Im Kampf gegen den Klimawandel kommt der „Dekarbonisierung“ der Energieerzeugung – also dem Abschied von den fossilen Energiequellen – eine Schlüsselrolle zu. Dieser Prozess kann nur durch den mutigen Ausbau Erneuerbarer Energien – vor allem Solarenergie und Windenergie, zusammen mit den geeigneten Speichertechniken – geschafft werden. Angesichts der verheerenden Klimawandel-Folgen sind entschiedene politische Schritte nötig, um diesen bereits angelaufenen Umbau zu beschleunigen.

Heute sehen wir in Deutschland stattdessen eine Deckelung und zunehmende Behinderung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, sowie einen geradezu unglaublichen Bestandsschutz für die fossilen Energieträger, zuletzt durch die fürstlich vergütete „Kapazitätsreserve“ von Braunkohlekraftwerken.

Das Ruder muss jetzt herumgerissen werden! Deutschland kann und sollte bei der Dekarbonisierung nicht nur rhetorisch, sondern auch faktisch vorangehen. Wir wissen, dass viele Länder das Gelingen oder Misslingen der Energiewende in unserem Land aufmerksam beobachten. Auch deshalb sind entschlossene zielführende Maßnahmen notwendig!

Die fossilen Energieträger werden uns (ebenso wie die nuklearen) als „billig“ angepriesen, doch die meisten der von ihnen verursachten Kosten stehen nicht auf der Rechnung, sondern sind „externalisiert“: Sie werden nicht von ihren Urhebern, sondern von der Allgemeinheit bezahlt. Das bezieht sich auch auf die Treibhausgase, allen voran: CO2. Die Konzerne – Shell oder RWE, um zwei Beispiele zu nennen – können nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn z.B. ein im Rahmen des Klimawandels entstandener tropischer Wirbelsturm philippinische Inseln verwüstet.

Es ist aber möglich, die externen Kosten in abstrakter Form bei der Produktion fossiler Energie einzupreisen – zumindest teilweise. Hierfür werden heute vor allem zwei Instrumente diskutiert und angewandt: Der Handel mit Verschmutzungszertifikaten, und eine CO2-Steuer. Welches ist das geeignetere Instrument einer Dekarbonisierung?

 

Zertifikatehandel?

 

Beim Handel mit Emissionszertifikaten soll (durch planmäßige Verringerung der Zertifikate) eine berechenbare Verringerung des CO2-Ausstoßes bewirkt werden, ohne den konkreten Weg zu diesem Ziel vorzuschreiben. Dieses Modell hat aber entscheidende Nachteile:

·        Beim Zertifikatehandel werden „Verschmutzungsrechte“ verteilt, mit denen anschließend Handel getrieben werden kann. Diese Grundannahme ist moralisch abstoßend und schadet deshalb den politischen Debatten. Wir bestreiten, dass es ein „Veschmutzungsrecht“ gibt; vielmehr sehen wir eine Schmutzvermeidungspflicht im Energiesektor. Das marktwirtschaftliche Instrument, das dieser Pflicht Nachdruck verleihen kann, ist eine Steuer auf die Verschmutzung. Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen soll kein Gegenstand von Börsenspekulationen sein; er soll sich nicht an Marktlagen orientieren, sondern an der immerwährenden Schädlichkeit dieser Gase.

·       Emissionszertifikate, die nach einem festgelegten Pfad sukzessive reduziert werden, bewirken die Unmöglichkeit, den einmal beschlossenen Reduktionspfad zu überbieten. Wenn der CO2-Ausstoß schneller absinkt als vorgesehen – z.B. durch den Erfolg eines Instruments wie des deutschen EEG von 2000/2004) –, dann bewirkt dies einen Rückgang der Zertifikatepreise, mit der Folge, dass sich der CO2-Ausstoß wieder stärker „lohnt“. Dasselbe gilt im Falle einer Wirtschaftskrise, wie wir sie ab 2008 erlebten: Auch hier werden kontraproduktive Anreize zum verstärkten CO2-Ausstoß gegeben.

