Lieber Herr Alt,

im Juli haben Sie wohlwollend eine Emnid-Umfrage zitiert, wonach 79% der Befragten die Errichtung von Windkraftanlagen in Waldgebieten ablehnen. Die Umfrage war von der „Deutschen Wildtier Stiftung“ bzw. deren „Alleinvorstand“, Prof. Fritz Vahrenholt, in Auftrag gegeben worden.

Wir wundern uns, dass Sie diese Meldung unkommentiert verbreiten, und dabei weder auf die krassen methodischen Mängel der Emnid-Umfrage, noch auf das jahrzehntelange konsequente Wirken des Herrn Vahrenholt zugunsten fossiler und nuklearer Energieversorgung und gegen die Erneuerbaren Energien hinweisen. Beide Punkte seien hier kurz erläutert und durch grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Naturschutz und Windenergie ergänzt. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie unsere Argumente ebenfalls auf der „Sonnenseite“ veröffentlichen würden.

 

1. Zur Emnid-Umfrage

 

Emnid hat im Juli 2015 etwa eintausend Bundesbürger nach ihrer Zustimmung zu den folgenden beiden Aussagen gefragt: „Für den Ausbau der Windenergie sollten generell keine Waldgebiete verschwinden oder zerschnitten werden.“ bzw. „Ich finde es im Allgemeinen vertretbar, wenn für den Bau zusätzlicher Windkraftanlagen auch Waldgebiete verschwinden oder zerschnitten werden.“ Der zweiten Aussage stimmten 11 % der Befragten zu, der ersten die besagten 79 %.

Die Formulierung von Fragen bei demoskopischen Erhebungen ist immer eine delikate Sache. Aber im Bereich der empirischen Sozialforschung begegnen einem nur sehr selten Fragestellungen, die in so dreister Weise suggestiv sind. Wir wundern uns, dass ein seriöses demoskopisches Institut wie Emnid seine wissenschaftliche Reputation so bereitwillig aufs Spiel setzt.

Damit nicht genug: Die so gewonnenen, wenig überraschenden Ergebnisse werden im nächsten Schritt übel verdreht. Denn den Bau von Windkraftanlagen im Wald mit dem „Verschwinden“ bzw. „Zerschnittenwerden“ des Waldes gleichzusetzen, ist inhaltlich Unsinn. Selbstverständlich lehnte es eine überwältigende Mehrheit der Befragten ab, dass für den Bau von Windanlagen Wald verschwinden muss oder zerschnitten wird. Wir beim Solarenergie-Förderverein Deutschland z.B. lehnen das ebenfalls ab. Aber wir setzen uns dafür ein, dass die Windenergie auch über den Wipfeln von Wäldern in naturverträglicher Weise genutzt wird. Die Schlagzeile, „79 Prozent der Befragten lehnen Windkraft im Wald ab“ ist somit frei erfunden, denn eine Aussage wie: „Ich lehne die Nutzung der Windkraft im Walde ab“, war den Befragten überhaupt nicht vorgelegt worden. Dennoch veröffentlicht nicht nur die „Deutsche Wildtier Stiftung“, sondern auch Ihre „Sonnenseite“ genau diese frei erfundene Schlagzeile.

 

2. Zu Fritz Vahrenholt

 

Wenn man beachtet, dass Professor Fritz Vahrenholt als „Alleinvorstand“ der „Deutschen Wildtier Stiftung“ hinter der Aktion steckt, erklärt sich dieser Propaganda-Coup. Vahrenholt hat bereits in der Zeit von 1991 bis 1997 in Hamburg (als Senator der Umweltbehörde und Vorsitzender des Aufsichtsrats der HEW) durch persönliches Eingreifen einen Beschluss zur kostendeckenden Einspeisevergütung für Solarenergie verhindert. 1998 wechselte er zur Deutschen Shell AG, die bestrebt war, ihr schlechtes Image zu verbessern, das vor allem unter der geplanten (aber später nicht durchgeführten) Versenkung des schwimmenden Öltanks Brent Spar gelitten hatte. 2001 übernahm er den Vorstandsvorsitz der neu gegründeten REpower Systems, den er bis Ende 2007 innehatte. Im Zuge der energiepolitischen Diskussionen plädierte Vahrenholt für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke und für die Entwicklung von Kernfusions-Kraftwerken. Ab Februar 2008 arbeitete Vahrenholt als Geschäftsführer von RWE Innogy, wobei er mit dem Lobbyverband gegen die Energiewende, dem RWI, kooperierte.

