5 %-Deckel oder Grundgesetzänderung?

Muß erst das Grundgesetz geändert werden, damit der zweite Deckel der Härteklausel entfallen kann? Könnte die Quote ein Ausweg sein?

W.v.Fabeck

Die „Härteklausel" im neuen Stromeinspeisungsgesetz hat vom Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens an zu heftigen Protesten bei den Umweltverbänden geführt. (Absatz 1 der Härteklausel siehe Kasten.)

§ 4 Härteklausel

(1) Soweit die nach diesem Gesetz zu vergütenden Kilowattstunden 5 vom Hundert der vom Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Kalenderjahr insgesamt über sein Versorgungsnetz abgesetzten Kilowattstunden übersteigen, ist der vorgelagerte Netzbetreiber verpflichtet, dem aufnehmenden Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Mehrkosten, die durch die diesen Anteil übersteigenden Kilowattstunden entstehen, zu erstatten. Zu diesen Mehrkosten zählt bei vorgelagerten Netzbetreibern auch die Belastung mit dem Erstattungsanspruch nach Satz 1. Ist ein vorgelagerter Netzbetreiber nicht vorhanden, so entfällt für diejenigen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, bei denen die in den Sätzen 1 und 2 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, mit Beginn des Kalenderjahres, das auf den Eintritt dieser Voraussetzung folgt, die Pflicht nach § 2 Satz 1 bei Anlagen, die zu diesem Zeitpunkt in wesentlichen Teilen noch nicht errichtet waren; bei Windkraftanlagen ist insoweit die Aufstellung von Mast und Rotor maßgeblich.

Die hier vorgenommene Begrenzung der Aufnahmeverpflichtung für Strom aus erneuerbaren Energien auf 5 % wurde in vielen Stellungnahmen der Umwelt-Energieverbände als eine Verkaufsgarantie für 95 % Kohle- und Atomstrom angegriffen. Ihre Änderung oder Abschaffung ist wichtiges Ziel dieser Verbände. Die Härteklausel enthält außerdem - und das ist eine gesetzgeberische Besonderheit - in Absatz 4 eine Selbstverpflichtung des Gesetzgebers, vor Eintreten der umstrittenen Folgen eben dieser Härteklausel eine andere Ausgleichsregelung treffen zu wollen. (Absatz 4 siehe Kasten)

(4) Das Bundesministerium für Wirtschaft hat dem Deutschen Bundestag spätestens im Jahr 1999, in jedem Fall aber so rechtzeitig über die Auswirkungen der Härteklausel zu berichten, daß vor Eintritt der Folgen nach Absatz 1 Satz 3 eine andere Ausgleichsregelung getroffen wird.

In der beginnenden Legislaturperiode steht demnach eine Neuformulierung der Härteklausel, möglicherweise sogar des gesamten Stromeinspeisungsgesetzes an. Das Thema wird im Kreis von Umweltfreunden kontrovers diskutiert. Zwar besteht Einigkeit darin, daß man die jetzige Begrenzung der Aufnahme- und Vergütungspflicht nicht wolle, aber die Verbesserungsvorschläge unterscheiden sich erheblich. Sie reichen von ersatzloser Streichung der Härteklausel, über Vorschläge zu ihrer Änderung bis zum Vorschlag, das gesamte Stromeinspeisungsgesetz durch eine Quotenregelung zu ersetzen. Es ist deswegen hilfreich, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer oder was durch die bisherige Härteklausel geschützt werden soll und ob ein solcher Schutz überhaupt notwendig ist.

Absatz 1 Satz 1 wälzt die finanzielle Mehrbelastung des Netzbetreibers auf den vorgelagerten Netzbetreiber ab, wenn die Menge des aufzunehmenden Stromes aus erneuerbaren Energien die 5 % überschreitet. Diese 5 % werden häufig als „erster Deckel" bezeichnet. Der erste Deckel schützt - so erscheint es zumindest auf den ersten Blick - den Betreiber des aufnehmenden Netzes. Doch der Netzbetreiber darf nach § 2 letzter Satz die ihm entstehenden Mehrkosten auf das Durchleitungsentgelt aufschlagen. Seine Kunden können dem kaum ausweichen, weil in der Regel kein zweiter Netzbetreiber im selben Gebiet zur Wahl steht. Letztlich wird deshalb durch den ersten Deckel weniger der Netzbetreiber als der Stromkunde geschützt. Hiergegen ist unter den Energie-Umweltverbänden bisher keine Kritik laut geworden; die Frage wird eher als nebensächlich angesehen.

