Zusammenfassung
Seit 2012 wird der EE-Anlagenausbau in Deutschland regierungsseitig brutal behindert. Stattdessen werden Fernübertragungsleitungen ausgebaut, mit denen man Strom aus Großkraftwerken - evtl. auch aus zukünftigen Atomkraftwerken - verteilen und exportieren könnte.
Der besorgten Bevölkerung gegenüber wird argumentiert, die Fernübertragungsleitungen seien notwendig, um überschüssigen Windstrom aus Norddeutschland in den angeblich windarmen Süden zu transportieren und auf diese Weise die Speicherung von Windstrom überflüssig zu machen. Erst bei einem EE-Stromanteil von über 70 Prozent seien Stromspeicher notwendig.
- "Netze sind billiger als Speicher"
lautet einprägsam - aber dennoch falsch - die Parole der AGORA Energiewende.
Im folgenden Beitrag wird diese Behauptung der AGORA Energiewende zu Ende gedacht und damit ad absurdum geführt. Es wird gezeigt, dass ein Ausbau von Stromnetzen den Erneuerbaren Energien in den zahlreichen entscheidenden Stunden, Tagen oder Wochen nicht hilft, wenn Sonne und Wind europaweit schwächeln.
Wer Wind- oder Solarstrom-Überschüsse Stunden oder Tage später nutzen - sie also zeitlich verschieben will, kann auf Stromspeicher nicht verzichten!
Finanzielle Gewinne als Köder für Fernübertragungsleitungen
Um den Bau der Fernübertragungsleitungen voranzutreiben, gab es bisher eine regierungsseitig zugesagte Eigenkapitalrendite von 9,05 Prozent, die ab 2019 auf immer noch beachtliche 6,91 Prozent herabgesetzt werden wird. Unter der Verlockung solch außergewöhnlich hoher Renditen sind die vier Übertragungsnetzbetreiber Amprion, 50Hertz, TenneT und TransnetBW brennend daran interessiert, neue - auch aufwendige und sogar unnötige - Übertragungsleitungen zu errichten - egal für welchen Zweck! Dazu müssen sie nur überzeugende Gründe nennen oder erfinden.
Die "Story" der Übertragungsnetzbetreiber
Das vorgeschobene Hauptargument der Übertragungsnetzbetreiber lautet, man brauche solche Fernübertragungsleitungen, um einen Ausgleich zwischen Regionen zu schaffen, in denen Wind- und Solaranlagen bereits abgeregelt werden müssten, mit anderen Regionen, in denen zu wenig Erneuerbare Energie zur Verfügung steht.
Der erste Anschein scheint den Übertragungsnetzbetreibern Recht zu geben. Es werden tatsächlich immer häufiger Wind- und Solaranlagen abgeregelt. Und es trifft auch zu, dass gleichzeitig in anderen Regionen Deutschlands zu wenig Wind- und Solarstrom (EE-Strom) zur Verfügung steht. Doch diese Situationsbeschreibung und insbesondere die Beschreibung ihrer Ursachen ist nicht vollständig.
Die wahren Gründe für das Abregeln der Erneuerbaren in Norddeutschland bei gleichzeitigem Strommangel in Süddeutschland
In Norddeutschland erfolgt die Abregelung, nicht weil die Stromleitungen zu schwach oder gar durch konventionell erzeugten Strom verstopft wären, sondern weil Langzeitspeicher fehlen, mit denen man vorsorglich bei windigem und sonnigem Wetter die überschüssigen Spitzenerträge speichern müsste, um sie dann gleichmäßig und bedarfsgemäß über das Jahr verteilt abzugeben. Würde das geschehen, so würde sich rasch herausstellen, dass der gespeicherte EE-Überschussstrom aus Norddeutschland noch nicht einmal für den norddeutschen Eigenbedarf bei Schwachwind und bedecktem Himmel ausreicht.
In Süddeutschland, wo es ständig an Windstrom mangelt, liegt das nicht an generell mangelnder "Windhöffigkeit". Die süddeutschen Bundesländer hätten genügend geeignete Flächen für die Windenergie - besonders in Höhenlagen. Die Windgeschwindigkeit in Bodennähe ist zwar zumeist geringer als in Norddeutschland, doch kann man das durch höhere Windtürme und vergrößerte Rotordurchmesser sowie eine geringfügig verbesserte Einspeisevergütung ausgleichen. Entscheidend ist die Tatsache, dass im Süden aus politischen Gründen viel weniger Windanlagen als in Norddeutschland genehmigt wurden. In Bayern hat die CSU den Ausbau der Windenergie mit übertriebenen Abstandsregeln sogar völlig zum Erliegen gebracht.