·       Der beim europäischen Zertifikatehandel vorgesehene CO2-Reduktionskurs ist ein Kompromiss, bei dem die größten Bremser ein wichtiges Wort mitreden. So steht bei der derzeit diskutierten Reform des EU-Emissionshandels vor allem das Kohleland Polen auf der Bremse. Der ökonomische Bremseffekt wirkt sich aber im gesamten Zertifikate-Gebiet aus. Um eine Metapher zu verwenden: Das langsamste Schiff bestimmt das Tempo des Geleitzugs.

·       Die Verpflichtung, Zertifikate nachzuweisen, setzt nicht an der Basis an, also bei den Importeuren von Gas und Öl und den Förderunternehmen der Braunkohle, sondern bei CO2-Emittenten wie Kohlekraftwerken, Aluminiumhütten etc. Ein großer Teil der CO2-Emissionen (viele Firmen, aber auch z.B. Haushalte mit Ölverbrennung) wird so gar nicht erfasst.

·       In der Praxis wird der marktwirtschaftliche Grundansatz des Zertifikatehandels durch Partikularinteressen ausgehebelt. Die Staaten Europas machten bei der Zuteilung ihres (kostenlosen) Zertifikatebedarfs ihren CO2-„Ausstoßbedarf“ in der Energieversorgung und Produktion geltend. So forderte Polen wegen seiner Kohlekraftwerke besonders viele Zertifikate. Auch die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten an Firmen durch ihre jeweiligen Staaten trug zum Preisverfall bei. Aktuell werden sogar Vorschläge diskutiert, Zertifikate nach vorübergehender Entnahme wieder in den Markt zurückzugeben – eine völlige Pervertierung des Klimaschutzgedankens. (1)

Der Handel mit Emissionszertifikaten – so lässt sich zusammenfassen – hat sich als untaugliches Instrument für die dringende Aufgabe erwiesen, die fossilen Energieträger im Zusammenhang mit ihren Klimafolgen zu bepreisen.

 

CO2-Steuer – keine exotische Idee

 

Im März 2015 haben die Umweltexperten Klaus Töpfer und Ernst-Ulrich von Weizsäcker die Einführung einer CO2-Besteuerung angemahnt. (2) Sie befinden sich im Einklang mit einer aus dem gleichen Monat stammenden Initiative von mehr als 100 Umweltpreisträgern aus aller Welt, die beim vierten internationalen Umweltkonvent in Freiburg appellierten: „Emissions-Steuern bergen gegenüber dem CO2-Handel große Vorteile. Sie sind einfach zu verwalten, kalkulierbar und bieten weniger Möglichkeiten für Betrug und Schlupflöcher.“ (3) Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass eine CO2-Besteuerung effektiver sei als ein Emissionszertifikatehandel. (4) Das Spektrum der Rufe nach einer wirksamen Bepreisung des CO2-Ausstoßes fossiler Brennstoffe reichte im Sommer 2015 bis hin zu der Initiative der fünf großen Erdölkonzerne Shell, BP, Total, Eni, Statoil und BG, die bekannten: „Wir haben großes Interesse an der Schaffung eines funktionierenden Ansatzes, um Kohlendioxid-Emissionen mit einem Preis zu versehen“. (5) Wenn wir noch die vielbeachtete Umweltenzyklika „Laudato si“ (6) von Papst Franziskus hinzunehmen: Auf welchen günstigeren Zeitpunkt sollten wir denn warten, um mit einem mutigen Schritt auf nationaler Ebene anzufangen und eine CO2-Steuer als wirksames Instrument des Klimaschutzes einzuführen?

Weltweit haben bereits viele Staaten (wie Großbritannien, Frankreich, Schweden, Schweiz, Mexiko) und substaatliche Legislativen ein solches Instrument eingeführt, das in der Regel zu einer spürbaren Absenkung der CO2-Emissionen führte. So bewirkte die 2008 im kanadischen Bundesstaat British Columbia eingeführte „Carbon Tax“ einen Rückgang des Pro-Kopf-Verbrauchs fossiler Brennstoffe von 17,4% (bei einem Anstieg um 1,5% im übrigen Kanada), während das Bruttoinlandsprodukt dort gleichzeitig im selben Maße stieg wie im Rest des Landes, und die Akzeptanz der Steuer kontinuierlich zunimmt (zuletzt: Zustimmung bei zwei Drittel der Befragten). (7) Es ist höchste Zeit, dass Deutschland nun endlich einen entschlossenen Schritt in diese Richtung macht und für die drastische Senkung der Emissionen auch bei uns sorgt. Gerade die derzeit niedrigen Preise für Erdöl und Erdgas stellen eine Chance dar, diesen Schritt ohne übermäßige soziale Härten zu vollziehen, und unterstreichen zugleich die Notwendigkeit, es zu tun (die Dominanz von SUVs im heutigen Automobilmarkt ist dafür ein sinnfälliges Beispiel).