Es ist nur konsequent, wenn Vahrenholt seine Stellung als Alleinvorstand der „Deutschen Wildtier Stiftung“ nutzt, um seine gegen Erneuerbare Energien gerichtete Agenda zu verfolgen. Dass die „Sonnenseite“ sich mit unkommentierten Zitaten wie: „Die Menschen in Deutschland wollen nicht, dass der Wald einer eindimensionalen Klimapolitik geopfert wird“, in den Dienst dieser Agenda stellt, verwundert uns hingegen sehr.

 

3. Windkraftanlagen und Naturschutz

 

Gewiss gibt es in Einzelfällen Konflikte zwischen Tierschutz und Klimaschutz, und die Kritik von Tierschützern bei der Standortwahl von Windkraftanlagen soll nicht leichtfertig ‚in den Wind geschlagen‘ werden. Aber gerade auch im Namen der Wildtiere und der Biodiversität müssen wir auch die Windenergie überall dort nutzen, wo sich geeignete Flächen anbieten, z.B. auch über den Wipfeln der Wälder, insbesondere wenn es sich um Wirtschaftswälder handelt.

Der Klimawandel, den wir nur durch großflächige Einführung von Anlagen regenerativer Energieanlagen begrenzen könnten, fordert schon jetzt zahllose Opfer in der Tierwelt. Er bedroht auch global den Waldbestand. Weltweit fallen immer häufiger Waldgebiete extremen Stürmen oder extremer Trockenheit mit folgenden Waldbränden zum Opfer. Da scheint es zunächst verständlich, dass man Wälder nicht auch noch durch Windanlagen im Wald gefährden will.

Wer sich mit Windanlagen nicht auskennt, glaubt vielleicht, es müsse nun großflächig Wald gerodet werden, damit die Rotoren der Windanlagen nicht im Windschatten der Bäume stehen. Das ist jedoch nicht der Fall, denn moderne Windanlagen erreichen Nabenhöhen, bei denen sich die Rotoren weit oberhalb der Baumwipfel drehen. Waldvögel leiden nicht unter diesen Windanlagen, denn sie fliegen nicht über den Baumwipfeln in Höhe der Rotoren, sondern in Höhe der Baumkronen, wo sie auch ihre Nester haben und ihr Futter finden.

Geräusche der Rotoren über den Wipfeln sind für Waldbesucher nicht wahrnehmbar, denn sie werden vom Rauschen der Wipfel im Wind übertönt. Schattenwurf der Rotoren wird unter den Wipfeln nicht wahrgenommen. Die Windanlagen „verderben“ auch nicht den optischen Eindruck des Waldes, denn sie bleiben für den Waldbesucher unsichtbar über den Wipfeln. Man sieht sie nur aus weiter Entfernung.

Für den Transport der Windanlagen zu ihrem Aufstellungsort werden Schneisen benötigt. Wenn diese nicht schnurgerade, sondern leicht geschwungen geführt und forstgerecht mit Traufgehölzen versehen werden, können sie das Bild und die Funktion eines ästhetisch ansprechenden Waldweges ergeben.

Wenn Vögel oder Fledermäuse an Windanlagen getötet werden, stellt dies einen bedauerlichen Preis für eine sichere, saubere Energieversorgung dar. Man muss hier aber seriös argumentieren. Die geschätzte Zahl von 240.000 insgesamt jährlich an allen Windanlagen in Deutschland getöteten Fledermäusen besagt überhaupt nichts für den speziellen Standort Wald und kann also nicht als Argument gegen diesen speziellen Standort herhalten.

Überdies muss man solche Zahlen in quantitative Relation setzen. Studien* aus Kanada und den USA zeigen, dass von 100.000 Vögeln, die durch menschliche Bauwerke und durch Verkehrstechnik zu Tode kommen, 3 (drei) auf Windkraftanlagen zurückzuführen sind. Mehr als das Tausendfache geht z.B. auf Hochspannungsleitungen zurück, während die größten Vogel-Killer die Fensterscheiben von Gebäuden sowie der Straßenverkehr bleiben. Über all diese anderen Ursachen für Vogeltod hört man wenig Beschwerden von der „Deutschen Wildtier Stiftung“, die stattdessen mit dem Foto eines (von einer Windanlage?) geköpften Raubvogels Stimmung macht.

