Foto: CC BY-SA Hansueli Krapf.

 

 

Dem Roten Milan wird von Windgegnern ein Bärendienst erwiesen

 

Der Rotmilan (Milvus milvus), auch als Gabelweihe bekannt, ist in Deutschland zum Wappenvogel der Windkraftgegner geworden. Die Hintergründe: Mehr als die Hälfte des weltweiten Bestandes von etwa 25.000 Brutpaaren lebt im Sommer in Deutschland und brütet hier, und der Schutz dieser Art ist eine schwierige Herausforderung. Zweimal war die Art in Deutschland akut vom Aussterben bedroht: Um die vorletzte Jahrhundertwende durch intensive menschliche Bejagung; und vor der letzten Jahrhundertwende vor allem durch massive Änderungen der Landnutzung auf dem Gebiet der vormaligen DDR (Intensivierung der Landwirtschaft mit verstärktem Pestizideinsatz, Rückgang des Anbaus von Feldfutterpflanzen usw.). (1) Seither haben sich die Bestände wieder erholt: von ca. 11.000 Brutpaaren im Jahr 1994 auf ca. 13.000 Paare im Jahr 2013. Aber Rotmilane kommen weiter durch menschliches Zutun zu Tode; dazu zählen Bejagung in den Winterquartieren (namentlich Spanien), Vergiftung (hauptsächlich durch Verzehr vergifteter Beutetiere), die Änderung landwirtschaftlicher Flächennutzung und die Kollision mit menschlichen Bauwerken wie Glasfassaden, Hochspannungsleitungen – und Windkraftanlagen. Die letztere – und soweit wir sehen: nur sie – ist seit einigen Jahren Gegenstand heftiger Polemiken.

Fast schon kanonisch geworden ist die Bezeichnung „Vogelschredder“ für Windkraftanlagen. Im vergangenen Sommer hat es dieser Begriff und der darum sich rankende Konflikt sogar bis in eine Folge der Krimiserie „Tatort“ geschafft. (2) Auch beim Kopp-Verlag, dessen Programm eine Melange aus Verschwörungstheorien, Esoterik und Rechtsextremismus bereithält, findet sich diese Kampfvokabel. (3) „Auf den Todesäckern der sauberen Windenergie“ – so muss die „Frankfurter Rundschau“ im Jahre 2013 schon einmal über Vogelschlag fabuliert haben. (4) Dem Dirigenten, Waldbesitzer und früheren Umweltschützer Enoch zu Guttenberg bleibt es indes vorbehalten, in puncto Polemik den Vogel abzuschießen: Für den Windgegner-Verein „Vernunftkraft“ (5) geißelt er Windräder als „gigantische Vogel-Mord-Maschinen“. (6)

Mit solchen grotesken Verzeichnungen leistet man dem Gedanken des Tierschutzes einen Bärendienst. Die unsachliche Sicht auf die Problemstellung ist in solchen Zitaten offensichtlich, und der Verdacht, dass ganz andere Interessen als der Tierschutz dahinter stehen, ist oft nicht von der Hand zu weisen. Für Naturschützer gilt es deshalb, bei solchen schrillen Tönen den Reflex zu vermeiden, dass es dann wohl gar kein Problem für die Tierwelt gäbe. Es stimmt ja, dass Fledermäuse und Vögel – eben auch Rotmilane – an Windkraftanlagen zu Tode kommen können. Viel weniger als durch andere menschengemachte Ursachen (7), aber immerhin. Die Frage ist: Wie kann man diese Schäden minimieren, ohne auf die Stromproduktion aus Windenergie zu verzichten? Denn wer den Ausbau der Windenergie bekämpft, muss sagen, welche Stromerzeugungsart ihm denn umweltverträglicher erscheint. Eine Energiewende weg von atomaren Gefahren und weg von klimaschädlichen fossilen Brennstoffen bekommen wir jedenfalls nach allen derzeitigen Erkenntnissen nicht ohne einen starken Ausbau auch der Windenergie an Land.

