[Susanne Jung] Seit Jahren wird der Ausbau der Erneuerbaren durch immer neue Kürzungen, Einschränkungen und Schikanen behindert. Zubau-Restriktionen, Förderstopps und zunehmende Bürokratievorgaben schießen wie Pilze aus dem Boden und machen Investoren die Entscheidung immer schwerer, auf Wind oder Solar zu setzen. Der Zubau verharrt auf niedrigem Niveau und die Branche wird in Insolvenzen und zum Stellenabbau getrieben.

In dieser tiefen solaren Depression erscheint Tony Sebas Buch „Saubere Revolution 2030“ wie ein zukunftsweisender Lichtblick für die Energiewende. Soviel ist klar: Mit der Übersetzung des englischsprachigen Buches "Clean Disruption of Energy and Transportation" hat MetropolSolar vielen Energiewendefreunden einen neuen Optimismus vermittelt. Denn dass die Energiewende gelingen wird, ist für Bestseller-Autor Tony Seba sonnenklar.

Wenn das 1,5°-Ziel des Pariser Abkommens erreichbar sein will, dürfen wir nicht bescheiden sein! Sebas Botschaften, dass wir uns mitten in disruptiven Entwicklungen befinden und die Energiewende bereits im Jahr 2030 im Wesentlichen passiert sein wird, sind mutig und hoffnungsstimmend.

Doch sind die Botwschaften auch realistisch? Glauben Sie, lieber Herr Bannasch daran, dass wir bereits in zwölf Jahren weltweit aus Kohle und Atom aussteigen können?

[Daniel Bannasch] Ja. Aus wirtschaftlichen Gründen. Die Produktion, Speicherung und Nutzung der erneuerbaren Energien vor Ort wird so billig, dass zentrale Energieproduktion damit nicht mehr konkurrieren kann.

[Susanne Jung] Diese Argumentation ist schlüssig. Seba bestätigt diese Aussage mit der Metapher, dass die Atomenergie bereits "in den Teufelskreis des Markttodes" eingetreten sei. Ähnlich würden es auch fossile Energieerzeuger erfahren.

Leider spricht die Realität für Viele eine andere Sprache. Noch immer wird in China, Japan, USA und vielerorts in Europa in neue fossile und atomare Erzeugungskapazitäten investiert. Mehr als 1.500 neue Kohlekraftwerke und über 75 neue Atomkraftwerke sind in Planung. Selbst vor unserer Haustür, in Nordrhein-Westfalen, plant der Energieriese RWE ein neues Kohlekraftwerk der Superlative.

Werden die Energiekonzerne das kapitalintensive Schlachtfeld freiwillig verlassen? Und wird es keinen Kampf um die letzte Tonne Kohle oder das letzte Barrel Öl geben?

[Daniel Bannasch] Dass RWE ein neues Kohlekraftwerk plant, kann man eigentlich nur als schlechten Witz betrachten. Letztlich geht es darum, sehr bald über eine willfährige Politik die Bürger zu erpressen, damit sie den privaten Aktionären die Kohleschulden abnehmen. Bei der Atomkraft haben wir ja bereits erlebt, wie das funktioniert. Und da droht man eben noch mal mit einem neuen Kohlekraftwerk.

Selbstverständlich kann man auch in Zukunft Kohle- und Atomkraftwerke mit gigantischen staatlichen Subventionen bauen und betreiben. Gerade bei der Atomkraft ist das nicht unwahrscheinlich, aber nicht weil man damit günstig Energie produzieren will.

Wenn ein Öl-Land wie Saudi-Arabien, in dem man Solarstrom für 1-2 Cent pro Kilowattstunde produzieren kann, jetzt bis zu 16 Atomkraftwerke bauen will, ist die einzige Erklärung dafür, dass die Produktion von Atomwaffen geplant ist, um als Regionalmacht gegenüber Israel und dem Iran aufzurüsten. Ähnlich dürfte es sich mit Indien und China verhalten. Mit Energieerzeugung hat das im Wesentlichen nichts zu tun.

Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Rüstungsindustrie, die eng mit der fossilen Energiewirtschaft verknüpft ist, die Welt gezielt in Krisen treibt, um mehr Waffen zu verkaufen. Das ist eine sehr reale Bedrohung für alle Menschen auf der Welt.

