Redebeitrag auf der Kundgebung "Hambi retten! Kohle stoppen! Pinkwart die Meinung sagen!"

 

Am 28.09.18 kam Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP), NRW-Minister für Energie, ins Aachener Technologiezentrum, um im Rahmen der Veranstaltung Aachen 2025 öffentlich aufzutreten. Verschiedene Organisationen riefen zur gleichen Zeit zu einer Kundgebung vor dem Veranstaltungsort auf. Auf der Kundgebung wurde von Rüdiger Haude folgende Rede vorgetragen.


Liebe Freundinnen und Freunde,

wir haben uns heute hier getroffen, weil ein Mitglied unserer Landesregierung, Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) nebenan ist. Dieser Mann, der auch für Energiefragen zuständig ist, hat sich mehrfach zum Hambacher Wald geäußert. So sagte er z.B.:

Die Rodungen seien notwendig, „damit die Kohlekraftwerke die Energieversorgung in NRW“ sicherstellen können (AN, 24.8.2018) (obwohl er wissen sollte, welche Stromüberkapazitäten wir in Deutschland haben). Pinkwart weiter: „Braunkohle hat eine wichtige Brückenfunktion“ (obwohl er wissen sollte, dass nichts schlechter zur Energiewende passt als die inflexiblen Braunkohlemeiler). Pinkwart weiter: „Deutschland wird noch auf längere Sicht auf Kohle angewiesen sein“ (obwohl er wissen sollte, dass das den Planeten ruiniert). Pinkwart weiter: Braunkohle sei „nie subventioniert“ worden (Interview, AZ, 25.9.2018) (obwohl er wissen sollte, dass RWE seit Jahrzehnten die Atmosphäre als kostenlose Müllkippe für CO2 benutzt – um nur diesen Subventionsaspekt zu benennen).

Pinkwart weiter: „RWE hat für Tagebau und Rodungen […] alle Genehmigungen.“ (ebd.) Dieses Zitat führt zum Thema meines Redebeitrags: Die Frage des Rechts.

Auch Wohlmeinende behaupten oft, RWE sei im „Recht“, es soll nur auf dieses „Recht“ verzichten. So z.B. das „Handelsblatt“ am 12.9. mit der Empfehlung, RWE solle beim Hambi „nicht auf sein Recht pochen“. Oder der WDR am 31.8.: „Im Streit um den Hambacher Forst hat der Energiekonzern das Recht auf seiner Seite. Doch eine Rodung des Waldgebiets für den Tagebau kann RWE gewaltig schaden.“

Das ist ein böses Missverständnis, das wir nicht mitmachen sollten. Klar: RWE besitzt „alle Genehmigungen“; oder, wie die RWE-Managerin Katja von Doren am 6. September im WAZ-Interview sagte: „Im Hambacher Forst geht es um vor langer Zeit beschlossene Pläne, für die es eine klare Rechtsgrundlage gibt.“

Aber es gibt „das Recht“ nicht als eindeutiges, homogenes Gebilde. Ich will hier ausklammern, dass es auch wirklich üble Gesetze gibt, für deren Änderung und Abschaffung man kämpfen sollte. Ich schaue nur die vorhandenen Gesetze an und entdecke: die sind widersprüchlich und komplex; oft steht Recht gegen Recht, und vor allem sind sie ständig im Wandel. RWE mag seine „vor langer Zeit beschlossenen Pläne“ haben. Aber wir wissen heute mehr als „vor langer Zeit“. Das ändert auch die Rechtslage.

Was haben wir, wo RWE seine „vor langer Zeit beschlossenen Pläne“ hat? – Zunächst einmal haben wir das Grundgesetz. Die darin formulierten Grundrechte binden alle Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht – also sowohl Gesetzgeber als auch Gerichte. Wir haben z.B. den Artikel 2, in dem es heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Der Braunkohletagebau verstößt gegen dieses Recht z.B. durch Ausbringung großer Mengen von giftigem Quecksilber, vor allem aber weltweit durch die Produktion von Extremwetterereignissen infolge des Treibhauseffekts.

Oder wir haben den Artikel 14, mit dem schönen Satz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“Wie kann man denn noch krasser gegen diese Bestimmung verstoßen, als RWE das mit seinen Komplizen in der Landesregierung tut?

