nein" entgegen.

  • Wir, der SFV, fordern 100 Prozent Erneuerbare Energien so schnell wie möglich, auch bei der Wärmeversorgung und im Verkehrsbereich, wobei wir davon ausgehen, dass die meisten Anwendungen auf elektrischen Strom umgestellt werden können und dass deshalb ein Mehrfaches der derzeitigen 600 TWh Bruttostromerzeugung durch Wind- und Sonnenenergie ersetzt werden müssen. (Agora schreibt zwar: "Die Schnittstellen (...) zu den Bereichen Wärme und Mobilität behalten wir dabei im Blick" doch in ihren Berechnungen kommt die vorhersehbare Steigerung der Stromnachfrage nicht vor.)
  • Wir (der SFV) fordern lohnende Gewinnanreize und Bürokratieabbau beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen im gesamten Bundesgebiet. Insbesondere fordern wir die sofortige Beendigung des sogenannten "atmenden Deckels", der den Erneuerbaren Energien umso mehr Kapital entzieht, je weiter sie sich ausbreiten.
  • Wir fordern eine sofortige engagierte Markteinführung von Kurzzeitspeichern (Pufferspeicher) bei Wind- und Solaranlagen.
  • Wir fordern eine sofortige engagierte Markteinführung von Langzeitspeichern, die eine Dunkelflaute von einigen Wochen überbrücken können.
  • Wir lehnen den Bau neuer Fernleitungen ab, weil er dringend benötigte volkswirtschaftliche Ressourcen von den eigentlichen Energiewendeaufgaben abzieht,weil er energietechnisch die Nutzung von Braunkohle verlängert und den Umstieg auf die Erneuerbaren Energien verlangsamt. Eine Aufzählung aller Gründe würde den Rahmen des vorliegenden Beitrages sprengen, doch hat sich der SFV ausführlich in seinem Beitrag Stromspeicher statt Fernleitungen im Internet geäußert und bietet zu diesem Thema Informationsvorträge an.
  • Wir fordern einen zeitlich detaillierten Ausstiegsplan aus der Kohleverstromung.
  • Wir fordern die Erhöhung der Versorgungssicherheit gegenüber Wetterextremen und Terrorakten durch gleichmäßige Verteilung einer ausreichenden Zahl von Stromspeichern in Verbindung mit ausreichender Zahl von Wind- und Solaranlagen in Verbrauchernähe. Im Katastrophenfall muss das Versorgungsgebiet automatisch in überlebensfähige Teilregionen aufgeteilt werden können.
  • Wir fordern eine sofortige Umstellung des Stromgroßhandels, insbesondere das Verbot des vorzeitigen Handels mit fossilem und atomarem Strom (Spotmarkt Only).

Die Agora begründet ihr "Nein" zu diesen Vorschlägen regelmäßig mit der Sorge vor finanziellen Mehrausgaben, ohne dabei die ungeheuren Schäden und "externen Kosten" zu berücksichtigen, die jede Verzögerung der Umstellung auf Erneuerbare Energien verursacht.
Nicht einmal die Tatsache, dass die notwendigen Investitionen dem Aufbau eines neuen Wirtschaftszweiges dienen, wird gebührend beachtet.

Mit einzelnen Agora-Vorschlägen werden wir uns in einem Fortsetzungsartikel befassen.