Für Klimaschützer ist es klar, dass die Stromerzeugung aus Braunkohle ein besonders klimaschädliches Verfahren ist, das dem Gemeinwohl keineswegs dient, sondern es sogar schwer schädigt, und das deshalb grundgesetzwidrig ist.
Wenn das Bundesverfassungsgericht die Grundgesetzwidrigkeit der Energiegewinnung aus Braunkohle feststellen würde, dann würde das das Ende dieser schmutzigen Technik bedeuten.
Doch ganz so einfach ist Verfassungsschutz leider nicht. Der SFV hat deshalb bei Prof. Dr. Felix Ekardt ein Rechtsgutachten bestellt. Sein Inhalt sei nachfolgend kurz erläutert:
Was dem Gemeinwohl dient, bestimmt der Gesetzgeber, d.h. das Parlament, das in freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt wurde.
Die grundlegende Entscheidung, Braunkohle zur Stromerzeugung zu nutzen, haben bisher die Landesparlamente in verschiedenen sogenannten Landesplanungsgesetzen in sehr allgemeiner Form beschlossen und die praktische Entscheidung darüber, wann und wo die Braunkohle abgebaut werden soll, nämlich die Aufstellung der sogenannten "Braunkohlepläne" an die Landesregierungen und verschiedene Ausschüsse delegiert.
Im der Neufassung des Landesplanungsgesetzes NRW Vom 3. Mai 2005 heißt es dazu zum Beispiel:
(1) Die Braunkohlenpläne bedürfen der Genehmigung der Landesplanungsbehörde im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Landesministerien und im Benehmen mit dem für die Landesplanung zuständigen Ausschuss des Landtages. Zur Herstellung des Benehmens leitet die Landesregierung den Entwurf der Genehmigung dem Landtag mit einem Bericht über das Genehmigungsverfahren zu. Teile des Braunkohlenplanes können vorweg genehmigt werden; es können Teile des Braunkohlenplanes von der Genehmigung ausgenommen werden.
(2) Die Genehmigung der Braunkohlenpläne ist nur zu erteilen, wenn sie den im Landesentwicklungsprogramm festgelegten Erfordernissen der Raumordnung zur Sicherung einer langfristigen Energieversorgung entsprechen und die Erfordernisse der sozialen Belange der vom Braunkohlentagebau Betroffenen und des Umweltschutzes angemessen berücksichtigen.
Soweit der Auszug aus dem NRW-Landesplanungsgesetz.
Die Folge ist: Der einzelne Bürger, kann gegen eine Enteignung zwar klagen und damit bis zum Bundesverfassungsgericht gelangen, doch musste er bisher mit der Klage so lange warten, bis ihm (Jahre nach Verabschiedung des Braunkohlenplans) amtlich mitgeteilt wurde, dass nun auch sein Grundstück weggebaggert werden sollte.
So ist es dem Eigentümer einer Obstbaumwiese im Garzweiler-II-Gebiet ergangen, der sich wegen der Enteignung schließlich an das Bundesverfassungsgericht gewendet hat. Dieses hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2013 unter anderem ausgeführt, der Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug hätte so rechtzeitig eröffnet werden müssen, dass eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung ALLER Enteignungsvoraussetzungen realistisch hätte erwartet werden können.
Im gegebenen Fall sei das allerdings nicht mehr möglich, da bereits mit dem Braunkohleplan und dem Rahmenbetriebsplan usw. zu viele Vorfestlegungen erfolgt seien. So müsse man dem Kläger zwar Recht geben, doch es ließe sich die Enteignung nicht mehr rückgängig machen (weil die Wiese bereits weggebaggert ist).
Das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. Felix Ekardt baut nun auf dieser Entscheidung des BVerfG auf. Wenn es zulässig sei, dass der im einzelnen Betroffene die gesamten Abwägungen der Grundsatzentscheidung des Parlaments vor dem Verfassungsgericht zur Überprüfung stellen darf, dann müssten die Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit bezüglich der Gemeinwohlbestimmung nachvollziehbar sein. Dann dürfe es nicht völlig in das Belieben des Gesetzgebers gestellt sein, wie er das Gemeinwohl definiert. Dann müsse es definierbare Grenzen geben. Und diese Grenzen könne nur das Grundgesetz ziehen, dem sich sogar das Parlament unterordnen müsse. Im Folgenden begründet Prof. Ekardt dann eine Hierarchie der verschiedenen Grundrechte, die letztlich darauf hinausläuft, dass eine nach dem Stand der Klimawissenschaft von der Nutzung fossiler Energien ausgehende Gefährdung des Menschenrechts auf Leben und körperliche Gesundheit die Gemeinwohlannahme bei Enteignungen zum Nutzen der Kohleverstromung und damit die Verfassungsmäßigkeit solcher Enteignungen ausschließt.
In einem weiteren mehr technisch ausgerichteten Teil seines Gutachtens weist Prof. Ekardt auf die zu erwartende Unwirtschaftlichkeit der jetzt errichteten Kohlekraftwerke wegen absehbarer abnehmender Ausnutzung und zu erwartender zusätzlicher Kosten bei der Abscheidung der unzulässigen Quecksilberemissionen hin. Dieser Teil des Gutachtens belegt, dass der Gesetzgeber bei der Grundannahme eines Gemeinwohlnutzens auch noch erhebliche wirtschaftliche Nachteile der Braunkohleverstromung übersehen hat.
Der nicht mit Fragen des Verfassungsrechts vertraute Leser bekommt möglicherweise Schwierigkeiten beim Lesen des stark komprimierten Kapitels "Zusammenfassung", da ihm Kenntnisse fehlen, die dort als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Er möge getrost weiterblättern, denn der folgende Hauptteil des Gutachtens ist wegen der ausführlicheren Darstellung für Nichtjuristen besser verständlich und außerdem wegen der eleganten Formulierungen mit Genuss und Gewinn zu lesen.
Das Gutachten soll als argumentative Stütze bei Klagen des BUND Sachsen und Brandenburg sowie anderer Umweltgruppen gegen Enteignungen im Braunkohlegebiet Welzow II Süd und Nochten II dienen. Seine Finanzierung und Verbreitung ist ein Beitrag des SFV zum Kampf für die Energiewende und speziell gegen die Kohleverstromung.
Sie finden es unter
http://www.sfv.de/artikel/eigentum_klimaschutz_und_verfassungsrecht.htm
Die Thematik weiterer damit im Zusammenhang stehender Gutachten ist unter http://www.sfv.de/artikel/grundrecht_auf_leben_und_gesundheit_einfordern_-_sfv_beschreitet_den_rechtsweg_m.htmerläutert.
Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin (http://www.nachhaltigkeit-gerechtigkeit-klima.de), die sich der Grundlagenforschung und Politikberatung öffentlicher und gemeinnütziger Auftraggeber im Bereich der humanwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung zu Politikinstrumenten, Rechtsfragen, Bedingungen der gesellschaftlichen Transformation und Gerechtigkeitsfragen widmet. Ferner ist er Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie am Ostseeinstitut für Seerecht, Umweltrecht und Infrastrukturrecht der Juristischen Fakultät der Universität Rostock sowie Long-term Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.