Ihren Beschluss zum beschleunigten Ausbau der Höchstspannungsnetze vom Dezember 2012 begründete die Bundesregierung zum wiederholten Mal mit der angeblichen Notwendigkeit, Süddeutschland mit Windstrom von Nord- und Ostsee zu versorgen. Der SFV hält diese Begründung für eine Täuschung der Bürger.

Sollte es wirklich das Ziel der Bundesregierung sein, eine Umstellung der Stromversorgung in Süddeutschland auf Windenergie zu erreichen, so gäbe es dafür erheblich einfachere, wirksamere und vor allem weniger kostspielige Möglichkeiten. Dazu werden wir weiter unten einige Hinweise geben. Doch zunächst eine allgemein verständliche Darstellung der zu lösenden Aufgaben.

Auch Offshore-Windenergie ist stark wetterabhängig

Nord- und Ostsee liegen nicht in einer Zone beständiger Winde, z.B. in der Zone der Passatwinde, sondern in der unruhigen Westwindzone, in der sich Hochdruck- und Tiefdruckgebiete abwechseln.

Bild: Passat- und Westwindzonen (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Planetarische_Zirkulation)
Passat- und Westwindzone

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Über der Nord- und Ostsee weht deshalb der Wind nicht gleichmäßig. Stürmische Tage wechseln sich mit Tagen geringer Windstärke ab.
Die von Windrädern erzeugte elektrische Leistung hängt von der Windgeschwindigkeit ab. Sie schwankt aber noch stärker als die Windgeschwindigkeit, denn doppelte Windgeschwindigkeit bedeutet achtfache elektrische Leistung, halbe Windgeschwindigkeit bedeutet aber nur ein Achtel der Leistung. Mit einer so ungleichmäßigen Stromversorgung wäre kein Verbraucher zufrieden. Windstrom für sich alleine ist für eine bedarfsgerechte Stromversorgung ungeeignet.

Solarstrom kann das Problem abmildern, aber nicht endgültig lösen, denn nachts scheint die Sonne nicht und tagsüber gibt es leider keine Garantie dafür, dass immer dann in Deutschland die Sonne scheint, wenn über Nord- und Ostsee der Wind nachlässt. Wer mit Wind- und Solarenergie eine gleichmäßige Stromversorgung plant, kommt deshalb nicht darum herum, Wind- und Solarstromüberschüsse für Zeiten von Schwachwind und sonnenlose Tage zu speichern oder schnell regelbare Gaskraftwerke zu bauen, die in den Zeiten von Wind- oder Solarschwäche rasch einspringen können.

Von Speicherbau im erforderlichen Umfang ist jedoch in den Planungen der Bundesregierung nicht die Rede und von schnell regelbaren Gaskraftwerken ebenfalls nicht und der weitere Solarausbau soll nach Regierungswillen beim Erreichen von 52 GW Solarleistung nicht mehr gefördert werden.

Es könnte also durchaus der Verdacht aufkommen, dass die Versorgung Süddeutschlands mit Windstrom aus Nord- und Ostsee nur ein Vorwand für den rasch vorangetriebenen Ausbau der Nord-Süd-Fernübertragungsleitungen sei. Dieser Verdacht erhärtet sich noch, wenn man die Kostenseite der Angelegenheit bedenkt.

Windstrom aus Süddeutschland ist billiger als Offshore-Windstrom

Eine Versorgung Süddeutschlands mit Windstrom aus den 900 km entfernten Windparks in Nord- und Ostsee ist so ziemlich die teuerste Variante, die man sich ausdenken kann. Bereits der Bau der Offshore-Windkraftanlagen, die auch bei tobender See in haushohen Wellen sicher auf dem Meeresgrund stehen müssen, ist um ein Vielfaches teurer als der Bau von Windanlagen an Land. Schon die Aufstellung der Offshore-Anlagen von extra dafür konstruierten Schiffen aus ist eine technische Herausforderung. Der höhere Stromertrag wegen des häufigeren Windes auf See gleicht die höheren Baukosten nicht im Entferntesten aus.

In Süddeutschland sind die Windgeschwindigkeiten in Bodennähe zwar geringer als auf See und im Küstenbereich, aber in größerer Höhe gleicht sich der Unterschied nahezu aus. Um in Süddeutschland die gleiche Windstrommenge zu erzeugen wie an der Küste oder auf hoher See, benötigt man höhere Türme und längere Flügel, doch das fällt bei den Baukosten weniger ins Gewicht als die technischen Schwierigkeiten auf See. Die gleiche Menge von Offshore-Windstrom ist deshalb mehr als doppelt so teuer wie Onshore-Windstrom z.B. aus windgünstigen Lagen in Bayern.

Hinzu kommen noch die Netzanschlusskosten. Auch die sind bei Offshore-Anlagen deutlich höher.
Den größten Kostenanteil für die Übertragung des Stroms aber machen die vorgesehenen neuen Übertragungsnetz-Neubauten aus.

Mutmaßliche Gründe der Bundesregierung für den Fernleitungsbau

Kommen wir zurück auf den Verdacht, dass der Transport der Windenergie nach Süddeutschland nur ein Vorwand sei. Was könnten dann die tatsächlichen Gründe für den beschleunigten Fernleitungsausbau sein?

