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Die gemeinsame Erklärung der deutschen Windindustrie vom 01.03.1016

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Ausschreibungen im EEG - ein feindseliger Akt gegen die Erneuerbaren Energien

In einer gemeinsamen Erklärung vom 1. März 2016 an die Adresse des Gesetzgebers bittet die deutsche Windindustrie um Berücksichtigung industriepolitischer Belange bei der Abfassung des EEG 2016.
Sie wendet sich gegen die Vorschläge zur Einengung der Ausschreibungsmengen für Windenergieanlagen auf Basis einer kleinteiligen Formel in den Eckpunkten für das EEG 2016.

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) schließt sich dieser Warnung der deutschen Windindustrie vor den Folgen eng begrenzter Ausschreibungen für Windparks an. Dies gilt ebenso für Ausschreibungen für Solarstromanlagen.

Allgemein ist bekannt, dass insbesondere die wirtschafts-konservativen Politiker planwirtschaftliche Verfahren wegen ihrer Ineffektivität ablehnen - so begründeten sie z.B. die Überlegenheit des kapitalistischen Systems über den ehemaligen Ostblock.

Dass dennoch die Bundesregierung nunmehr planwirtschaftliche Ausschreibungen und Ausbaukorridore für Wind- und Sonnenenergie vorsieht, sehen wir als feindseligen Akt an. Die Bundesregierung will die Energiewende sabotieren.

 

Zwei Kritikpunkte

Im weiteren Verlauf ihrer gemeinsamen Erklärung setzt sich die Windindustrie dafür ein, dass wie bisher jährlich 2.500 MW netto Windanlagen an Land hinzu gebaut werden dürfen und dass der Ausbau der Fernübertragungsnetze zum wichtigsten Projekt der Energiewende gemacht werde. Diesen beiden Forderungen stimmen wir nicht zu!
Die Forderung nach 2.500 MW netto Zubau pro Jahr halten wir für zu gering - absolut und um eine ganze Größenordnung!
Die Forderung nach dem Ausbau der Fernübertragungsnetze sehen wir dagegen als peinlich und sogar kontarproduktiv an.
Zu Beidem werden wir nachfolgend Stellung nehmen.

 

Warum braucht Deutschland mehr Windenergie als von der Windindustrie gefordert?

Zunächst einmal befassen wir uns mit der Forderung nach einem jährlich konstanten Zubau von 2.500 MW netto (die Bezeichnung netto besagt, dass der Ersatz ausgemusterter Windanlagen nicht mitgezählt wird).

2.500 MW netto jährlich mag ausreichen, das Überleben der Windindustrie zu sichern - das können die Windexperten selbst am besten beurteilen. Doch es geht um mehr als nur um den Bestand der deutschen Windindustrie - es geht um die Abwehr des Klimawandels entsprechend den Dekarbonisierungszielen von Paris! Dekarbonisierung bedeutet Energiebereitstellung ohne CO2-Ausstoß.

Als Umweltschutzverein kommt der SFV glücklicherweise nicht in den Verdacht, pro domo zu sprechen, wenn wir den Windfreunden ungefragt argumentativ zur Seite springen:

Die Dekarbonisierung soll nicht nur im Strombereich, sondern natürlich auch im Verkehrssektor und bei der Wärmeversorgung durchgeführt werden. Wir rechnen mit einem deutlichen Rückgang des Primärenergieeinsatzes, z.B. beim Umstieg auf Elektroautos. Der Endenergieverbrauch wird sich dadurch allerdings kaum ändern. Der Endenergieverbrauch kann sich am ehesten noch durch verbesserte Wärmedämmung und Einsatz von Wärmepumpen vermindern Die insgesamt benötigte Endenergie wird sich von etwa 2.500 TWh vielleicht bis auf 2.000 TWh vermindern und ist damit immer noch mehr als dreimal so groß wie die derzeitig benötigte elektrische Energie. Dies wird von der Bundesregierung bei ihren Energieplanungen gerne unterschlagen. Möglicherweise will sie den Eindruck erwecken, sie habe bereits genug veranlasst.
Gehen wir also von jährlich 2000 TWh aus, die demnächst CO2-frei bereitgestellt werden müssen.