[Susanne Jung] Umso wichtiger ist es, dass man zukünftig an Erneuerbaren Energien nicht mehr vorbei kommt. Wichtige Impulse für ein Rollout sieht Tony Seba in der Einführung neuer Geschäftsmodelle, die durch neue Technologien und Kostendegressionen angekurbelt werden. Können Sie ganz knapp schildern, wie sich der Autor diesen Umstieg vorstellt?

[Daniel Bannasch] Treiber der Entwicklung sind exponentiell fallende Kosten bei Solaranlagen, Windrädern, Speichern, Elektro-Autos, Sensoren und Massendaten. Sie ergänzen sich und beschleunigen sich gegenseitig in der Dynamik der Marktdurchsetzung. Ursprünglich getrennte Technologien konvergieren und ermöglichen neue Geschäftsmodelle. Geschäftsmodelle sind dabei wichtiger als Technologien.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist das Smartphone. Das erste auf den Massenmarkt zielende Gerät wurde Anfang 2007 von Steve Jobs mit den Worten „We call it I-Phone“ präsentiert. Es hat die Funktionen von Mobiltelefon, Laptop, Fotoapparat, Navi und tragbarem Musikgerät miteinander verknüpft und wurde über einen Vertrag mit monatlichen Zahlungen angeboten. Nicht einmal 10 Jahre später hatte fast jeder ein Smartphone. Das zeigt, wie schnell der Weg von 0 auf fast 100% Marktdurchdringung sein kann, wenn ein Angebot auf die Verbraucher zugeschnitten wird.

[Susanne Jung] Dass „die Disruption nicht wegen, sondern trotz der Regierungen stattfinden sollte“, ist eine der wichtigen Aussagen in Sebas Buch. Vermutet der Autor, dass eine Regulierung durch den Staat, durch Gesetze, nicht mehr erforderlich ist?

Oder sollten wir nicht gerade deswegen, weil die Zeit zur Verhinderung einer Klimakatastrophe uns davon läuft, alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um den Umbau zu beschleunigen? Hermann Scheer schrieb dazu: „Knapp sind nicht die Erneuerbaren, knapp ist die Zeit.“

[Daniel Bannasch] Hermann Scheer hatte mit diesem Satz natürlich recht. Wie er mit fast allem recht hatte, was er in seinen Büchern und Vorträgen analysiert, vorgedacht und vorhergesagt hat. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hatte er gemeinsam mit Hans-Josef Fell und anderen auf die Kraft disruptiver Prozesse durch Kostendegressionen bei industrieller Massenproduktion gesetzt.

Hermann Scheer hielt wenig bis nichts von internationalen Klimakonferenzen und -vereinbarungen, deren Grundmuster war „Global reden, lokal aufschieben.“ Die Absurdität des Konsens-Ansatzes der Klimaverhandlungen („nur wenn alle anderen auch“) als Mechanismus einer vermeintlichen Lastenverteilung hat er immer wieder klar beschrieben. Warum sollte jemand versuchen, im gigantischen Zukunftsmarkt Erneuerbare Energien nicht ganz vorne mit dabei zu sein, hat Scheer gefragt. Und genau darauf hat ein Land wie China in den letzten Jahren gesetzt, während eine korrumpierte Politik in Deutschland und Europa den Bürgern das Diktat atomar-fossiler Energie- und Mobilitätskonzerne aufgezwungen hat - zum Schaden von allen.

Für mich war die "Solare Weltwirtschaft" von Hermann Scheer die "Bibel der Erneuerbaren". Inzwischen würde ich sagen: Die "Solare Weltwirtschaft" war das Alte Testament, die "Saubere Revolution 2030" ist das Neue. Das ist natürlich nur ein Scherz, aber mit einem wahren Kern.

