Nach einem Drehbuch von Mark Monroe und unter der Regie von Fisher Stevens wurde die Klimaschutz-Dokumentation von und mit Leonardo di Caprio erstmalig im Oktober 2016, ganz bewusst kurz vor der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl, dem amerikanischen Publikum vorgestellt.

Di Caprio, seit 2014 UN-Friedensbotschafter, engagiert sich seit vielen Jahren auf dem Gebiet des Klimaschutzes und spricht auf Konferenzen weltweit darüber. Für den Film nutzt er seine Popularität, um eine breite Masse auf das Thema aufmerksam zu machen.

In gut 95 Minuten behandelt die Doku das Thema Klimawandel und was dieser für die Menschen und unseren Planeten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bedeuten wird. Der Film beginnt sehr persönlich mit der Beschreibung des Triptychons „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch, dessen Kopie über dem Bett des jungen Di Caprios hing. Wir befinden uns im Mittelteil mit Überbevölkerung, Zerstörung, Excess, sozusagen „vor der Sintflut“, auf die auch der Titel anspricht und, so seine Befürchtung, steuern geradewegs auf den rechten Teil, den Alptraum, zu: Das zerstörte Paradies, voller Dunkelheit, Chaos, Krieg und Tod.

Zwei Jahre bereiste di Caprio mit seinem Team die Erde, um sich ein Bild über den Zustand und die schon eingetretenen Auswirkungen des Klimawandels auf Umwelt und Menschen zu machen. Wir sehen atemberaubende Luftaufnahmen beim Überflug von riesigen Gebieten, von der Erdölindustrie in apokalyptische Landschaften verwandelt, um Ölsande abzubauen, wir sehen den Verlust der Eisdecke in der Arktis, in sich zusammensackende Eisberge, aktuelle Bilder von Peking, wo vor lauter Smog der Himmel nicht mehr zu erkennen ist, schwelende Regenwälder in Sumatra, die wegen der Rodung für den Anbau von Palmölplantagen für die Nahrungs- und Kosmetikindustrie, vor der Zerstörung stehen, überschwemmte Felder in Indien, vom Untergang bedrohter Pazifikinseln, überflutete Straßen in Miami und viele weitere bedrohliche Szenarien, den meisten von uns wohlbekannt. Bilder der katastophalen Umweltzerstörung werden immer wieder von Aufnahmen, die die erhaltenswerte Schönheit der Natur und Tierwelt zeigen, abgelöst.

„Was geschieht, wenn wir nicht handeln?“ „Was geschieht, wenn die Temperatur weiter ansteigt?“ Darüber und über mögliche Lösungen spricht di Caprio auf seinen Reisen mit Politikern und weltweit führenden Wissenschaftlern. Seine Fragen stellt er bewusst einfach, so dass auch diejenigen, die noch nicht viel über den Klimawandel wissen, von den Interviews profitieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind schockierend und erschütternd. Barak Obama und sein Außenminister John Kerry fürchten um die nationale Sicherheit. Enric Sals, Meeresökologe zeigt die traurige Wirklichkeit toter Korallenriffe. Für Sunita Navain, der Leiterin der indischen Umweltbehörde, hat der Zugang zu Strom für jeden Inder als Grundvorraussetzung minimalen Lebensstandards oberste Priorität. Sie kritisiert, dass die Industrienationen und größten CO2-Verursacher, allen voran Amerika, in der Verantwortung stehen, mit gutem Beispiel voranzugehen, ehe man von einem Entwicklungsland erwartet, in Solarenergie zu investieren, wo Kohle viel billiger ist.

Zu Wort kommen der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Unternehmer und Tesla-Geschäftsführer Elon Musk, der seine Vision eines gigantischen Energie-Speichers erläutert, Piers Sellers, NASA Astronaut und Meteorologe, der an Hand von Simulationen Klimaveränderungen und deren Auswirkungen erklärt und sogar Papst Franziskus, der als religiöser Führer dazu aufruft, gegen den Klimawandel anzugehen. Besonders bedrückend ist es, wenn Betroffene selbst von der durch den Klimawandel verursachten Beeinflussung ihrer Gesundheit oder der drohenden bzw. schon eingetretenen Vernichtung ihrer Existenzgrundlage berichten.