Einem Verein, der sich für eine 100-prozentige Energieversorgung aus erneuerbaren Energien einsetzt, darf allerdings der Hinweis gestattet sein, daß aus technischen Gründen eine Lösung gefunden werden muß, wenn z.B. ein großer Off-Shore-Windpark in das Netz eines kleinen Netzbetreibers in einer windigen Nacht mehr Strom einspeist, als in dessen gesamten Netz verbraucht wird. Hier wird zwar nicht bei Erreichen der 5 % in der Jahresbilanz, wohl aber bei einem Überschuß der augenblicklich eingespeisten gegenüber der gleichzeitig abgenommenen Leistung eine Abnahme- und Vergütungspflicht des vorgelagerten Netzbetreibers erforderlich werden. Doch das ist jetzt nicht das Thema.

Der zweite Deckel

Der „zweite Deckel" (Absatz 1 Satz 3) enthält den eigentlich problematischen Inhalt der Härteklausel. Er begrenzt die Verpflichtung zur verbesserten Vergütung, wenn bis zur Verbundnetzebene hinauf im Jahresverlauf 5 % Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist werden. Viele Umweltfreunde meinen nun, eine Verbesserung der Härteklausel dadurch erreichen zu können, daß sie einen anderen Ausgleichsmechanismus vorschlagen; Durchleitung des Stroms in benachbarte Verbundnetze, Schaffung von Ausgleichskassen, Quotenregelungen etc. Dem liegt die Vermutung zugrunde, daß dem Gesetzgeber - aus welchen Gründen auch immer - nur noch nicht die richtige Idee gekommen sei, wie er einen Ausgleich wirksam und gerecht bewerkstelligen könne. Doch das ist wahrscheinlich ein Fehlschluß.

Wie kompliziert die Thematik insgesamt ist, zeigt sich vordergründig bereits an der Tatsache, daß der Gesetzgeber bis zum tatsächlichen Eintritt der umstrittenen bzw. nichtgewollten Folgen sich selber in Absatz 4 eine Überlegungsfrist eingeräumt hat, anstatt die Härteklausel einfach wegzulassen. Daß der Gesetzgeber trotz seiner scheinbaren „Ratlosigkeit" die Härteklausel als Provisorium in das Gesetz aufgenommen hat, könnte ein Hinweis darauf sein, daß er hier einer schlimmeren Folge vorbeugen wollte, die im Gesetzestext nicht genannt wird; nämlich einer Ablehnung des gesamten Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht. Dieser Gedanke ist keineswegs abwegig, wie gleich zu sehen sein wird: Bei einer raschen Ausbreitung der erneuerbaren Energien würden die Eigentümer der konventionellen Großkraftwerke auf ihren getätigten Investitionen sitzen bleiben („Gestrandete Kosten"). Das wäre vom Standpunkt des Umweltschutzes aus nicht bedauerlich. Auch hat kein Teilnehmer am freien Markt ein Anrecht auf Schutz der von ihm getätigten Investitionen, wenn neue Techniken im „fairen Wettbewerb" seine bisherigen Investitionen hinfällig werden lassen. Doch wenn der Staat in den Wettbewerb eingreift und den neuen Techniken durch „Änderung der Spielregeln", d.h. konkret durch das Stromeinspeisungsgesetz, Vorteile verschafft, wird dies von den betroffenen Großkraftwerksbetreibern als enteignungsähnlicher Eingriff gesehen, der gegen das Grundrecht auf Eigentum verstößt. Der zweite Deckel schützt deshalb indirekt die Betreiber der bisherigen konventionellen Kraftwerke, indem er ihnen in der Tat so etwas wie eine Verkaufsgarantie für mehr als 95 % Strom aus konventionellen Kraftwerken bietet. Das ist so gewollt. Genauer gesagt, unter den gegebenen Umständen sah der damalige Gesetzgeber wahrscheinlich keine andere Möglichkeit.

Die in der jetzigen Härteklausel gefundene unbefriedigende Lösung geht vermutlich davon aus, daß man bei einem staatlich privilegierten Anteil von nur 5 % erneuerbarer Energien von einer Bagatelle ausgehen kann, die eine Verfassungsklage auf enteignungsähnlichen Eingriff unangemessen erscheinen läßt. Doch jede wesentliche Überschreitung dieser oder einer ähnlichen Bagatellgrenze - gleichgültig wie auch immer sie gesetzestechnisch formuliert oder „verbrämt" wäre - könnte möglicherweise zum Konflikt führen. Das gilt sogar für eine Quotenregelung.

