Dass die Einspeisung von Windstrom ins öffentliche Netz den Strompreis durch den Merit-Order Effekt vermindern kann, ist weitgehend bekannt. Inzwischen beklagen sich schon die Betreiber von Grundlastkraftwerken, dass sie zu windreichen Zeiten für ihren Braunkohle- oder Atomstrom weniger "Deckungsbeiträge" an der Strombörse bekommen.

Allerdings wird der Merit-Order Effekt für Solarstrom meistens bezweifelt. Dabei sind gerade die Umstände bei Solarstrom noch viel günstiger.

Die Einspeisung von Solarstrom erfolgt nicht zu den Zeiten, in denen wenig Strom verbraucht wird, sondern schwerpunktmäßig zu Zeiten hohen Strombedarfs, insbesondere zur Zeit der Mittags-Lastspitze. Die Solarstromeinspeisung bewirkt, dass weniger teure Spitzenlastkraftwerke zugeschaltet werden müssen. Und da dies sonnenstandsbedingt schwerpunktmäßig zur Zeit der Mittagslastspitze geschieht, ergibt sich gerade durch die Einspeisung von Solarstrom ein besonders günstiger börsenpreissenkender Effekt. Dieser preissenkende Effekt wird häufig vergessen.

Aber auch wenn er nicht vergessen wird, wird dieser stromkostensenkende Effekt häufig zu gering bewertet. Diese Fehlbewertung kommt zu Stande, weil versehentlich Strompreise [z.B.in Euro/MWh] direkt miteinander verglichen werden und dabei die unterschiedlichen Strommengen [z.B. in MWh] nicht bedacht werden. In der folgenden Erläuterung werden deshalb diese Angaben in eckigen Klammern angegeben.

Der börsenpreissenkende Effekt [Preisangabe] der Solarstromeinspeisungen ist im Allgemeinen zwar meistens erheblich kleiner als die Vergütung des Solarstroms [Preisangabe], doch der Laie vergisst, dass die Einsparung am Börsenpreis [Preisangabe] zuerst noch mit den zugehörigen verkauften Strommenge [Menge] zu multiplizieren ist, bevor man sie [als Geldbetrag] angeben kann und bevor man sie mit den Vergütungen des gesamten Solarstroms [als Geldbetrag] vergleichen darf.

Es ist der erhebliche Unterschied der Strommengen, der die Senkung der Stromkosten auch bei Solarstromeinspeisung bewirkt.

Die Börsenpreissenkung in [Cent/kWh] ist scheinbar nur gering, doch sie ist mit der riesigen Gesamtmenge des jeweils verbrauchten Stromes [in kWh] zu multiplizieren, wodurch sich eine beträchtliche Geldmenge [in Euro] ergibt, die von den Einkäufern weniger bezahlt werden muss.
Umgekehrt werden die hohen Einspeisevergütungen für Solarstrom [in Cent pro kWh] nur mit der geringen Strommenge des eingespeisten Solarstromes multipliziert. Das Produkt [in Euro] der zugegebenermaßen hohen Einspeisevergütung [in Cent/kWh] des PV-Stromes multipliziert mit der geringen Menge [in kWh] des eingespeisten Solarstroms kann durchaus kleiner sein. Mit anderen Worten: Eine relativ kleine Menge gut vergüteten Solarstroms zur Mittagszeit kann das Zuschalten der teuren Spitzenlastkraftwerke überflüssig machen und damit verhindern, dass sämtlicher Strom, auch der aus den Grundlastkraftwerken, mit dem hohen Preis von Spitzenlaststrom bezahlt werden muss.

Wie der Merit-Order-Effekt auch den Stromhandel außerhalb des Spotmarktes beeinflusst

Nur etwa ein Fünftel des Stromkäufe erfolgt über den Spotmarkt. Deshalb stellt sich die Frage, wie weit die Preissenkungen auf dem Spotmarkt infolge des Merit-Order-Effekts die Preise im gesamten Stromhandel beeinflussen. Die Vertreter der Stromwirtschaft wiegeln ab, wenn man den Merit-Order- Effekt des Solarstroms - oder auch Windstroms - ins Gespräch bringt. Es werde ja bekanntlich nur eine kleine Strommenge über den Spotmarkt am Tag vor dem endgültigen Verbrauch gehandelt. Die größten Strommengen würden bereits lange vorher verkauft und gekauft. Manche Strommengen wechselten sogar mehrfach den Eigentümer. Deshalb hätten die Spotmarktpreise und der Merit-Order-Effekt nur einen geringen Einfluss auf den tatsächlichen Einkaufspreis für die Letztkundenversorger. Doch diese Schlussfolgerung ist falsch.

Der Spotmarkt am Tag vor dem endgültigen Stromverbrauch ist (abgesehen vom intra-day-Markt) die letzte Gelegenheit, bei der sich der Stromkäufer mit Strom versorgen kann, und die letzte Gelegenheit, bei der der Stromanbieter seinen Strom verkaufen kann.

Käufer und Verkäufer orientieren sich allerdings immer an dem zu erwartenden Spotmarktpreis, nennen wir ihn den "Erwartungspreis". Sie setzen viel Mühe darein, ihn im Voraus zutreffend zu "erraten".

Wer Strom teurer verkaufen kann als zum Erwartungspreis, wird das tun. Aber er braucht natürlich einen Käufer.

Nur wer Strom billiger einkaufen kann als zum Erwartungspreis, wird zugreifen. Große Stromgeschäfte kommen also nur zu Stande, wenn sich Käufer und Verkäufer über den Erwartungspreis einig sind, oder wenn der Verkäufer insgeheim von einem niedrigeren Erwartungspreis ausgeht als der Käufer.

Aus diesem Grund werden die großen Strommengen vorher möglichst genau zum Erwartungspreis gehandelt. Und dadurch ergibt sich der große Einfluss des Spotmarktpreises auf den gesamten Stromhandel.

Der Merit-Order-Effekt im Geschäftsbericht des Strom-Letztkundenversorgers E.V.A., Energieversorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH Aachen

(Quelle: http://www.eva-aachen.de/konzern/geschaeftsberichte/Geschaeftsbericht_2007.pdf
Konzern-Lagebericht - Situation an den Energiemärkten, dort lesen wir auf Seite 35:
"Die Spotpreise an der Strombörse EEX sind im Jahr 2007 unerwartet niedrig ausgefallen. Der Preis für die Grundlast (base) lag im Mittel bei 38 Euro/MWh (Vorjahr: 51 Euro/MWh), für die Spitzenlast (peak) im Mittel bei 56 Euro/MWh (Vorjahr: 73 Euro/MWh). Die beiden wesentlichen Gründe für diese Entwicklung waren folgende:

  • Die EEG-Einspeisungen sind insbesondere in den ersten Monaten erheblich höher als erwartet ausgefallen, was zu einem starken Angebotsdruck im Spot-Markt führte.
  • Die Preise für CO2-Zertifikate, die in die Erzeugungskosten eingepreist werden, sanken ständig."

Zum Abschluss allerdings noch eine Einschränkung. Es ist natürlich nicht gewährleistet, dass der Letztkundenversorger die beim Einkauf erzielte Einsparung an die Stromkunden weitergibt. Bei der E.V.A. ist eher zu erwarten, dass die Preissenkungen zur Unterstützung des öffentlichen Nahverkehrs genutzt werden, was aber ebenfalls im Sinne der Bürger sein sollte.

Merit-Order-Effekt