"Meinst Du es auch ehrlich?". Schon in Goethes Faust wird diese Frage ängstlich verklausuliert von Gretchen gestellt und von Faust wortreich nicht beantwortet [1].

Umweltminister Dr. Norbert Röttgen hat an der Humboldt-Universität in Berlin am 11.2.10 eine Rede gehalten, die wegen positiver Details gerade bei den Grünen viel Beachtung gefunden hat. Sie stand unter dem Thema:
"Was bedeutet Fortschritt heute? Perspektiven einer zukunftsfähigen Umwelt- und Energiepolitik" [2].Insbesondere waren viele Menschen überrascht, dass auch Röttgen den Ausstieg aus der Atomenergie (natürlich sagt er als CDU-Mann "Kernenergie") also den Ausstieg aus der Kernenergie will. Er hat das sogar konkret vorgerechnet: Zitat: "Dies bedeutet für die Kernenergie, dass bei einem Anteil von 16 % erneuerbarer Energien an der Stromversorgung und 23 % Kernenergieanteil an der Stromversorgung die Kernenergie dann ersetzt werden kann, wenn die erneuerbaren Energieträger 40 % der Energieversorgung in unserem Land verlässlich leisten." Röttgen sieht also die Erneuerbaren Energien zunächst nur als Ersatz für die abzuschaltenden Atomkraftwerke vor. Das freut natürlich die Atomkraftgegner.

Röttgen weiß aber sicherlich auch, dass derzeit etwa 25 große Kohlekraftwerke geplant, teilweise schon im Bau, sind [3], die, wenn sie erst einmal fertig gestellt sind, das fossile Zeitalter von dann an noch einmal um weitere 40 oder 50 Jahre verlängern. Auf ein Moratorium für den Neubau von Kohlekraftwerken wollte er sich aber auf Nachfrage aus dem Publikum nicht einlassen.

Wenn Röttgen seine vorangegangenen - von hohem Verantwortungsbewusstsein getragenenen - Ausführungen Ernst nimmt, müsste er das Ausbautempo für die Erneuerbaren Energien nun ganz erheblich beschleunigen, damit nicht erst noch die 25 Kohlekraftwerke gebaut werden müssen. Doch dann kommt ein inhaltlicher und stilistischer Bruch in Röttgens Humboldt-Rede: "Das erste ist, dass die erneuerbaren Energien im Markt ihre Bewährung finden müssen. Erneuerbare Energien sind nicht gedacht als Dauersubventionstatbestand und der Erfolg des Erneuerbaren Energiengesetzes bemisst sich nicht an der Höhe und der Dauer von Subventionszahlungen, sondern die erneuerbaren Energien sind dann erfolgreich, wenn sie nicht mehr der Subventionierung der Stromkunden bedürfen. Darum ist die Anpassung der Förderung der Photovoltaik an die Marktentwicklung ein Ausweis und ein Beweis des Erfolges der Photovoltaik und nicht ein Ausdruck des mangelnden Willens, sie zu unterstützen."

Unglaublich! Fast so, als hätte das RWE diesen Absatz diktiert. Röttgen lässt hier keine Gelegenheit aus, die bekannten Vorurteile gegen die Erneuerbaren Energien - insbesondere die Solarenergie - zu bedienen.

Erneuerbare Energien müssten am Markt ihre Bewährung finden. (Beifall aus den Reihen der Neoliberalen, denen das wehleidige Gejammer über das Monopol der Netzbetreiber und über das Oligopol der großen Vier langsam zum Hals heraushängt.)

Erneuerbare Energien seien nicht gedacht als Dauersubventionstatbestand. "Aha", denkt da der Zuhörer, "endlich sagt das mal einer! Höchste Zeit! Diese rot-grüne Schwindelveranstaltung läuft ja jetzt schon 10 Jahre lang - höchste Zeit, Schluss zu machen!"