Auch wenn Tony Seba das nicht explizit tut: Konzeptionell knüpft er in vieler Hinsicht an Hermann Scheer an. Das EEG war dazu da, die Kostendegression der Techniken zur Nutzung der Erneuerbaren Energien über die Stimulation von Massenproduktion zu beschleunigen. Viele Länder haben in der Folge das EEG oder vergleichbare Gesetze in Kraft gesetzt. Heute sind die Techniken so günstig geworden, dass es an vielen Stellen vor allem darum geht, den Staat davon abzuhalten, mit Gesetzen, Verordnungen, Normierungen etc. die Nutzung der Erneuerbaren Energien wieder künstlich zu verteuern und ihre Nutzung mit bürokratischen Hemmnissen zu erschweren. Tony Seba beschreibt in der "Sauberen Revolution 2030" das Thema der "Regulatorischen Vereinnahmung" von Politik, Verwaltungen und Regulierungsbehörden durch Konzerne für ihre privatwirtschaftlichen Interessen zu Lasten der Allgemeinheit ausführlich. Und er ist der Ansicht, dass sie sich am Besten raushalten sollten.

Das Grundprinzip staatlicher Eingriffe wäre eigentlich sehr einfach: Atomare und fossile Energien müssen mit allen Kosten, die sie verursachen, belastet werden. Alle Hindernisse für die autonome Energie- und Mobilitätsversorgung müssen beseitigt werden! Oder allgemeiner ausgedrückt: Alles, was Schaden anrichtet, muss teurer und komplizierter gemacht oder sogar verboten werden. Alles, was gut ist, muss billiger und einfacher gemacht werden. Das ist das, was sein sollte.
Das Gegenteil ist in der Regel der Fall. Die Kräfteverhältnisse sind einfach ungleich verteilt. Die Lobbybüros in Berlin und Brüssel, die Millionen kosten, werden eben nicht von denjenigen betrieben, die an der Basis die Energiewende vorantreiben, sondern von großen Konzernen. Wir leben in einer Lobbykratie.

Die gute Botschaft von Tony Seba ist: Obwohl das so ist, ist die saubere Disruption nicht mehr aufzuhalten - aus Kostengründen. Und sie wird sehr schnell kommen.

[Susanne Jung] Wie können wir bei dieser Beschleunigung der Energiewende sicherstellen, dass „dezentral und ökologisch nachhaltig“ der bevorzugte Weg sein wird?

[Daniel Bannasch] Das ist sicher eine große Herausforderung. Vieles, was mit der Umstellung auf Erneuerbare Energien verbunden ist, ist per se nachhaltig, weil wir damit von den verheerenden Auswirkungen unserer heutigen dominant atomaren und fossilen Energieversorgung weg kommen. Allerdings muss man auch bei den Erneuerbaren konsequent das Grundprinzip einfordern, dass alle Materialien, die eingesetzt werden, im Kreis geführt werden (können). Alles, was bedeutet, dass wir auf der einen Seite Rohstoffe in ein Produkt hineinstecken und auf der anderen Seite Müll und Gift herausbekommen, ist nicht nachhaltig. Nur, was beliebig oft wiederholt werden kann, ohne dass Ökosysteme kollabieren, ist nachhaltig.

Was die Frage der Dezentralität angeht: Das Gute ist, dass Dezentralität in der Natur der erneuerbaren Energien liegt. Sonne und Wind, die dominant die Energieversorgung der Zukunft bereitstellen werden, sind in der Fläche verteilt und können auch nur dezentral geerntet werden. Rund 100 Liter Öl (1.000 kWh) pro Quadratmeter und Jahr treffen auf die Oberfläche in Deutschland.

Wenn man es nicht per Gesetz verbietet oder durch ausufernde Bürokratie und Gebühren verhindert, werden immer mehr Menschen das Öl, das von ihren Dächern, Hauswänden und Fenstern tropft, mit immer billigeren Techniken auffangen. Sie werden überall dort, wo es möglich ist, die Sonne ernten, sie in Akkus zwischenspeichern und für stationäre und mobile Anwendungen nutzen - z.B. Wärmepumpen und E-Autos.

Wenn diese Techniken in der Kombination billig genug werden, wird keine Art der zentralisierten Energieversorgung mehr damit konkurrieren können. Das rechnet auch Tony Seba in der „Sauberen Revolution 2030“ vor. Selbst wenn es viele große Wind- und Solarparks gibt und die Netzinfrastruktur vollständig monopolisiert wäre, könnten damit nicht mehr ohne weiteres Monopolgewinne realisiert werden, weil sich die Menschen sonst komplett aus dem Netz ausklinken und für Zeiten der Unterversorgung ein Notstromaggregat installieren. Das macht eine zentrale Versorgung unattraktiv.

