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Karikatur: Gehard Mester
 

Der Berg kreißte, und gebar eine Maus: Nach fast zweijähriger Arbeit präsentierte die Rentenkommission Ende März ihren Abschlussbericht - der postwendend harsche Kritik auf sich zog. Das Werk enthalte viel Nebulöses statt handfeste Handlungsempfehlungen wie die Altersversorgung in Deutschland zukunftssicher auszugestalten sei, monierten Kritiker.

Zwar betonte das von der Bundesregierung berufene Gremium, dass die gesetzliche Rentenversicherung Kern der Alterssicherung in Deutschland bleiben soll. Doch wie die Haltelinien des Rentenniveaus bis 2025 bei 48 Prozent, danach 44 bis 49 Prozent angesichts des demografischen Wandels zu gewährleisten sind, darauf lieferte das Gremium mit einem mutlosen Weiter so keine überzeugende Antwort.

Zudem dürfte der Bericht nach Ausbruch der Corona-Pandemie bereits Makulatur sein: der erwartete Beschäftigungseinbruch wird das Rentensystem durch Beitragseinbußen spürbar belasten. Dadurch dürfte die private wie betriebliche Altersvorsorge wieder an Bedeutung gewinnen. Allerdings: In was Versicherer und Pensionsfonds das Geld der Beitragszahler am besten investieren, darüber verlor die Kommission kein Wort. Das Megathema Nachhaltiges Finanzwesen (Neudeutsch: Sustainable Finance) hatte die Rentenkommission nicht auf dem Schirm.

Dabei besteht gerade hier dringender Handlungsbedarf: Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken, durch die Pandemie nochmals bestärkt, wird es den Versicherern nicht einfacher machen, die Garantiezinsen zu erwirtschaften. Auf der anderen Seite duldet die Klimakrise keinen weiteren Aufschub, Wirtschaft und Gesellschaft CO2-neutral auszurichten. Die Forderung, milliardenschwere Corona-Konjunkturprogramme nur nachhaltig, sprich zum Nutzen von Umwelt und Klima aufzulegen, ist auch auf die nationalen Rentenfinanzsysteme übertragbar. Schließlich verwalten allein die weltweit 300 größten Pensionseinrichtungen ein Gesamtvermögen von 18 Billionen US-Dollar (Stand Ende 2018). Eine gigantische Summe, die Ökonomie und Ökologie als Win-Win-Lösung verknüpfen könnte.

Schon während der Finanzkrise 2008 zeigte sich, dass nachhaltig wirtschaftende Unternehmen ökonomische Verwerfungen deutlich besser meistern. Dies schlug sich nicht zuletzt in deren Aktienkursen nieder. Das gleiche Phänomen wiederholt sich nun in der Corona-Krise. Die Resilienz grünen Wirtschaftens zeigte sich hierzulande im Lockdown. Während klassische Branchen wie die Automobilindustrie monatelang still standen, produzierten Erneuerbare Energien unbeeindruckt weiter. Solar- und Windparks, Hersteller wie Dienstleister erwiesen sich weitgehend immun gegenüber Corona. Ähnlich verlief es auf dem Börsenparkett. Aktienfonds mit ESG-Kriterien (Environment, Social und Governance) verloren im ersten Quartal 2020 weniger an Wert als ihre konventionellen Konkurrenten.

Was braucht es also noch, um ökologisch nachhaltig in Altersvorsorge zu investieren? Vermutlich mehr Transparenz. Denn nicht alles schützt das Klima, was als grün beworben wird, wie eine Untersuchung im Auftrag der Verbraucherzentrale Bremen von 2014 zeigte. So finanzieren auch solche Fonds den Ausstoß von Treibhausgasen, wenn bestimmte Unternehmen und Branchen zum Fondsvermögen gehören. Von den 13 untersuchten Fonds mit ethisch-ökologischer Ausrichtung, darunter vier Fonds der großen deutschen Anbieter Allianz, Deka, DWS und Union Investment, wiesen einige sogar eine schlechtere Klimabilanz auf als manch gängiger konventioneller Fonds. Mit Anteilen im Wert von 1.000 Euro am Fonds DWS Top Dividende finanzierte ein Anleger zum Zeitpunkt der Untersuchung den Ausstoß von rund 904 Kilogramm CO2. Beim Triodos Sustainable Equity waren es hingegen nur 163 Kilogramm.

Im September 2017 dann nahmen die Bremer Verbraucherschützer gemeinsam mit der Stiftung Warentest Riester-Produkte unter die Lupe, inwieweit sie ethisch und ökologisch umstrittene Geschäfte bei ihren Investitionen ausschließen. Die Untersuchung umfasste Fondssparpläne, Fondspolicen sowie Rentenversicherungen. Die Auswahl an nachhaltigen Riester-Produkten ist leider sehr eingeschränkt, so Thomas Mai von der Verbraucherzentrale. Immerhin schließt die Mehrzahl der Anbieter Investitionen in Hersteller von international geächteten Waffen aus. Oft sind auch Kinderarbeit und Nahrungsmittelspekulation tabu. Einige Anbieter dagegen berücksichtigen überhaupt keine ethischen und ökologischen Kriterien, oder sie lieferten keine Auskünfte zu ihren Investitionen.

Den Überblick erschwert zusätzlich, dass es bis heute keine einheitliche Definition oder allgemeingültige Standards für nachhaltige, grüne oder klimafreundliche Geldanlagen gibt, die meist unter dem Oberbegriff ethisch-ökologisch vermarktet werden. Jeder Anbieter versteht darunter etwas anderes, der Markt für diese Finanzprodukte ist unübersichtlich, warnt der Verbraucherexperte. Finanzprodukte, die eines der Labels tragen, können auch Unternehmen aus Branchen wie Technologie, Energie und Gesundheit, ebenso wie Industriegüter, Versicherung und Automobil enthalten. Daher sollten Sie sich die Kriterien für ethisch-ökologische Geldanlangen genau anschauen, empfiehlt Mai.

