Was Energiewende, Klimaschutz und Zukunftstechnologien anbelangt, war die letzte Legislaturperiode in Deutschland ein Totalausfall. Selbst die laschen deutschen Klimaschutzziele mit 40 Prozent Treibhausgasreduktionen für das Jahr 2020 wurden quasi beerdigt. Kaum jemand glaubt noch, dass diese Ziele realistisch einzuhalten sind. Rund 80.000 Arbeitsplätze wurden in der Photovoltaik vernichtet. Die Windbranche steuert durch die politischen Eingriffe ins EEG im Jahr 2019 auf eine ähnliche Katastrophe zu. Und mit dem Festhalten am Diesel und einem diplomatisch ausgedrückt verhaltenen Einstieg in die Elektromobilität könnte das Autoland Deutschland bald sogar die Technologieführerschaft bei seinem liebsten Kind verlieren.
Extremen Anlass zur Sorge bereitet vor allem die totale Ignoranz der Gefahren durch die immer schneller voranschreitende globale Erwärmung. Der Temperaturanstieg von der Eiszeit vor 20.000 Jahren bis zur heutigen Warmzeit betrug gerade einmal gut 3 Grad Celsius, wie Bild 1 zeigt. Während sich dieser Temperaturanstieg über 12.000 Jahre hinzog, könnten wir innerhalb der nächsten 100 Jahre noch einmal den gleichen oder sogar einen noch größeren Temperaturanstieg verursachen. Der bisherige Temperaturanstieg beträgt bereits 1 Grad Celsius.
Bild 1: Entwicklung der weltweiten Durchschnittstemperaturen und der Meeresspiegel seit dem Ende der letzten Eiszeit (Daten: CDIAC, Marcott et al., Shakun et al., Fleming et al. 1951-1980 = 0)
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Wenn man sich die gravierenden Veränderungen seit der letzten Eiszeit mit einem Meeresspiegelanstieg von über 100 Metern vor Augen hält, lässt sich dunkel erahnen, welches Katastrophenpotenzial der Klimawandel beinhaltet. Die diesjährige Hurrikansaison in den USA mit rund 200 Milliarden Euro Schäden und vielen Todesopfern hat uns schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf einen extremen Klimawandel gegeben. Wollen wir die Folgen des Treibhauseffekts noch in einigermaßen kontrollierbaren Dimensionen halten, müssen wir die globale Durchschnittstemperatur möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Genau das ist auch die zentrale Forderung des Pariser Klimaschutzabkommens, das im Jahr 2015 beschlossen wurde.
Diese Erkenntnis wird allerdings nicht von allen politischen Kräften geteilt. Für die AfD ist Kohlendioxid kein Treibhausgas, sondern ein Bestandteil des Lebens. Konsequenterweise möchte sie auch in Donald-Trump-Manier am besten gleich das Pariser Klimaschutzabkommen kündigen. Alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien bekennen sich hingegen einhellig zum Pariser Klimaschutzabkommen.
Ob sie die Konsequenz ihrer Aussagen wirklich verstanden haben, wenn sie wie die FDP behaupten Die Grundlage unseres Handelns
ist das Pariser Klimaschutzabkommen, lässt sich allerdings stark bezweifeln. Nach aktuellem Stand der Forschung wird das verfügbare Kohlendioxidbudget, das wir für das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze noch maximal ausstoßen dürfen, spätestens in den 2030er-Jahren erschöpft sein. Das bedeutet, dass auch die FDP dem Aufbau einer komplett kohlendioxidneutralen Energieversorgung auf Basis 100 Prozent erneuerbarer Energien in spätestens 20 Jahren als Grundlage ihres Handelns uneingeschränkt zustimmen müsste. Lassen wir uns überraschen.
Eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition ist ja nach dem aktuellen Stand sehr wahrscheinlich, eine Politik, die auf das konsequente Einhalten der Pariser Klimaschutzabkommens zielt, leider nicht. Selbst die Grünen ziehen ihre roten Linien eher bei der Flüchtlingspolitik als beim Klimaschutz. Schon im Wahlkampf haben sie einige Positionen bezogen, die der 1,5-Grad-Grenze alles andere als zuträglich sind.
Wollen wir Ende der 2030er-Jahre kohlendioxidfrei werden, brauchen wir eine Reihe sehr konsequenten Maßnahmen:
- zeitnahes Ende des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen
- Stopp des Aufbaus neuer fossiler KWK-Anlagen in den nächsten 5 Jahren.