Den Interviewten der Emnid-Umfrage dürften diese Informationen wohl kaum bekannt sein. Umso mehr vermissen wir Aufklärung von der „Sonnenseite“, insbesondere wenn sie einen so tendenziösen Beitrag wie den von Herrn Vahrenholt verbreitet.

Im Hinblick auf Ihre großen Verdienste um die Einführung der Erneuerbaren Energien, lieber Herr Alt, hoffen wir, dass Sie unsere Anregung und Bitte aufgreifen, hier nachträglich aufklärend tätig zu werden.

Wir alle sollten uns darüber klar sein, dass wir 100 Prozent Erneuerbare in Deutschland nicht erreichen werden, wenn wir nicht auch Windanlagen in Wäldern errichten. Sonnenenergie alleine reicht nach unseren Berechnungen in Deutschland nicht aus, besonders nicht im Winter. Überschlagsrechnungen ergeben einen Bedarf von weit über 4 Prozent der Landesfläche für Windparks. Es handelt sich dabei um eine physikalische Notwendigkeit, die wir auf unserer Internetseite ausführlich dargestellt haben. Aus Sorge um unsere Umwelt, mitsamt ihren Wildtieren, müssen wir uns bemühen, diesen Bedarf rasch zu decken.

 
Mit herzlichen Grüßen,

WOLF VON FABECK, Geschäftsführer des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e.V.

RÜDIGER HAUDE, Öffentlichkeitsreferent des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e.V.

 

 

*) Fußnote

 

Diese Abschätzung beruht u.a. auf folgenden Studien:

Studie 1   Erickson et al. 2001: Avian Collisions with Wind Turbines: A Summary of Existing Studies and Comparisons to Other Sources of Avian Collision Mortality in the United States (http://www.west-inc.com/reports/avian_collisions.pdf)

Studie 2   Curry / Kerlinger o.J. (http://www.currykerlinger.com/birds.htm)

Studie 3   Erickson et al. 2005: A Summary and Comparison of Bird Mortality from Anthropogenic Causes with an Emphasis on Collisions (http://www.dialight.com/Assets%5CApplication_Notes%5CSignaling%5CObstruction%20Lighting%20Bird%20Strike%20Study.pdf)

Diese Arbeiten kommen jeweils durch Auswertung vieler Einzelstudien zu folgenden Zahlen jährlich in den USA durch Menschen verursachter Wildvogeltötungen (gravierende Ursachengruppen wie Jagd, Hauskatzen, Landwirtschaft vernachlässigen wir hier):

  • Ursache: Hochspannungsleitungen

Studie 1   „Zehntausende bis zu 174.000.000“
Studie 2   bis zu 174.000.000 
Studie 3   130.000.000

  • Ursache: Straßenverkehr

Studie 1   60.000.000 – 80.000.000
Studie 2   50.000.000 – 100.000.000 
Studie 3   80.000.000

  • Ursache: Gebäude (vor allem Fensterscheiben)

Studie 1   98.000.000 – 980.000.000 
Studie 2   100.000.000 – 900.000.000 
Studie 3   550.000.000

  • Ursache: Windanlagen

Studie 1   10.000 – 40.000 
Studie 2   100.000 
Studie 3   28.500

 
Die Studie 3, die mit festen Zahlen rechnet und eine Gesamtzahl von 814.553.500 Vogeltoden umfasst (bei Auslassung von Ursachen wie Ölkatastrophen), ergibt eine Zahl von knapp 3,5 auf Windkraft zurückzuführenden Fällen pro 100.000.

Auf amerikanische Quellen zurückzugreifen, empfiehlt sich im vorliegenden Fall deswegen, weil in Nordamerika sehr viel früher systematisch zu dieser Frage geforscht wurde als in Deutschland. Selbstverständlich sind die Ergebnisse nicht 1:1 auf Deutschland zu übertragen: Länge der vorhandenen Hochspannungsleitungen, Zahl, Höhe und Dichte von Windanlagen, durchschnittliche Gebäudehöhe, Dichte und typische Geschwindigkeiten im Straßenverkehr wären als Variablen zu berücksichtigen. Grundsätzliches würde sich aber an den Zahlenverhältnissen kaum ändern.

Für eine differenzierte Einschätzung der Gefährdung von Vögeln durch Windenergie in Deutschland vgl. jetzt https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/windenergie/03410.html