Auch Arbeitnehmer, die sich für eine betriebliche Altersvorsorge entscheiden, wissen in der Regel nicht, wohin das Geld geht. Zwar arbeiten die meisten Pensionskassen und Versorgungswerke nach Governance- und Social-Kodex. Doch nur wenige Kassen veröffentlichen detailliert, in welchen Wertpapieren, Branchen und Unternehmen die Vermögen stecken.

Als erste Pensionskasse in Deutschland legten die Hannoverschen Kassen für das Geschäftsjahr 2017/2018 ihre kompletten Investitionsentscheidungen in einem Transparenz- und Nachhaltigkeitsbericht offen. Wir achten bei unseren Anlagen sehr auf die Einhaltung unserer Nachhaltigkeitskriterien. Zunehmend nimmt auch das Thema Klimakompatibilität an Fahrt auf, sagt Silke Stremlau vom Vorstand des Unternehmens. Erst vor kurzem habe man ein Investment in Erneuerbare Energien beschlossen, betont sie. Fünf Millionen Euro fließen in einen geschlossenen Fonds, der in Wasserkraft, Solar und Wind investiert. Bei einem verwalteten Vermögen von 423 Millionen Euro, Stand Juli 2019, ist das aber erst mal nur ein kleiner Tropfen.

Andere Pensionskassen tun sich aus Gründen eines heterogeneren Trägerunternehmenskreises schwerer, ihr Asset Management unter den Vorbehalt Klimaverträglichkeit zu stellen. Unsere Mitgliedsfirmen kommen überwiegend aus dem Chemie- und Pharmasektor sowie der Metallindustrie, wo Produktionsprozesse naturgemäß CO2-intensiver verlaufen und das Ziel der Klimaneutralität nur über einen längeren Transformationszeitraum erreichbar sein dürfte, erwähnt Andreas Hilka, Vorstand der Höchster Pensionskasse. Hier bedürfe es noch viel Abstimmungsarbeit mit den Gremien, um in naher Zukunft für das Anlageportfolio zusätzlich Klimaziele zu vereinbaren.

Ihre Hände gebunden sehen die Vorstände zudem durch gesetzliche Vorgaben. So sorgen Risikoregularien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dafür, dass Pensionskassen meist nicht mehr als ein Prozent der Gelder ihrer Mitglieder direkt oder indirekt in Erneuerbare Energien anlegen können. Zusätzlich gilt das Renditeversprechen als Hemmschuh für klimaverträgliche Investitionen. Bei diesem Thema ist noch Luft nach oben, sagen beide Vorstände.

Dabei soll Deutschland weltweit führend in Sustainable Finance werden, so zumindest hat es sich die Große Koalition Anfang 2019 vorgenommen. Bei Ausarbeitung und Umsetzung der entsprechenden Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt ein Sustainable Finance-Beirat die Bundesregierung. Er wurde im Juni 2019 eingesetzt. Die Mitglieder sind Praktiker aus Finanz- und Realwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Anfang März hat das Gremium einen ersten Zwischenbericht mit Handlungsansätzen vorgelegt. Ein nachhaltig ausgerichtetes Finanzsystem ist entscheidend, um die Transformation zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Realwirtschaft zum Erfolg zu führen. Durch nachhaltiges Handeln leisten Finanzmarktakteure nicht nur einen wichtigen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz sie tragen auch zur Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland bei, so Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth bei dieser Gelegenheit.

Der Bericht spricht bei Rentenfinanzen Klartext: Bei staatlich geförderten Finanzprodukten (z. B. Riester, Rürup, betriebliche Altersvorsorge) müssen Nachhaltigkeitskriterien verbindlich integriert werden, beispielweise in Übereinstimmung mit Konventionen, denen Deutschland beigetreten ist. Anders gesagt: Beiträge der Sparer und Zuschüsse der Arbeitgeber sollen dazu dienen, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Auch schlagen die Experten eine zeitlich begrenzte staatliche Förderung von transformationskonformen und/oder nachhaltigen Anlage- und Sparprodukten vor. Weiter plädieren sie für steuerliche Anreize oder Zuschüsse, um die Nachfrage nach und Vertrautheit mit diesen Produkten zu erhöhen. Auf diese Weise kann schnell eine Breitenwirkung erzielt und ein Anreiz für die Umstellung von traditionellen Produktangeboten gesetzt werden, so der Beirat.

Wir setzen uns dafür ein, dass Finanzmarktakteure bei ihren Entscheidungen Nachhaltigkeitsaspekte angemessen berücksichtigen, betont eine Sprecherin von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auf Anfrage. Bei Anlagen des Bundes und durch grüne Bundeswertpapiere im Schuldenmanagement wolle die öffentliche Hand eine Vorbildfunktion ausüben, ergänzt sie. Anfang nächsten Jahres soll der finale Bericht des Sustainable Finance-Beirats erscheinen. Seine konkreten Empfehlungen werde man im Anschluss prüfen, verspricht die Sprecherin.

Mindestens bis dahin bleibt die klimagerechte Altersvorsorge ein Vabanquespiel. Anbieter eines Altersvorsorge- oder Basisrentenvertrags müssen die Beitragszahler zwar einmal jährlich schriftlich informieren, ob und wie ethische, soziale und ökologische Belange bei der Verwendung der eingezahlten Beiträge berücksichtigt werden. Doch meist sind diese Auskünfte recht dürftig, sagt Verbraucherschützer Mai. Zudem ist der Vertrag dann bereits abgeschlossen.