Hier gibt der Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber, 2. Entwurf in seinem Vorwort einen interessanten Hinweis. Im Vorwort zum NEP (Seite 10), in dem die Zielvorstellungen der ÜNB umrissen werden, heißt es: "In Deutschland wird der Strom durch die rund 35.000 km langen Übertragungsnetze von den Erzeugern in die Verbrauchszentren transportiert. Zugleich verbinden die Übertragungsnetze Deutschland elektrisch mit den Nachbarländern, die so gemeinsam den internationalen Stromverbund Kontinentaleuropas bilden. Dieses europaweite Netz ist die Plattform für den STROMHANDEL in Europa. [...]" [Hervorhebung durch SFV]. Es geht also um die Ausweitung des Stromhandels. Dazu gibt es eineStellungnahme des SFV.

Weitere Gründe könnten sein:
Es geht um lohnende Bauaufgaben für die Netzbetreiber, denen für jede ihrer Investitionen eine Rendite über 8 Prozent zugestanden wird, gleichgültig ob die Aufgabe einen volkswirtschaftlich sinnvollen Zweck erfüllt. http://www.energie-chronik.de/110906.htm

Es könnte auch darum gehen, die weitere Zunahme von konzernfernen privaten Onshore-Windanlagen zu stoppen, damit die Energiekonzerne mit ihren Offshore-Windparks ohne lästige Wettbewerber bleiben.

Wichtig sind schließlich wohl auch die psychologischen Effekte:

  • Die Bevölkerung soll den Eindruck haben, die Regierung sei aktiv tätig.
  • Die Bevölkerung soll den Eindruck erhalten, die Energiewende sei extrem teuer .
  • Der umweltbewusste Teil der Bevölkerung soll durch die Belastung von Umwelt, Natur und Mensch durch die Fernübertragungs-leitungen einen Abscheu gegen die Energiewende entwickeln.
  • Die Bevölkerung soll sich schließlich die Fortsetzung des alten Systems mit konventioneller Energieerzeugung zurückwünschen. Die Tatsache, dass Bundesumweltminister Peter Altmaier im August die Einweihung zweier neuer Braunkohlekraftwerksblöcke in Neurath ausdrücklich gelobt hat, verstärkt noch diesen Verdacht.

Alternativvorschlag des SFV

Man könnte es besser machen:

Wer eine Vollversorgung mit Strom aus Wind- und Solarenergie anstrebt, muss Vorsorge treffen für Tage ohne Sonne und Wind. Er kommt um den Bau von Speichern nicht herum. Wer Speicher aber von vorn herein gleich in die Planung mit einbezieht (die Bundesregierung tut dies nicht), und den Ausbau von Solar- und Windanlagengleichermaßen in allen Landesteilen vorantreibt, der sorgt dafür dass auch die verschiedenen Regionen Deutschlands sich aus den Erträgen ihrer heimischen Erneuerbaren Energien autark versorgen können. Dem genügen die bereits vorhandenen Fernübertragungsleitungen.

Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein:

  • Solar- und Windanlagen müssen ungefähr gleiche Anteile der Energieversorgung abdecken, damit der Sommerbedarf im Wesentlichen durch Solarenergie und der Winterbedarf durch Windenergie abgedeckt werden kann.
  • Der Ausgleich der schwankenden Leistungen muss durch Kurz- und Langzeitspeicher gewährleistet sein.
  • Die hohen Speicherverluste - insbesondere bei der Langzeitspeicherung - müssen bei der Berechnung des erforderlichen Potentials berücksichtigt werden.

Wir können es unter diesen Voraussetzungen bei einer reinen Potentialbetrachtung - einer Betrachtung der erzeugten und verbrauchten Jahresenergie - belassen. Eine solche Potentialbetrachtung führt zu folgenden Ergebnissen:

Das Windpotential von Nord- und Ostsee reicht - selbst wenn es ausgeschöpft würde - nicht einmal für die Versorgung von Norddeutschland mit Windstrom.

Alle Bundesländer, sogar die im Süden, Bayern und Baden-Württemberg und Hessen haben jedoch ein eigenes ausreichendes Windkraftpotential. Sie könnten sich aus heimischer Windenergie verorgen. Eine Potentialstudie des BWE besagt, dass dafür jeweils etwa 12,3 Prozent der Landesfläche geeignet seien, aber so viel muss es noch nicht einmal sein. Zitat aus der BWE-Studie, Kurzfassung, Zusammenfassung auf Seite 4: „[…] In Deutschland stehen auf Basis der Geodaten knapp 8% der Landesfläche außerhalb von Wäldern und Schutzgebieten für die Windenergienutzung zur Verfügung. Unter Einbeziehung von Wäldern und zusätzlichen Schutzgebieten ergeben sich 12,3% bzw. 22,4% nutzbare Fläche. […}“

Die Kosten wären erheblich geringer, die Belastung der Natur, der Landschaft und der Menschen durch die Höchstspannungstrassen fiele weg und die Energieautarkie = Versorgungssicherheit wäre höher.
Windstrom von Windanlagen an Land ist nur halb so teuer wie Offshore-Windstrom. Außerdem fallen die Kosten für den Bau der Höchstspannungsleitungen weg.

Die vom SFV vorgeschlagene Kombination von Solaranlagen, Windanlagen und Speichern macht die Regionen energietechnisch unabhängig und erhöht damit dort die Versorgungssicherheit.