Und vor allem aber kommt Leonardo di Caprio im Film zu Wort. Er erzählt ungezwungen und glaubwürdig, wie er auf das Thema aufmerksam wurde, wie er sich engagiert und wie pessimistisch er inzwischen geworden ist. Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist kein besonders populäres Thema, schon gar nicht im konsumorientierten Amerika. Es wird immer gleichgesetzt mit Verzicht, so dass die Doku, die sich stark an das US-Publikum richtet, auch zeigt, wie man mit kleinen Verhaltensänderungen seinen Beitrag leisten kann.

„Before the flood“ scheut sich nicht davor, Namen der Verantwortlichen zu nennen. Globale Konzerne und Firmen finanzieren Studien, die den Klimawandel als Schwindel darstellen sollen. Der Film führt vor, wie die Industrie Klimawandel-Leugner in der US-Politik bezahlt. Eine Grafik zeigt, welche Nahrungsmittelhersteller Palmöl verwenden und in welchen Produkten, hauptsächlich Fertiggerichte und Fast Food, es zu finden ist.

Bei aller Hoffnungslosigkeit lässt der Film die Zuschauer nicht deprimiert zurück.

Die zahlreichen Experten zeigen Lösungswege - einige davon, wie z.B. die CO2-Steuer, sind verblüffend einfach und versichern, dass der fortschreitende Untergang aufzuhalten und zu einem gewissen Grade reparabel ist, „wenn wir jetzt handeln und aufhören mit der Verbrennung fossiler Energieträger“. Bei seiner aufrüttelnden Rede vor dem UN-Hauptquartier gibt sich di Caprio kämpferisch. Das Pariser Abkommen nennt er eine Hoffnung, aber bei Weitem unzureichend. Er mahnt zum gewaltigen Umschwung, Handeln statt weiterer Reden und Studien. „Wir alle stehen in der Verantwortung unseren Planeten zu beschützen.“

Die öffentliche Meinung kann die politische Strategie ändern, wie am Beispiel China gezeigt wird. Unser Konsumverhalten kann auf die Firmen Druck ausüben und letztlich haben wir die Macht, nur die Politiker zu wählen, die eine Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels aufzeigen.

Es werden viele Probleme angesprochen, die jeder einzeln einen eigenen Film wert sind. So kann vieles nur angerissen werden. Für Leute, die sich schon eingehend mit dem Klimawandel und dessen Folgen beschäftigt haben, bietet der Film sicherlich nicht viel Neues. Ihnen wird der Film zu „zahnlos“ und manchmal harmlos daherkommen. Chancen einer direkten Konfrontation mit den Verantwortlichen, etwa beim Überflug der Ölsandfelder, werden vertan. Auch stört zu Anfang die Präsenz di Caprios in jeder Szene, aber man merkt schnell, wie ernst ihm das Thema ist. Den nicht ganz so mit dem Thema Vertrauten oder den „Ernst-der-Lage-Verdrängern“ vermittelt die Dokumentation jedoch komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge und sachliche Information. Hier wird noch auf Fakten gesetzt! Angesichts der täglichen, schnelllebigen, teilweise „postfaktischen“ Nachrichten kann „Before the flood“ helfen, das Bewusstsein für die Problematik zu verschärfen.

Ans Herz legen möchte ich den Film unbedingt allen Lehrern für ihre Schüler, die sich auch häppchenweise und fächerübergreifend mit der Thematik auseinandersetzen können.

Before the Flood

2016, Dokumentarfilm, 1h 36m

FSK: ab 12 Jahre

im Internet kostenfrei unter

• (Teil1) https://www.youtube.com/watch?v=76Z_IwvQtTI

• (Teil2) https://www.youtube.com/watch?v=7nZyd4ZaHi4

oder als DVD

• (OV) bei www.amazon.de für 9,99 €

• deutscher Version ab 24.5.17 ab 13,99 €