"Netze sind billiger als Speicher" - Parole der Agora Energiewende
Netzausbau sei billiger als Speicherausbau, sagt die Agora-Energiewende und viele Politiker glauben das. Dass aber der Netzausbau zu ganz anderen Ergebnissen führt als der Speicherausbau wird selten bedacht. Netze übertragen Leistungen örtlich, Speicher übertragen sie zeitlich.
- Fernübertragungsnetze übertragen hohe elektrische Leistung über große Entfernungen.
- Speicher übertragen elektrische Leistung von Zeiten des Leistungsüberschusses in Zeiten des Strommangels.
Die Bundesregierung hat sich eindeutig für den Ausbau der Fernübertragungsleitungen und gegen den massiven Ausbau der Langzeitspeicher entschieden. Wir stellen uns nun die ketzerische Frage, ob der beschlossene Fernleitungsausbau mehr den Erneuerbaren Energien nützt oder mehr einer Atom-Renaissance. Beide haben extrem unterschiedliche Bedürfnisse:
- Atomkraftwerke liefern ihre hohe elektrische Leistung mit gewünschter Gleichmäßigkeit über große Entfernungen an entfernte Verbraucher. Dafür benötigen sie Fernübertragungsleitungen.
- Wind- und Solaranlagen können in der Nähe der Verbraucher errichtet werden. Die Verbraucher sind jedoch auf Speicher angewiesen, die bei günstigem Solar- und Windangebot mit überschüssiger Energie befüllt werden, damit bei schwachem Wind und schwacher Sonne die Speicher die Versorgung mit dem gespeichertem EE-Strom übernehmen können.
Wie ungleichförmig ist das Angebot von Solar- und Windstrom?
Viele Menschen stellen sich vor, dass ein mit Fernübertragungsleitungen gut ausgestattetes Stromnetz die örtlichen Wind- und Sonnenschein-Schwankungen weitgehend glättet. Um so erstaunter sind sie, wenn sie in einer Grafik der Agora-Energiewende sehen, welche extremen Schwankungen immer noch in der über ganz Deutschland aufsummierten EE-Stromeinspeisung vorkommen. Der glättende Effekt eines leistungsfähigen Fernübertragungsnetzes wird offenbar weit überschätzt.
Abb. 1: Agora-Grafik aus dem Frühsommer 2017
Die jeweiligen Einspeisungen werden zusammengezählt, gleichgültig, an welchem Ort sie erfolgen. Damit nimmt das Agorameter bereits die Verhältnisse vorweg, die nach dem Willen der Bundesregierung durch den Ausbau der Fernübertragungsnetze erst erreicht werden sollen. Die AGORA-Grafiken sind deshalb bestens geeignet, die regierungsseitig angestrebten zukünftigen Verhältnisse abzubilden und zu analysieren.
Wir beschränken uns bei der weiteren Untersuchung auf die drei wesentlichen fluktuierenden Energieangebote: Sonnenenergie, Onshore-Wind und Offshore-Wind, denn es ist ja gerade die Fluktuation des Energieangebots, die es auszugleichen gilt.
Abb. 2: Agora-Grafik Winter 2016 / 2017
Auch fällt auf, dass im Winter die Solarenergie einen erheblich geringeren Energiebetrag zur Verfügung stellt, weil die Sonnenscheindauer erheblich kürzer ist als im Sommer und weil die Sonne niedriger steht, so dass viele Solaranlagen in Tallagen schon am frühen Nachmittag im Schatten liegen. Hier zeigt sich, dass Deutschland im Winter auf Windenergie nicht verzichten kann.
Wenn man davon ausgeht, dass zur weiteren Verminderung des CO2-Ausstoßes möglichst viele Energieanwendungen auf Elektrizität umgestellt werden müssen (Stichwort "Sektoren-Kopplung"), so wird sich zukünftig gerade im Winter der Strombedarf (die Last) noch erhöhen. Wir werden aus diesem Grund die weitere Untersuchung am schwierigeren Fall, d.h. am Beispiel der Agora - Wintergrafik Abb. 2 durchführen.
Um herauszufinden, ob die Übertragungsleitungen einen Ausgleich zwischen Regionen mit zeitweiligem EE-Überschuss und anderen Regionen mit zeitweiligem EE-Mangel herbeiführen können, führen wir ein Gedankenexperiment durch. Wir erinnern uns, dass die vom Agorameter dargestellten Grafiken unter der Annahme erstellt wurden, dass innerhalb Deutschlands das Stromnetz vollkommen ausgebaut ist. Der regionale Ausgleich ist also bereits durchgeführt. Das ist sozusagen bereits der erste Teil unseres Gedankenexperiments. Genau diesen Punkt werden wir zum Schluss des Gedankenexperiments wieder in Erinnerung rufen.