 

Positive Steuerungseffekte einer CO2-Steuer

 

Eine neue Steuer ändert die Spielregeln in der betroffenen Volkswirtschaft. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Kurzfristige Verlierer wären z.B. die besonders energieintensiven Industrien (z.B. Aluminium-Verhüttung) und die CO2-Emittenten selbst (z.B. Energiekonzerne, Zementindustrie). Dem stehen als Gewinner arbeitsintensive Bereiche gegenüber – z.B. das Handwerk, denn die Verteuerung der energieintensiven Grundstoffe wird die Entwicklung von einer Wegwerfkultur zu einer Reparaturkultur anregen. Der Gesamteffekt auf den Arbeitsmarkt wird deutlich positiv sein. Im Einzelnen erwarten wir folgende technologische und ökonomische Effekte von einer CO2-Steuer:

·        Verteuerung des Stroms aus fossilen Kraftwerken, insbesondere den besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerken, sukzessive Verdrängung dieser schädlichen Technik.

·       Verbesserung der Wettbewerbssituation von Gaskraftwerken gegenüber Kohlekraftwerken (weil bei der Gas-Verbrennung relativ wenig CO2 freigesetzt wird).

·       Verbesserung der Wettbewerbssituation Erneuerbarer Energien durch gerechtere Darstellung der tatsächlichen Kosten.

·       Verteuerung fossiler Heizenergie, damit Anreiz zur Gebäudesanierung (Wärmedämmung) sowie zur Nutzung regenerativer Wärmeenergie.

·       Anreiz zur beschleunigten Entwicklung von Elektromobilität.

·       Unterstützung der Restrukturierung globaler Investitionen zulasten des fossilen Sektors („Divestment“), hin zu zukunftsfähigen wirtschaftlichen Aktivitäten.

·       Anreiz zum Ausbau und zur Modernisierung öffentlicher Verkehrssysteme.

·       Verteuerung von Transportkosten (Kraftstoffe), daher Anreiz zur Verkürzung und damit Regionalisierung von Produktionsketten. (Z.B. Reduzierung des Transports lebender Tiere.)

·       Lenkungseffekt weg von energieintensiver Produktion, hin zu Reparatur und Mehrfachnutzung. Daher auch günstiger Einfluss auf den allgemeinen Ressourcenverbrauch.

·       Und schließlich die positiven Effekte, die sich aus der Verwendung der eingenommenen Steuermittel ergeben können

(In dem Maße, wie eine preiswerte regenerative Energieversorgung etabliert ist, nehmen die vier zuletzt genannten Effekte wieder ab. Sie können dann durch andere Lenkungsmaßnahmen wie Energiesteuer/Energiegeld gestützt werden.)

Viele Steuerungs-Gesichtspunkte sprechen also für die Einführung einer CO2-Steuer. Es soll aber noch einmal betont werden, dass die Hauptmotivation nicht in dieser Vielzahl von Gründen liegt, sondern in der notwendigen Bewältigung der großen Menschheits-Herausforderung des 21. Jahrhunderts: der Eindämmung des menschengemachten Klimawandels. Die Klimawandel-Folgen verursachen ihrerseits immense volkswirtschaftliche Kosten. Aber ihre Abwehr ist auch unabhängig davon eine vordringliche ethische Pflicht.

Deshalb fordern wir die politisch Verantwortlichen in Deutschland auf, unverzüglich ein Gesetz zur Einführung einer CO2-Steuer zu erarbeiten. In den Grundzügen könnte es folgendermaßen aussehen.