Dann, der Erfolg des Erneuerbaren Energiengesetzes bemesse sich nicht an der Höhe und der Dauer von Subventionszahlungen. "Subventionszahlungen ... prima! Das Wort 'Subvention' kann man gar nicht oft genug sagen! Dann wird endlich jedem klar, dass wir uns solche Extraausgaben nicht länger leisten können."

Die Erneuerbaren Energien seien dann erfolgreich, wenn sie nicht mehr der Subventionierung der Stromkunden bedürften. "Gut, der Röttgen! Der weiß natürlich genau, dass das EEG keine Subvention im engeren Sinn ist, die vom Staat gezahlt wird, sondern dass die Stromkunden dafür bluten müssen. Das sollten die Stromkunden ruhig auch wissen! Der Gabriel hat es früher ja nie so recht eingestehen wollen."

Und dann kommt Röttgen direkt auf die Photovoltaik zu sprechen: Darum sei die Anpassung der Förderung der Photovoltaik an die Marktentwicklung ein Ausweis und ein Beweis des Erfolges der Photovoltaik und nicht ein Ausdruck des mangelnden Willens, sie zu unterstützen. Hinter diesem Satz verbergen sich folgende Tatsachen: Die Marktentwicklung der Photovoltaik hat die Planungen des BMU auch in diesem Jahr wieder erheblich übertroffen. Seit 2005 veröffentlicht das BMU sogenannte Leitstudien oder Leitszenarien, die angeben sollen, wie schnell die verschiedenen Erneuerbaren Energien aufwachsen könnten. Diese Prognosen gaben und geben regelmäßig erheblich zu niedrige Wachstumsraten an, worauf der SFV schon 2006 aufmerksam machte.

BMU veröffentlicht lähmende Prognosen zu Zuwachsraten bei Sonnen- und Windenergie im Binnenland [4]. Man kann an einigen Stellen erkennen, dass bewusst der Zuwachs der Erneuerbaren Energien kleingerechnet wurde. So wurden insbesondere für die Windenergie im Binnenland und die Photovoltaik "prognostiziert", dass von Jahr zu Jahr nicht mehr, sondern weniger Anlagenleistung installiert werden würden. Lediglich für die Offshore-Windenergie wurden positive Zuwächse angenommen. Insofern entsprachen diese "Prognosen" eher den Wunschvorstellungen der Stromwirtschaft als wissenschaftlich nüchterner Abschätzung.

Dieses unglückliche Erbe hat Röttgen von seinem Vorgänger übernommen. Doch was er damit anfängt, steht in seiner Verantwortung. Wenn er nun die tatsächliche Marktentwicklung der PV mit den missglückten Leitstudien und -szenarien vergleicht, kann er daraus zwei Schlüsse ziehen, entweder die Prognosen sind nichts wert oder die tatsächliche Entwicklung ist zu schnell. Weiterhin kann er sich darüber freuen oder er kann entsetzt sein. Röttgen hat jeweils die zweite Variante gewählt und will jetzt die Photovoltaik an die Planungen der Leitszenarien anpassen. Planwirtschaft bei einem CDU-Minister?

In der Sagenwelt der Antike gab es einen Unhold mit dem Namen Prokrustes. Wenn ein großgewachsener Wanderer bei ihm übernachten wollte, dem das Gästebett zu klein war, dann wurden ihm von Prokrustes eigenhändig die Beine auf die entsprechende Länge abgehackt...

Wie sagte doch Röttgen? Das sei (aber) keineswegs ein Ausdruck des mangelnden Willens, die Photovoltaik zu unterstützen.

Mit diesem Thema werden wir uns im Solarbrief 1/10 noch ausführlicher befassen.


[1] Gretchenfrage: "Nun sag, wie hast du`s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon."
[2]http://www.bmu.de/reden/bundesumweltminister_dr_norbert_roettgen/doc/45714.php abgerufen am 9.3.10
[3] http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Kohlkraftwerke_im_Bau_und_in_Planung_02_2010.pdf, abgerufen am 9.3.10
[4] http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/zuwachsz.htm vom 29.3.06