Bei einer Podiumsdiskussion zur bevorstehenden Landtagswahl erweckte der NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) am 22. April 2022 in Aachen den Eindruck, sein Bundesland liege auf einem der vorderen Plätze beim Windkraftausbau. So habe NRW 2021 auf Platz 3 unter allen Bundesländern gelegen, 2020 gar auf Platz 2. Die 1000-Meter-Abstandsregel, die die CDU-FDP-Regierung eingeführt habe, könne also keine bremsende Wirkung entfaltet haben. Man solle doch einmal erklären, warum „13 Bundesländer, die keine Abstandsregel haben, trotzdem weniger zubauen würden“. Ein Faktencheck:

1.   Pinkwarts Argument unterstellt, dass die Bundesländer unter gleichwertigen Bedingungen antreten, NRW also gleiche Chancen habe wie z.B. der Stadtstaat Hamburg oder das kleine Saarland. Als komme es nicht auf die verfügbare Fläche und nicht auf die Einwohnerzahl an. – So argumentiert ein Gepard, der beim 100-Meter-Lauf gemächlich durchs Ziel schlurft und „Sieg“ brüllt, weil die konkurrierende Schildkröte noch langsamer war.

2.   Der Anteil Erneuerbarer Energien am Strom-Mix ist in keinem deutschen Flächenstaat so miserabel wie in NRW. Über 80% stammten hier 2017 aus fossilen Brennstoffen – eine Größenordnung, die sonst nur von den Stadtstaaten erreicht wurde. Es bestünde also ein immenser Handlungsbedarf. Herr Pinkwart hätte diese 80% durchaus legitimerweise mit der schwierigen Energiegeschichte des Landes NRW und mit dem Export von Strom und Industriegütern (auch in andere Bundesländer) erklären können. Stattdessen behauptet er das Gegenteil und erhebt sich über Länder wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein, wo der Anteil Erneuerbarer 2017 schon jeweils weit über 50, teils nahe 70% lag.[1]

3.   Die NRW-Abstandsregel in NRW trat am 15. Juli 2021 in Kraft. Ihre hemmende Wirkung auf den Windkraft-Ausbau wird also erst in den Folgejahren zutage treten. Dass Pinkwart Zahlen aus dem Jahr 2020 heranzieht, um eine Mitte 2021 in Kraft getretene Maßnahme zu evaluieren, ist Augenwischerei.

4.   Die Windkraft-Politik der derzeitigen NRW-Landesregierung, die seit 2017 im Amt ist, sollte man auch im Lichte der folgenden Grafik betrachten:

Windausbau NRW

Abb.: https://www.lee-nrw.de/themen/windenergie/

 Die Säulen zeigen den Ausbaustand am Ende des jeweiligen Jahres. Die Kurve markiert den jährlichen Zuwachs.

 

Die Grafik zeigt: Von 2012 bis 2017 stieg der jährliche Zubau an Windkraftanlagen in NRW von 149 MW auf 882 MW stark und kontinuierlich an (auch wenn selbst dieser Spitzenwert deutlich unter dem Notwendigen liegt). Nach dem Antritt der jetzigen schwarz-gelben Landesregierung ging er innerhalb von zwei Jahren wieder auf 128 MW zurück, um sich in den beiden Folgejahren bei 314 bzw. 331 MW auf niedrigem Niveau zu konsolidieren. Die Kurve zeigt nicht weniger als das brutale Abwürgen einer aufstrebenden Technik. Man muss zwar in Rechnung stellen, dass auch einige andere Bundesländer ähnliche Kurven aufweisen[2]; offensichtlich gab es starke bundespolitische Signale, die damals in diese Richtung wiesen. Genauer gesagt, handelt es sich um die Umstellung des Windkraft-Ausbaus auf Ausschreibungen. Dieses Verfahren war ursprünglich von der FDP entwickelt und gefordert worden.[3] Wenn man sich nun auf Landesebene mit diesem Zusammenbruch des Windkraft-Zubaus als Speerspitze des Klimaschutzes gebärdet, stellt dies ein politisch-moralisches Armutszeugnis aus.

Und es ist zu bedenken, dass die bereits 2017 von der Landesregierung propagierte und dann 2021 in Kraft getretene Abstandsregel ganz offensichtlich den Zweck verfolgt, den ohnehin einbrechenden Zubau von Windkraft weiter zu drosseln. In Anbetracht der immensen Schäden, welcher der rheinische Braunkohle-Komplex dem globalen Klima zufügt, ist dies ein geradezu schändliches Vorgehen. Es mit dem Anschein seines Gegenteils zu ummänteln, macht es moralisch noch ärger.

Die Bekämpfung der Klimakrise erfordert, dass am 15. Mai eine Politik, wie sie die jetzige NRW-Landesregierung aus CDU und FDP auf dem Energiesektor betrieben hat, abgewählt wird.

 

 

Nachweise:

 

Titelbild: Andreas Pinkwart (2. von rechts) beschreibt NRW als Windkraft-Vorreiter in Deutschand. Aachen, 22. April 2022.

[1]              https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Erzeugung/Tabellen/bruttostromerzeugung-laender.html 

[2]              https://www.wind-energie.de/themen/zahlen-und-fakten/bundeslaender/ 

[3]              https://www.energieberufe.de/news/nachrichten/artikel-26589-eeg-und-ausschreibungen-gabriel-setzt-fdp-modell-um