 

Was verkraftet der Rote Milan?

 

Ein Beitrag von Renate Meinhof in der „Süddeutschen Zeitung“ gab kürzlich zu denken. Meinhof berichtet darin von der „Progress“-Studie, die erstmals durch Auswertung von über 1000 Windrädern die Schlagschäden bei verschiedenen Greifvogelarten systematisch erfasst. Das Resümee lautet, „dass der Rotmilan den weiteren Ausbau der Windenergie in Deutschland aller Voraussicht nach nicht verkraftet“. (8) Der Verhaltensforscher Oliver Krüger wird in diesem Text mit der Aussage zitiert, das Töten von Vögeln durch Windkraft-Rotoren sei „nach wie vor ein seltenes Ereignis“. Doch auch seltene Ereignisse könnten eben bei einer seltenen Art „die Population nach unten drücken“. Der Biologe Helmut Diekmann berichtet im gleichen Text, wie verhärtet die Fronten in der Frage Windkraft-versus-Rotmilan inzwischen sind. Windkraftgegner fragen ihn: „Können Sie bei uns nicht 'nen Rotmilan finden?“ Andersherum werde Bauprojekten von Windrädern dadurch Nachdruck verliehen, dass in der Nähe lebende Rotmilane absichtlich durch Giftköder getötet werden. Diekmann selbst hat bereits eine Morddrohung erhalten, vermeintlich von Windenergie-Befürwortern.

Es hat fast den Anschein, dass die Schutzzone für den Roten Milan (1500 Meter gemäß dem „Neuen Helgoländer Papier“ (9)) ihn eher in Gefahr bringt, statt ihn zu schützen. Tötungen von Exemplaren, um sie aus dem Radius eines Windkraft-Projekts zu entfernen, sind ebenso denkbar wie aus dem umgekehrten Grund, den Kadaver gerade in diesem Radius zu platzieren, um die Verwerflichkeit der Windenergie zu „beweisen“. Diesem Vogel täte es sicherlich gut, ihn wieder zu „entpolitisieren“! Diesem Ziel dienen die nachfolgenden Erwägungen.

Das „Neue Helgoländer Papier“ wurde, wie sein Vorgänger, von einer Länderarbeitsgemeinschaft der staatlichen Vogelschutzwarten erarbeitet und im vergangenen Mai von den Umweltministerien der deutschen Bundesländer zur Grundlage der Entscheidung über Windkraft-Standorte gemacht. Für den Roten Milan wurde der Mindestabstand von 1000 auf 1500 Meter erhöht. Dies bedeutet einen Ausschluss vieler Standorte für Windkraftanlagen. Wenn die Milane innerhalb des 1500-Meter-Radius um ihren Horst nicht sicher vor einer Kollision mit einem Windrad-Rotor sind, ließen sich aber auch alternative Schutzmaßnahmen denken, die am Verhalten dieser Tiere ansetzen, und die man den Projektierern einer Anlage als Genehmigungsauflage anbieten könnte.

 

Bodengestaltung

 

Die wichtigste Überlegung in diese Richtung geht von der Beobachtung aus, dass Rotmilane (wie viele andere Greifvögel auch) ihre Beutetiere bevorzugt auf bestimmten Untergründen suchen. Typische Windkraftstandorte erfüllen häufig genau diese Kriterien, d.h. sie sind für Milane auf Beutesuche ideale Regionen. Ist der Boden um einen Windradmasten frei von Bewuchs, lassen sich Mäuse, Maulwürfe usw. von oben leicht erkennen; das kann einen Greifvogel ggf. in die Nähe des für ihn gefährlichen Windrad-Rotors ziehen.