Es geht um den menschengemachten Klimawandel, bei dem RWE einer der ganz großen Täter weltweit war und ist. Die Einsicht in diesen globalen physikalischen Sachverhalt ist in den letzten Jahrzehnten enorm angewachsen – übrigens gegen den Widerstand von Konzernen wie RWE. Wir wissen heute, dass wir die Energieversorgung auf globaler Ebene in kurzer Zeit vollständig dekarbonisieren müssen, und die Weltgemeinschaft hat sich im Dezember 2015 in Paris darauf geeinigt, diesen Schritt zu gehen. Das „1,5-Grad-Ziel“ (also, die menschengemachte Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen) erfordert für Deutschland, bis 2040 in allen Energiesektoren auf Null Emissionen zu kommen, im Stromsektor bis 2030. Dies ergibt sich aus dem verbleibenden „Carbon Budget“; jeder seriöse Physiker kann Ihnen das vorrechnen, Herr Pinkwart!

Das Pariser Klimaabkommen ist ebenfalls unmittelbar geltendes Recht, und zwar Völkerrecht. Deutschland hat einen „Klimaschutzplan 2050“ verabschiedet, der auf eine CO2-Reduzierung von 85% im Jahre 2050 abzielt. Das ist faktisch ein Bruch des Pariser Abkommens! Und selbst bei diesem viel zu unambitionierten Ziel wird bereits die erste Zwischenetappe verfehlt.

Was ganz sicher gegen dieses Abkommen verstößt, ist der Weiterbetrieb von Europas klimaschädlichsten Kraftwerken, in Neurath und in Niederaußem. Das sind die Dreckschleudern, die mit der Kohle aus dem Tagebau Hambach befeuert werden. Für diese Klimakiller soll der Hambacher Wald zerstört werden! Für diese Klimakiller findet seit zwei Wochen die staatliche Gewaltorgie gegen die Waldschützer*innen im Hambi statt. Eine solche Politik mag sich auf allerhand berufen, aber nicht auf das Recht! Was ist ein Genehmigungszettel von der Arnsberger Bezirksregierung gegen das Grundrecht auf Gesundheit? Was ist irgendein Gerichtsbeschluss gegen die Möglichkeit unserer Kinder und Enkel, den Planeten Erde noch bewohnen zu können?

RWE kann pochen, worauf es will – der Konzern ist ganz gewiss nicht im „Recht“!

Und wenn weder Gesetzgeber, noch Regierungen, noch Gerichte diesen Sachverhalten Geltung verschaffen können, dann gibt es noch einen weiteren demokratischen Akteur, der dem Recht zum Durchbruch verhelfen kann. Das sind wir! Was Parlamente und Regierungen und Gerichte entscheiden – darauf haben wir auch einen Einfluss, wenn wir ausdauernd und viele und laut sind. Sorgen wir dafür, dass unsere Stimme gehört wird!

Und deshalb habe ich für Herrn Pinkwart noch eine Botschaft für die nächste Sitzung der Landesregierung: Ihr Kollege, Innenminister Herbert Reul, hat ja noch einmal ein ganz besonderes Verhältnis zur Rechtlichkeit. Von den angeblichen Tunnelsystemen unter dem Hambi, die Lokaljournalisten schon an eine Wiederkehr des Vietnamkriegs denken ließen, über seine Waffenfunde, bei denen er verschwieg, dass sie schon jahrelang in der Asservatenkammer Rost ansetzten, bis hin zu der dreisten Lüge letzten Samstag in „Westpol“, für die Windräder hier im Aachener Stadtwald würden mehr Bäume gerodet als im Hambacher Forst – eine lange Linie der lügnerischen Aufhetzung zieht sich durch die Amtsführung dieses Mannes. Zu dem Zerstörungswerk seiner Polizeibeamten im Hambi sagte er im „Westpol“-Interview, es gehe darum, „den Wald zu schützen“. Wenn Recht etwas mit Wahrheit zu tun haben soll, dann ist Reul offensichtlich ein Rechtsbrecher! Dieser Mann hat genug Schaden an der politischen Kultur in Nordrhein-Westfalen angerichtet! Er muss zurücktreten oder entlassen werden! – Und Hambi bleibt!