Quotenregel - keine Lösung

Warum auch die Quotenregelung keinen Ausweg bietet, sei kurz erläutert: Einige Umweltjuristen denken an eine Streichung des gesamten Stromeinspeisungsgesetzes und wollen stattdessen die Energieversorger dazu zwingen, erneuerbare Energien in genau vorgeschriebenen wachsenden Anteilen im Strommix bereitzuhalten. Doch eine Quotenregelung würde die Stromversorger genau mit der Aufgabe betrauen, der sie in der Zeit ihres Versorgungsmonopols nicht nachgekommen sind, nämlich der Umstellung auf die erneuerbaren Energien. Die Stromversorger haben stattdessen eine Überkapazität aus konventionellen Erzeugungsanlagen aufgebaut. Eine Quotenregelung (wenn sie denn überhaupt effektive Quoten vorschreiben würde) würde die Versorgungsunternehmen zwingen, entgegen jeder betriebswirtschaftlichen Vernunft, ihren eigenen konventionellen Anlagen Konkurrenz zu machen. Im Endeffekt kommt auch dieser Zwang einem enteignungsähnlichen Verfahren nahe; die Quotenregelung bringt ebenfalls keine Lösung für das grundsätzliche Problem.

Der Interessenkonflikt

 Hier geht es also um einen Interessenkonflikt, dem wir weder durch geschickte Umformulierung der Härteklausel noch durch Einführung einer Quotenregelung ausweichen können und der auf jeden Fall bis zum Bundesverfassungsgericht führen wird. Es geht um den Interessenkonflikt zwischen dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Eigentum auf der einen Seite und einer Fülle entgegenstehender Argumente. Zu nennen ist das Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz. Zu nennen ist auch die Frage, wie weit Eigentum an Kohle- oder Atomkraftwerken eine soziale Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft darstellt. Es geht weiterhin darum, wie weit die Stromwirtschaft in der Vergangenheit ihren Verpflichtungen nachgekommen ist, als bevorrechtigter Monopolist Vorsorge für eine umweltgerechte Stromversorgung der Zukunft zu treffen, und um die Frage, ob sie sich nicht selber unter Mißachtung der Gemeinwohlverpflichtung des alten Energiewirtschaftsgesetzes schuldhaft in die jetzige Lage gebracht hat. Schließlich könnte auch die Tatsache von Belang sein, daß das Stromeinspeisungsgesetz im wesentlichen schon existierte, bevor die ehemaligen Monopolisten in den freien Wettbewerb gezwungen wurden. Es wird um eine Abwägung der Frage gehen, wie weit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt wird, wenn das Eigentum an einer Technik geschützt wird, die nach überwiegender Meinung zur Klimakatastrophe führt, etc, etc. Doch das alles sind Fragen, die von unterschiedlicher Seite unterschiedlich beantwortet würden, und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist hier nicht vorhersehbar.

>Eine Frage des Grundgesetzes?>

Letztlich geht es um eine Abwägung zwischen den Rechten der sozialen Gemeinschaft und den Rechten von juristischen Personen. Bei einer solchen Abwägung wird nicht zwischen gut und böse, richtig und falsch entschieden, sondern es kann sich auch um ein Abwägen von zumutbaren Anteilen handeln. Es wäre z.B. denkbar, daß eine Privilegierung der erneuerbaren Energien bis zu 10 % vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert, eine darüber hinausgehende aber als unangemessen abgelehnt würde. Das Augenmerk des Gesetzgebers sollte deshalb auch der Frage gelten, ob nicht die Erhöhung des staatlich privilegierten Anteils an erneuerbaren Energien erst durch Verbesserungen im Grundgesetz vorbereitet werden muß.

Wenn eine solche Prüfung zu dem Ergebnis käme, daß die Einschränkung der individuellen Grundrechte zugunsten der Bewahrung einer intakten Umwelt deutlicher formuliert werden müßte, dann sollten die Volksvertreter diese Aufgabe beherzt anpacken.

Es könnte sich lohnen, denn der angesprochene Interessenkonflikt tritt in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens auf. Zwar ist zu einer Grundgesetzänderung eine 2/3 Mehrheit im Bundestag notwendig, doch scheint sie bei den neuen Mehrheitsverhältnissen nicht mehr ausgeschlossen. Wir Freunde der Solarenergie brauchen uns durch die Aussichten auf eine Auseinandersetzung um das Grundgesetz nicht entmutigen zu lassen. Warten wir ab, ob sie überhaupt notwendig ist. Im übrigen gilt: „Kommt Zeit, kommt Rat". Füllen wir erst einmal gemeinsam mit unseren Freunden von Wind, Wasserkraft und Biomasse die Verbundnetze mit 5 % Strom aus erneuerbaren Energien.