Viele Vorschläge zum Schutz der Roten Milane zielen auf dieses Phänomen ab. Es geht dann darum, einen hohen Pflanzenbewuchs bis nahe an das Windrad heranzuführen. Wenn es sich um eine Wiese handelt, dann können bei der Mahd, die wiederum attraktive Jagdbedingungen für den Roten Milan erzeugt, geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen werden: Z.B. sollen die Bereiche in unmittelbarer Windradnähe erst dann gemäht werden, wenn entferntere Bereiche bereits abgeerntet und dadurch für die Greifvögel attraktiv geworden sind. Notfalls kann verfügt werden, dass in den Tagen nach der Mahd das betroffene Windrad nur nachts läuft – oder unter Wetterbedingungen, bei denen der Rotmilan nicht auf Beutefang geht. Entsprechendes gilt für die Aussaat- und für die Pflugsaison auf Äckern. Zu diesen Zeiten, wenn der Tisch für die Rotmilane reich gedeckt ist (falls mir die Mäuse, Hamster und Maulwürfe diese Formulierung gestatten), können die Windräder zwei Tage lang tagsüber abgestellt werden. Regelungen in dieser Richtung – die Bereiche um das Windrad systematisch als Jagdrevier des Milans unattraktiv machen und womöglich entferntere Bereiche bewusst aufwerten – werden im Einzelfall schon seit einiger Zeit angewendet. (10) 2015 zeichnete das hessische Umweltministerium ein Projekt des Umweltschutzverbandes NABU aus, bei dem die gezielte Strukturierung des Brut- und Nahrungsangebots für den Roten Milan zu einer angepassten Raumnutzung durch die Vögel führte. Der Projektleiter, Maik Sommerhage, schloss, eine gezielte Verbesserung des Nahrungsangebots an Ausweichstellen könne standörtliche Konflikte beim Ausbau der Windenergie verringern. (11) Für viele dieser Maßnahmen ist eine Kooperation mit den Landwirten vor Ort nötig, sofern sie nicht identisch mit den Windradbetreibern sind. Hierfür gilt es, auf politischer Ebene Anreize zu schaffen.

Interessant im Hinblick auf den Schutz der Roten Milane sind darüber hinaus auch Standorte, die dieser Vogel von vorneherein nicht als Jagdgebiet wählt. So könnte gerade der Bau von Windrädern in einem geschlossenen Wald – von Windkraftgegnern sonst besonders gescholten – für unseren Greifvogel eine gute Lösung sein. (12)

 

Verhältnismäßigkeit

 

Mit den beschriebenen Ideen könnten sich die Verluste an Rotmilanen verringern, soweit sie durch Windkraftanlagen verursacht werden. Noch dringlicher wäre es jedoch, die anderen, zahlenmäßig viel stärker ins Gewicht fallenden Todesursachen dieser Vögel anzugehen. Man könnte z.B. bilaterale Gespräche mit Spanien führen, mit dem Ziel, die Rotmilane jagdrechtlich besser zu schützen. Man könnte in Deutschland eine ohnedies lange überfällige Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen einführen. Denn gemäß der Auswertung von Ringfunden der drei deutschen Vogelwarten war der Verkehr vor 1980 für 43% der Todesfälle bei Greifvögeln verantwortlich, nach 1980 hingegen für 52%. (Die Todesursache „Glas“ stieg gleichzeitig von 9% auf 20%; der Ursachenkomplex „Strom/Kabel“ sank von 47% auf 22%.) (13)

Wem der Rotmilan am Herzen liegt und wer ihn für gefährdet hält, würde über all diese Todesursachen und mögliche Schutzmaßnahmen sprechen, gewiss auch über Hauskatzen und Windräder. Aber unterdessen würde ein solcher Mensch sich vielleicht auch darüber freuen, dass sich die Bestände des Roten Milans seit einem Tiefpunkt um die letzte Jahrhundertwende wieder gut erholt haben. Von der Liste der bedrohten Arten konnte er bereits 2007 wieder gestrichen werden – der Boom beim Ausbau der Windenergie in Deutschland war da bereits in vollem Gange. (14)