Ich halte Autarkie, bei der man sich vollständig abkoppelt, allerdings nicht nicht für die beste Lösung, sondern Autonomie, bei der diejenigen, die größere Flächen haben, Überschüsse produzieren und andere mitversorgen, die diese Flächen vielleicht nicht ausreichend zur Verfügung haben. Wichtig ist, dass das Netz so organisiert ist, dass es nicht einfach durch einen Hackerangriff o.ä. gecrasht werden kann. Am besten scheint mir ein zellular vernetztes System, das in der Lage ist, im Notfall vorübergehend in autark funktionierende Zellen zu zerfallen.

[Susanne Jung] Ihre jüngste Kampagne "Recht auf Sonne" hat viel Aufmerksamkeit erhalten. Was genau verbirgt sich dahinter? Wird Energiewende damit zur Privatsache?

[Daniel Bannasch] Womit wir wieder beim Anfang des Interviews angekommen wären, wo es hieß: "Seit Jahren wird der Ausbau der Erneuerbaren durch immer neue Kürzungen, Einschränkungen und Schikanen behindert. Zubau-Restriktionen, Förderstopps und zunehmende Bürokratievorgaben schießen wie Pilze aus dem Boden und machen Investoren die Entscheidung immer schwerer, auf Wind oder Solar zu setzen."

Vielleicht nenne ich für alle, die es noch nicht kennen, noch einmal die drei Sätze, die sich hinter "Sonne für alle" und dem "Recht auf Sonne" verbergen:
1. Die Sonne ist die Energiequelle für uns alle.
2. Jeder hat das Recht die Sonne frei zu nutzen.
3. Niemand darf bei der Ausübung dieses Rechts willkürlich beschränkt, behindert oder belastet werden.

Es geht also zunächst einmal darum anzuerkennen, dass die Sonne die zentrale Energiequelle ist. Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, welche Energiemenge die Sonne der Erde bereit stellt und dass wir heute bereits zu 99 % solar versorgt sind. Wenn man die Sonne ausschalten würde, würden die Temperaturen auf der Erde sehr schnell so weit absinken, dass menschliches Leben nicht mehr möglich wäre.

Der Kern der Forderung nach einem "Recht auf Sonne" ist, die Nutzung der Sonne als ein unveräußerliches Grundrecht festzustellen. Der Staat sollte seine Bürger durch keine willkürlichen Eingriffe daran hindern (dürfen), eine autonome Energieversorgung von unten aufzubauen und sich damit aus der langjährigen, verhängnisvollen Abhängigkeit von einem atomarfossilen Konzern-Energie- und Mobilitätssystems zu befreien. Wenn dieses Recht uneingeschränkt gilt, entwickelt sich von unten eine Dynamik, die eine Fülle gemeinschaftlicher Aktivitäten und Initiativen (z.B. für genossenschaftliche Langzeitspeicher oder den Betrieb autonomer E-Fahrzeug-Flotten) einschließen würde und kaum noch aufzuhalten wäre. Das wäre also alles andere als eine reine Privatsache, sondern würde bedeuten: "Gemeinsam etwas Sinnvolles schaffen."

Es ist offensichtlich, dass wir für ein "zur Sonne, zur Freiheit" kämpfen müssen - gemeinsam mit allen, die das Gleiche wollen. Und ich hoffe, dass irgendwann auch alle in Politik und Verwaltungen sich diesem Kampf ohne Wenn und Aber anschließen werden. Sie sind ja schließlich nur vorübergehend Funktionsträger, aber ihr ganzen Leben lang Menschen. Und als Menschen wollen sie im Grunde ihres Herzen genauso wie wir alle, dass es auf der Welt gerecht zugeht und alle überall auf der Welt gut leben können - Kinder und Enkel eingeschlossen. Das geht nur mit einer Hinwendung zur Sonne.

[Susanne Jung] Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!


Den Staat in die Verantwortung nehmen: Kurzstatement des SFV