Da Solarenergie im deutschen Winter eher schwächelt und außerdem der Endenergieverbrauch im Winter höher ist, sollte die Windenergie mehr als die Hälfte liefern, sagen wir 1.200 TWh. Windenergie steht mit jährlich maximal 2000 Volllaststunden zur Verfügung. Somit wäre eine installierte Gesamtleistung von 1.200 TWh / 2.000 h = 0,6 TW = 600.000 MW angemessen.

Wie man jedoch mit einem jährlichen Zubau von nur 2.500 MW netto (wie ihn die Windindustrie fordert) auf eine installierte Gesamtleistung von 600.000 MW kommen will, ist uns unerfindlich. Wir haben nicht 240 Jahre Zeit!

 

Absurd: Bei Schwachwind mit dem Mittel des Netzausbaus eine bedarfsgerechte Dauerleistung bereitstellen! Warum keine Stromspeicher?

Die Aufgabe, mit fluktuierender Wind- und Solarleistung eine bedarfsgerechte Dauerleistung für eine große Industrienation bereitzustellen, ist relativ neu und es gibt kaum praktische Erfahrungen. Allerdings kann man den von der Windindustrie vorgeschlagene Weg mit Sicherheit als ungangbar ausschließen. Diesen Vorschlag halten wir für so abwegig, dass wir ihn hier wörtlich zitieren, um uns gegen den Vorwurf zu wappnen, wir hätten ihn vielleicht missverstanden.

In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 1. März 2016 klagt die deutsche Windindustrie wörtlich:

"Vorausschauende Planung und entsprechende Investitionen in die Netzinfrastruktur schon vor Jahren hätte die aktuelle Situation der Netzengpässe verhindern können. Umso wichtiger ist es jetzt, die Systemoptimierung und den Netzausbau auf See und an Land zu forcieren und zum wichtigsten Projekt der Energiewende zu machen..."

Über 40 bekannte deutsche Wind-Unternehmen haben dieses Konzept sinngemäß und kritiklos aus den Verlautbarungen der Bundesregierung und von der AGORA Energiewende übernommen, anstatt sich dagegen energisch zu verwahren. Erkennen sie nicht, dass Netzengpässe nur ein vorgeschobener Grund für die Verlangsamung des Wind- und Solarausbaus sind?

Über den Netzausbau auf See mag man ja noch unterschiedlicher Meinung sein - außerdem stellt er kaum noch ein Problem dar. Aber dass sich die Windindustrie geschlossen und kritiklos hinter den Netzausbau an Land stellt, fällt den Windfreunden (z.B. auch dem Solarenergie-Förderverein Deutschland) in den Rücken, die sich für einen forcierten bundesweiten Ausbau der Windenergie möglichst in der Nähe der Verbraucher und ohne zusätzliche Fernübertragungsleitungen einsetzen.

Das angebliche Fehlen von Fernübertragungstrassen ist nicht das Problem - es wird nur künstlich zum Problem hochstilisiert. Tatsächlich gibt es aber ein völlig anderes und gewichtigeres Problem bei der Umstellung der Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien. Das sind die Zeiten, in denen in ganz Deutschland praktisch überhaupt kein Wind weht und die Sonne keinen Energie-Beitrag liefert, wie z.B. am 26.12.2014 um 08:00 Uhr vormittags. Der engagierteste Netzausbau hätte in einer solchen Stunde nichts retten können. Es hätte zu dieser Stunde im deutschen Stromnetz eine Leistung von 45.000 MW gefehlt. Und das ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 30 solcher Stunden! Mehr als dreißigmal fehlte eine enorme elektrische Leistung, die der Leistung von 45 Kernkraftwerksblöcken entspricht. Wer hätte diese Leistung in einer CO2-freien und atomfreien Energiewirtschaft denn liefern sollen?

