Vorwort

Das vorliegende Rechtsgutachten untersucht aus verfassungsrechtlicher Sicht, ob neue Stromleitungen bezogen auf das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich nach dem Garzweiler - II - Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) noch gerechtfertigt werden können
.
Eine wichtige Rolle spielt insoweit auch das Verhältnis zum gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit im Zeichen des Klimawandels.
Hintergrund der Untersuchung sind bestehende deutliche Zweifel daran, ob der von der Bundesregierung geplante Stromnetzausbau in dieser Form tatsächlich eine ernstgemeinte Energiewende und den Klimaschutz voranbringt – oder doch eher dem Stromabsatz weiter laufender fossiler Kraftwerke und ähnlichen stärker hinterfragbaren Zielen dienlich ist.
Aufgrund des sehr kurzfristigen Zustandekommens der Untersuchung sowie der großen Breite der geplanten gesetzgeberischen Neuregelung
fokussiert sich die Untersuchung auf die zentralen Gesichtspunkte.
Die Untersuchung entstand im Juli und August 2014 im Auftrag und mit Finanzierung des Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV). Sie gibt dabei die Auffassung des Verfassers und nicht notwendigerweise durchgängig die des SFV wieder, so wie sich Verfasser und Auftraggeber im gemeinsamen Ziel einer unvoreingenommenen Prüfung der Rechtslage einig waren. Auch wenn konkret keine anderen Autoren beteiligt waren, steht
das Rechtsgutachten im übergreifenden Zusammenhang der Arbeiten und Diskussionen meiner Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik
in Leipzig und Berlin, weswegen ich meinen dortigen Mitstreiter/innen zu Dank verpflichtet bin
.
Das vorliegende Gutachten stellt die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Verfassers dar und keine Rechtsberatung für konkrete Personen, die durch den Stromleitungsbau negativ betroffen sein können, da abschließende Aussagen für einzelne Fälle ohne Kenntnis der dortigen fallspezifischen Einzelheiten nicht möglich sind und zudem immer die Möglichkeit besteht, dass ein mit einem konkreten Fall befasstes Gericht (ob inhaltlich überzeugend oder nicht) Rechtsfragen anders einschätzt als der Verfasser. Der Text verzichtet zudem aus Gründen der Leser- und
Leserinnenfreundlichkeit auf entsprechende Hervorhebungen – gemeint sind aber stets die weibliche und die männliche Form.

Leipzig, im September 2014
Felix Ekardt

Kurzfassung des Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Felix Ekardt „Stromleitungsbau, Klimaschutz und das Eigentumsgrundrecht“

Das vorliegende Rechtsgutachten beleuchtet die verfassungsrechtlichen Probleme, die sich durch den Bau neuer Stromleitungen und insbesondere Höchsspannungsleitungen im Zuge der deutschen Energiewende stellen.
Nachdem an früherer Stelle die Kollision der bisherigen deutschen und europäischen Energie- und Klimapolitik mit dem Grundrecht auf Leben, Gesundheit und Existenzminimum gegen die Folgen des anthropogenen Klimawandels sowie die Verfassungs- und Europarechtsfragen des EEG und sodann die eigentumsrechtlichen Probleme von Kohletagebauen (und teilweise Kohlekraftwerken) untersucht wurden, steht vorliegend darauf aufbauend die Problematik des Eigentumsgrundrechts aus Art.14 Grundgesetz (GG) bezogen auf Stromleitungen im Fokus.
Im Kern geht es wieder um den Begriff des „Gemeinwohls“, der als Voraussetzung für Enteignung in Art. 14 Abs. 3 GG genannt wird. Stromleitungen
erfordern für ihre Erschließung in der Regel Enteignungen von Grund und Boden, was die Eigentumsgarantie begründet.
Das Gutachten zeigt: Fehlt es für Stromleitungen (auch wenn sie nicht unterschwellig für den Kohlestromtransport geplant sind) an einer Eignung zur Förderung einer ernsthaften Energie- und Klimawende, fehlt es ihnen an einer tragfähigen Gemeinwohldienlichkeit und damit an einer Rechtfertigung, um Enteignungen zu legitimieren. Dies dürfte auch dann gelten, wenn bestritten wird, dass Leitungen für den Kohlestromtransport geplant sind – und wenn bestritten wird, dass bestimmte neue Stromleitungen durch mehr Stromspeicher und einen diversifizierten Erneuerbare-
Energien-Ausbau mit dem Ergebnis einer sogar höheren Versorgungssicherheit ersetzbar wären; denn die tatsachenbezogene Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit bei den staatlichen Instanzen, und es bestehen Zweifel, dass sie dieser Darlegungs- und Beweislast nach Lage der Fakten genügen können.
Umso mehr fehlt eine Gemeinwohldienlichkeit von Enteignungen für Stromleitungen auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Leben und
Gesundheit, wenn geplante Stromleitungen gar kontraproduktiv bezogen auf eine ernsthafte Energie- und Klimawende unterschwellig für einen Kohlestromtransport geplant sind.
Auch insoweit liegt die tatsachenbezogene Darlegungs- und Beweislast bei den staatlichen Instanzen, wenn streitig ist, ob eine Stromleitung wirklich für den Kohlestromtransport vorgesehen ist.
Die so dargelegte Problematik kann nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung von betroffenen Einzelpersonen sowie von Umweltverbänden geltend gemacht werden. Dies gilt nicht erst für die konkrete Genehmigung einer Stromleitung, sondern nach Auffassung dieses Gutachtens auch für vorgelagerte Planungsentscheidungen.

Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung

1. Gesellschaftliche Diskussion über den Stromleitungsbau und rechtliche Problemstellung

2. Rechtsgrundlagen und Varianten des Stromleitungsbaus

3. Gemeinwohlanforderungen für Enteignungen zugunsten von Stromleitungen

3.1 Grundlagen der Enteignung

3.2 Neuinterpretation der Enteignungsvoraussetzungen im Garzweiler - II - Urteil und darauf aufbauende Schlussfolgerungen

3.3 Gemeinwohlkonkretisierung durch das Recht auf Leben, Gesundheit und Existenzminimum gegen den Klimawandel

3.4 Weitere Gemeinwohlkonkretisierungen

4. Fazit und praktische Konsequenzen für mögliche Klagen
((Nachtrag des SFV vom26.12.2015: Die von Prof. Eckardt hier genannte "europarechtliche Rechtsprechung" bezieht sich auf die Aarhus Konvention))

 

Das vollständige Gutachten als PDF

Stromleitungsbau, Klimaschutz und das Eigentumsgrundrecht