- Produktionsende für Verbrennungsmotoren bis zum Jahr 2025
- Kohleausstieg bis spätestens 2030
- Verzehnfachung der Photovoltaik-Zubauzahlen von 2016
- Verdopplung bis Verdreifachung der Windkraft-Zubauzahlen von 2016
- Konsequenter Einstieg in den Aufbau großer Speicherkapazitäten.
Viele dieser Maßnahmen lassen sich innerhalb des recht kurzen Zeitfensters nur noch durch extreme Preissignale wie der Verdopplung von Heizöl-, Benzin- oder Dieselpreisen oder unbeliebten ordnungspolitischen Maßnahmen erzwingen. Es ist kaum vorstellbar, dass sich eine Jamaika-Koalition dazu durchringen wird. Insofern werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode bei der Energiewende ziemlich sicher nicht das nötige Tempo für die Pariser Klimaschutzziele erreichen.
Es lässt sich aber ein wenig hoffen, dass zumindest ein paar Weichen für eine Temposteigerung gestellt werden. Einige Punkte, für welche die Klimaschutz-Befürworter kämpfen sollten, wären:
- Konsequente Vereinfachung des EEG und Streichen aller Deckel und Ausbauhemmnisse
- Ausnahme aller PV-Dachanlagen von der Ausschreibung
- Ausnahme von Bürgerwindparks von der Ausschreibung
- Ersatzloses Streichen der Eigenverbrauchsabgabe auf Strom aus erneuerbaren Energien
- Reduktion der Abgaben auf Strom und Erhöhung der Abgaben auf Heizöl und Erdgas
- Baupflicht für Ladepunkte beim Neubau von PKW-Stellplätzen
- Verschärfung der Quecksilber-Grenzwerte für Kohlekraftwerke
- Absichtserklärungen für einen Kohleausstieg und das Ende der Öl- und Gasheizung
Für eine weitere Temposteigerung müssen alle zukunftsorientierten Kräfte außerhalb des Parlaments weiter Druck aufbauen. So traurig es sein wird: Unerwartete Folgen von Naturkatastrophen oder der Nutzung der Kernenergie werden auch in den nächsten Jahren den Handlungsdruck auf die Politik signifikant erhöhen.
Außerdem wird der Preisdruck auf konventionelle Technologien weiter zunehmen. Erst jüngst wurde der Bau einer Photovoltaikanlage in Saudi-Arabien für unter 2 Cent pro Kilowattstunde angeboten. Neue fossile oder gar atomare Kraftwerken haben bei diesen Preisen keine Chance mehr. Und dann werden noch preisgünstige Elektroautos aus China den weltweiten Automobilmarkt durcheinanderwürfeln.
Was für den Klimaschutz positive Aussichten sind, wird den Standort Deutschland vor enorme Herausforderungen stellen. Wir müssen die Braunkohleförderung abwickeln, ohne die betroffenen Regionen strukturell abzuhängen und die Menschen dort den radikalen Parteien zuzutreiben. Wir müssen schauen, dass die Produktion von Autos in Deutschland nicht den gleichen Weg nimmt, wie die der Herstellung von Mobilfunkendgeräten. Auch die Umbrüche bei den Autowerkstätten werden durch die viel wartungsärmeren Elektrofahrzeuge enorm sein. Die Anforderungen an Fachkräfte werden sich massiv verschieben. Statt Getriebe oder Zündkerzen zu wechseln, müssen sie bald Hochvoltbatterien warten. Und bei der Heizungsbranche gilt es, statt Öl- und Gasheizungen künftig vor allem Wärmepumpen einzubauen. Wirklich vorbereitet darauf ist die Heizungsbranche nicht.
Insofern ist die größte Herausforderung der Energiewende nicht die Technologie oder die Finanzierung des Umbaus, sondern die Herstellung der nötigen Akzeptanz und die rechtzeitige Ausbildung der benötigten Fachkräfte. Je eher die verantwortlichen Politiker das verstehen, desto einfacher wird die Energiewende gelingen.
Eine Jamaika-Regierung wird auf jeden Fall einen Bruch mit der aktuellen Energiepolitik bedeuten. Hoffen wir, dass sich die vernünftigen Kräfte in allen Parteien weitgehend durchsetzen können. Und hoffen wir auf China, dass sie mit immer billigeren Solaranlagen und Elektroautos die Weltwirtschaft so stark unter Druck setzen, dass wir doch noch eine realistische Chance haben, die Klimaschutzziele zu erreichen.
Zum Autor:
Prof. Dr. Volker Quaschning ist Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin und Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien,
https://www.volker-quaschning.de, https://www.youtube.com/c/VolkerQuaschning