Gesucht wird eine Lösung, die zwei Probleme beseitigen kann:

Problem 1 (genauer gesagt: kein Problem, sondern eine erfreuliche Tatsache, die von der Bundesregierung zum Problem erklärt wird, anstatt sie herzhaft zu nutzen): Es gibt in manchen Stunden in ganz Deutschland fast fünfmal so viel Windstrom wie im Jahresdurchschnitt. Windenergie im Überfluss! Die Netze reichen dann nicht für den Abtransport des Überschusses. Aber wenn es die Netze gäbe, wohin sollte der Abtransport dann erfolgen? Es gibt bei solchen Wetterlagen in ganz Deutschland keine Stromverbraucher, die noch zusätzlichen Windstrom aus anderen Regionen gebrauchen könnten.

Problem 2 (ein "echtes" Problem, wie man ironisierend sagen könnte): Es gibt gar nicht so selten in ganz Deutschland fast überhaupt keinen Wind- und Solarstrom.

Die Lösung kann sich nur aus einer Zusammenschau beider Probleme ergeben. Sie lautet: Wir speichern die Überschüsse windig-sonniger Stunden als Vorrat für die Zeiten ohne Wind und Sonne. Dazu brauchen wir Stromspeicher.

Der Einwand, dass Stromspeicher teuer seien, ist bekannt. Von alleine werden sie aber nicht billiger. Dieses Problem lässt sich nur mit Massenproduktion lösen. Wo bleiben Speicher-Markteinführungsprogramme mit den notwendigen hohen Gewinnanreizen?

 

Der Windzubau muss von Jahr zu Jahr gesteigert werden - ein bis zwei Größenordnungen mehr als von der Windindustrie gefordert

Wer akzeptiert, dass überschüssige Windenergie vorsorglich für Stunden, Tage oder Wochen ohne Wind aufgespeichert werden soll, muss sich mit der Tatsache vertraut machen, dass Langzeitspeicher noch sehr schlechte Wirkungsgrade haben. Mehr als die Hälfte der eingespeicherten elektrischen Energie geht verloren. Man muss also mehr als das Doppelte erzeugen und einspeichern. So lange nur wenig Überschüsse gespeichert werden müssen, schlägt das kaum zu Buche. Aber denken wir einmal voraus bis zu dem Jahr, in dem erstmalig Deutschland ausnahmslos mit Erneuerbarer Energie - vorwiegend aus Wind- und Sonnenenergie und aus deren gespeicherten Überschüssen - versorgt werden soll. Der Stromanteil, der aus Langzeitspeichern kommen wird, muss bis dahin ganz erheblich zunehmen - und mit ihm nehmen auch die Speicherverluste ganz erheblich zu.
Diesen Speicherverlusten muss durch eine Erhöhung des netto Wind- und Solaranlagenzubaus entgegengewirkt werden.

Greifen wir noch ein Detailproblem heraus, um den Ernst der Situation zu illustrieren: 2021 werden drei Atomkraftwerke und 2022 werden weitere drei AKW abgeschaltet. In zwei aufeinander folgenden Jahren müssen somit zusätzlich netto jeweils 3.000 MW Dauerleistung durch Erneuerbare Energien und ihre Stromspeicher ersetzt werden. Eine grobe Überschlagrechnung ergibt, insbesondere unter der Berücksichtigung der niedrigen Wirkungsgrade bei den Langzeitspeichern, dass dafür 15.000 MW netto Solarzubau und 15.000 MW netto Windzubau erforderlich sind. Da aber gleichzeitig noch im Zuge der Dekarbonisierung weitere Fossilenergie ersetzt werden soll, ist ein Gesamtzubau im Jahr 2021 von 20.000 Megawatt netto Windanlagen, also achtmal mehr als von der deutschen Windindustrie derzeit gefordert, anzustreben.

 

Zusammenfassung - Die Windindustrie muss gefordert und gefördert werden

In einer Zeit der nationalen - ja sogar der globalen Gefahr, sollte der Gesetzgeber die Windindustrie, die hier helfen kann, fordern und fördern, anstatt sie zu bremsen und zu gefährden.