Der zweite Teil des Gedankenexperiments besteht darin, dass wir den gleichen Wetterverlauf wie im Winter 2016 / 2017 voraussetzen, aber überall die Zahl der installierten Solar- und Windanlagen verfünffachen.
Der blau eingefärbte Bereich (der jetzt unterschiedslos Solar, Wind on- und Wind offshore umfasst) wurde im Vergleich zu Abb. 2 proportional um den Faktor 5 nach oben gedehnt. So ergibt sich Abb. 3
Abb. 3: Bisherige Zahl an Solar- und Windanlagen etwa verfünffacht
Mehrere Leistungsspitzen überragen jetzt die Lastkurve. Die Leistungsspitze zum Zeitpunkt (1) erreicht sogar 150 GW, kann aber leider nicht genutzt werden.
Zum Zeitpunkt (2) herrschte in ganz Deutschland eine "Dunkelflaute". Trotz des mächtigen Zubaus an Wind- und Solaranlagen lag in dieser Nacht keine Leistung vor. Das ist erklärlich: Bei einer deutschlandweiten Dunkelflaute gibt es weder Wind- noch Sonnenenergie.
Zum Zeitpunkt (3) herrschte zwar keine Dunkelflaute, aber die vielen installierten Wind- und Solaranlagen lieferten wegen des ungünstigen Wetters immer noch viel zu wenig Wind- und Solarleistung.
In Abb. 4 wird der Überschuss an EE gelb eingefärbt und der Mangel braun. Die braunen Flächen müssen durch fossile oder atomare Stromquellen aufgefüllt werden.
Fossile oder atomare Stromquellen zur Stromversorgung! Genau das ist es, was wir vermeiden wollten. Erinnern Sie sich an den Beginn unseres Gedankenexperiments! Die grafische Darstellung des Agorameters geht davon aus, dass alle Regionen Deutschlands vollständig mit Fernübertragungsleitungen verbunden sind. Und dennoch bleiben riesige Energiemengen, die durch fossile oder atomare Kraftwerke geliefert werden müssen.
Das Ergebnis: Der vollständige Fernübertragungsnetzausbau bringt für die Umstellung auf Erneuerbare Energien keinen Vorteil.
Man möchte doch so gerne den Überschuss dorthin geben, wo der Mangel herrscht. Dazu müsste man ihn in der Grafik nach rechts verschieben. Doch Verschiebungen von links nach rechts in dieser Grafik sind keine örtliche sondern zeitliche Verschiebungen in Richtung der Zeitachse, d.h. Es sind Speichervorgänge!
Wie soll es weiter gehen?
Ohne Stromspeicher geht es nicht!
Wenn man den Umstieg auf 100 Prozent EE erreichen will, muss man den Zubau an Wind- und Solaranlagen weiter fortführen, bis die (gelben) Überschüsse ausreichen, den (braunen) Mangel auszugleichen. Für eine genaue Berechnung muss man dann auch noch die Speicherverluste berücksichtigen.
Das Ergebnis unserer Untersuchung
Wer überschüssig erzeugten Strom aus Sonne und Wind nutzen will, um einen bald folgenden Mangel an Strom aus Erneuerbaren Energien auszugleichen, braucht dafür keine neuen Strom-Fernübertragungsleitungen, sondern Stromspeicher!
Deshalb fordert der SFV dringend finanzielle Anreize zum Speicherbau. Der Klimawandel wartet nicht. Wegen der gebotenen Eile müssen die finanziellen Anreize durch Eigenkapitalverzinsung beim Speicherbau den eingangs erwähnten Betrag übersteigen. Kapital fließt nun einmal dahin wo die höchsten Gewinne winken. Die Angst wegen des derzeitig noch geringen Wirkungsgrades und der hohen Kosten der Stromspeicher ist unbegründet. Der Wirkungsgrad der Speicher wird sich durch Erfahrung in der massenhaften Anwendung und im Wettbewerb der Speicherhersteller um das bessere Produkt verbessern.
Der Preis der Speicher wird durch Massenproduktion sinken. Beispiel: die Entwicklung der Taschenrechner!
Ohne Stromspeicher werden wir die Fossil- und Atomkraftwerke nie stilllegen können. Benötigt werden Stromspeicher mit einer aufsummierten Ausgangsleistung von über 80 GW, damit sie bei einer Dunkelflaute den Gesamtbedarf an Elektrizität decken können.
Angst vor den Kosten ist unbegründet. Massenproduktion senkt die Preise! Auch Solarmodule galten früher als unbezahlbar.