 

Grundzüge einer CO2-Steuer in Deutschland

 

1. Die Freisetzung von CO2 wird in Deutschland mit einer mengenbezogenen Steuer belegt. Als Zielmarke dieser Steuer wird ein Betrag von 75 Euro je Tonne CO2 festgelegt. (8) Die Steuer wird zunächst mit einem Betrag von 30 Euro je Tonne eingeführt und steigt dann jährlich um 5 Euro pro Tonne, bis sie im zehnten Jahr die Zielmarke erreicht. Durch diese Sukzessiv-Einführung haben alle Akteure Planungssicherheit, um sich auf die sich verändernde Anreizstruktur einzustellen.

2. Solange der EU-Emissionszertifikatehandel besteht, werden die Kosten für die Zertifikate vollständig auf die CO2-Steuer angerechnet. Eine Doppelbelastung wird so vermieden. Zertifikate, die durch Effizienzverbesserung bzw. Einsparungen im Rahmen der CO2-Besteuerung überzählig werden, sollen dem Markt endgültig entzogen werden.

3. Die Steuer wird bei der Förderung bzw. der Einführung fossiler Brennstoffe gemäß dem jeweiligen CO2-Potenzial erhoben.

4. Der Gesetzgeber soll Regelungen entwickeln, nach denen auch die Treibhausgasemissionen aus industriellen Prozessen (v.a. Zementproduktion) sowie in der Landwirtschaft (u.a. Stickoxide aus der Düngung und Methan aus der Tierhaltung) nach CO2-Äquivalenten zur Besteuerung herangezogen werden. Eine Besteuerung der energiebedingten Emissionen ist jedoch aus quantitativen Gründen vordringlich.

5. Es ist anzustreben, mit der Steuer 100 Prozent der Treibhausgas-Emissionen zu erfassen. Insbesondere dürfen für energieintensive Unternehmen keine Ausnahmen gemacht werden. Die beabsichtigte Lenkungswirkung würde sonst konterkariert. Soweit rechtlich zulässig, können Importprodukte, deren Herstellung keiner CO2-Besteuerung unterlag, nachbesteuert werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Eine Steuererstattung bei Export verbietet sich hingegen, weil sie das übergeordnete Ziel des Klimaschutzes schwächen würde.

6. Die Steuereinnahmen sollen zweckgebunden verwendet werden, und zwar je zur Hälfte a) in sozialpolitische Maßnahmen zur Vermeidung von Härten, die aus der CO2-Steuer resultieren können (z.B. Energie-Wohngeld, Subventionierung von Fahrkarten des öffentlichen Verkehrs, Senkung von Lohn- und Verbrauchsteuern), sowie b) in die Förderung CO2-vermeidender Techniken und Verhaltensweisen (z.B. Speicher-Markteinführung, Gebäudedämmung, Ausbau der öffentlichen Verkehrsnetze, Förderung der Elektromobilität usw.) fließen.

 

Wir fordern den Bundestag und die Bundesregierung auf, umgehend mit der Ausarbeitung eines Gesetzes zu beginnen, das die genannten Prinzipien zugrunde legt.

 

 

Nachweise

 

1 de.wikipedia.org, Stichwort "EU-Emissionshandel"
2 klimaretter.info: "Töpfer und von Weizsäcker für CO2-Steuer"
3 umweltdialog.de: "Umweltpreisträger fordern CO2-Emissionssteuer"
4 klimaretter.info: "IWF fordert Kohlenstoffsteuer"
5 klimaretter.info: "Ölmultis bieten dem Klima Verhandlungen an" 
6 dbk.de: Wortlaut der Enzyklika "Laudato si"
7 de.wikipedia.org, Stichwort "CO2-Steuer"
8 Ausgehend von den 85$/t, die Nicholas Stern 2006 in seinem Report an die britische Regierung als externe Kosten angesetzt hat, vgl. mudancasclimaticas.cptec.inpe.br, Wortlaut des Stern-Reports. Diese Zahl wird hier aus pragmatischen Gründen zugrunde gelegt. Die tatsächlichen externalisierten Kosten der fossilen Energieproduktion lassen sich nur teilweise quantifizieren. Eine monetäre Messung etwa der Todesfälle infolge eines tropischen Wirbelsturms oder des massenhaften Verlusts von Heimat infolge anhaltender Dürren oder Meeresspiegelanstiege ist nicht möglich.