Dennoch: Vogelschutz hat sehr viel mit Energieproduktion zu tun. Auch der Rotmilan ist von falschen enrgiepolitischen Weichenstellungen massiv bedroht. Wenn wir nämlich den energiegetriebenen Klimawandel nicht eindämmen, könnten seine Habitate verschwinden. Wie das niedersächsische Umweltministerium im letzten Sommer einschätzte, könnten 75% des für den Rotmilan geeigneten Areals in Niedersachsen bis 2100 aufgrund des Klimawandels verloren gehen. (15) Womöglich wird der Rotmilan die Liste der Verlierer des Klimawandels unter den heimischen Vogelarten sogar anführen. (16)

Gegen solche traurigen Perspektiven hilft nur eine Beschleunigung der dekarbonisierenden Energiewende, also auch der vermehrte Bau von Windrädern. Nach Abwägung aller Argumente sind wir das dem Rotmilan schuldig!

 

Nachweise

 

1 Abo-Wind: Bestandsentwicklung des Rotmilans in Deutschland.

2 Mitteldeutsche Zeitung, 14.6.2015: Ab in den "Vogelschredder" (http://www.mz-web.de/medien/tatort-kritik---wer-wind-erntet--saet-sturm--ab-in-den--vogelschredder-,26557340,30946430.html)

3 Torben Grombery: Westerwälder Vogelschredder: Rot-grüne Energiepolitik zu Lasten der Natur. Kopp-Online, 21.9.2011

4 Geht es hier wirklich um Rotmilane? Leserbrief an die Frankfurter Rundschau, 13.5.2015

5 Vgl. zu „Vernunftkraft“: Rüdiger Haude: Mit "Vernunftkraft" gegen saubere Energie, auf: www.sfv.de

6 Vortragsabend mit Enoch zu Guttenberg, auf: www.vernunftkraft.de

7 Vgl. z.B. die Zahlenangaben, die bei Wolf von Fabeck und Rüdiger Haude: Brief an Franz Alt zur Windenergie im Wald, auf: www.sfv.de, zitiert werden.

8 Renate Meinhof: Hast du ‘nen Vogel? Süddeutsche Zeitung, 4.1.2016.

9 Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW): Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten, Stand April 2015 (Berichte zum Vogelschutz, Band 51, 2014. S.15-42, hier: S. 18.

10 Michael Petersen: Abschalten für den Milan. In: Stuttgarter Zeitung, 4.9.2014

11 Umweltministerium Hessen: Auszeichnung für NABU-Rotmilanprojekt, auf umweltministerium.hessen.de; NABU Hessen: Forschen für den Roten. Ziele des NABU-Rotmilanprojekts im Vogelsberg, auf: hessen.nabu.de

12 Pro Windkraft Niedernhausen: Windkraft und Vögel (windkraftempfindliche Vogelarten), auf: http://www.prowindkraft-niedernhausen.de

13 Z.n. Oliver Kohle: Windenergie und Rotmilan. Ein Scheinproblem (Folienvortrag, 2015). Folie 6. – Soweit solche Zahlen nur auf den Fundorten basieren, sind sie mit methodischer Vorsicht zu genießen: Der Fundort könnte vom Kollisionsort eine gewisse Entfernung haben und zur Fehlinterpretation führen. Ein Trend lässt sich aus den genannten Zahlen gleichwohl ablesen.

14 Vgl. zur Bestandsentwicklung: Deutschland: Uhu, Schwarzstorch und Rotmilan geht es bestens, trotz Ausbau der Windkraft, auf: http://www.suisse-eole.ch; Vogelbestände erholen sich trotz Ausbau der Windenergie, auf: http://www.erneuerbareenergien.de

15 80 Prozent der niedersächsischen Vogelarten in Gefahr, in: Neue Osnabrücker Zeitung, 20.8.2015

16  Klimawandel – was dem Eisbären sein Leid ..., in: Züchtungskunde (Zeitschrift)