Datum: April 2004

Auszug aus dem nicht veröffentlichten SPIEGEL-Beitrag von Gerd Rosenkranz und Harald Schumann

Abzocke mit der Kraft-Wärme-Koppelung

Inzwischen ermittelten Gutachter des Umweltministeriums, dass bis zum Ende der gesetzten Frist gerade mal die Hälfte der erhofften Treibhausgas-Reduktion zustande kommt. Gleichzeitig bremsten die Konzerne und die ihnen angeschlossenen regionalen Verteilerunternehmen private Newcomer rabiat aus. Die von der Konkurrenz eingespeisten Kilowattstunden aus KWK-Anlagen taxierten sie auf ganze 1,41 Cent, auf die sie dann den im KWK-Gesetz vorgeschriebenen Bonus aufschlugen. Im Ergebnis verdienten viele Betreiber nach der Verabschiedung des Gesetzes weniger als zuvor. Wie dreist die Stromer vorgehen, musste zum Beispiel das Ingenieur-Unternehmen Freischlad & Assmann erfahren. Dieses betreibt im Auftrag der hessischen Kommune Eschenburg ein gasgefeuertes Heizkraftwerk für das örtliche Schwimmbad und produziert 300.000 Kliowattstunden Strom für das Netz der E.on-Tochter EAM. Weil die Heizwärme nicht immer gebraucht wird , muss das Schwimmbad auch 15.000 Kilowattstunden jährlich zukaufen. Während die EAM den gelieferten Strom mit 3,3 Cent pro Kilowattstunde vergütet, verlangt sie aber für den Zukauf 45 Cent - zwischen Zu- und Verkauf klafft ein Faktor von mehr als 13. «Diese Praxis benachteiligt massiv private Investoren in der KWK-Stromerzeugung», ärgert sich Anlagenbetreiber Hans-Joachim Freischlad. E.on kassiere «den Gewinn einer Investition, für die sie nichts bezahlt haben».

Trotz all dieser Blockadestrategien können sich die Konzerne jedoch keineswegs in Sicherheit wiegen. Denn ein weiteres politisches Großprojekt wird die Karten im EU-Energiemarkt schon bald neu mischen: Die von den EU-Regierungen bereits beschlossene Einführung des europaweiten Handels mit Emissionszertifikaten. Erstmals soll damit der Ausstoß von Treibhausgasen für die Industrie einen Preis bekommen - mit der Folge, dass die Verstromung von Braun- und Steinkohle womöglich drastisch teurer wird. Das EU-Gesetz sieht vor, dass alle Industrieunternehmen mit Feuerungsanlagen über 20 Megawatt Leistung Zertifikate erhalten, die sie zum Ausstoß einer bestimmten Menge Kohlendioxid berechtigen. Betroffen sind in Deutschland rund 2400 Anlagen, die zusammen über 50 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen verursachen. Der Rest stammt aus den Motoren der Autoflotte sowie den privaten Haushalten und dem Kleingewerbe. Die insgesamt ausgegebene Menge der Zertifikate orientiert sich an den Verpflichtungen, die jedes EU-Land im Rahmen des Kyoto-Protokolls zur Minderung der Klimabelastung übernommen hat. Bis 2012 muss Deutschland demnach 21 Prozent weniger Klimagifte in die Atmosphäre blasen als 1990. Auf Energiewirtschaft und Industrie entfallen hierzulande gut 500 Millionen Tonnen.

Die Zertifikate sollen die Unternehmen untereinander handeln können. Auf diesem Weg, so die Grundidee, erfolgen die nötigen Investitionen dort, wo sie die geringsten Kosten verursachen. Spart etwa ein Kraftwerksbetreiber durch neue Technik mehr Kohlendioxid ein, als er muss, kann er überschüssige Zertifikate an andere verkaufen, die sich die entsprechenden Investitionen nicht leisten wollen.

Dabei braucht sich die deutsche Industrie eigentlich keine großen Sorgen zu machen. Weil sich Deutschland vor allem wegen des Umbaus der DDR-Energiewirtschaft Anfang der neunziger Jahre dem 21-Prozent-Ziel bereits auf zwei Prozent genähert hat, kann sie die Reduktionsverpflichtungen bis 2012 ohne großen Aufwand bewältigen. Beim jüngsten Energiegipfel im Kanzleramt versprach Minister Trittin den versammelten Chefs der Stromkonzerne darum, es werde kostenlos genügend Zertifikate für alle geben. Der Vattenfall-Konzern soll ein Extra-Kontingent für die bereits abgeschlossene Modernisierung seiner Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland erhalten. Selbst für den Ersatz der Atomkraftwerke durch erdgas- oder kohlebefeuerte Meiler will Trittin Zusatzertifikate ausgeben. Für wachstumsbedingte Emissionen und Newcomer am Markt soll außerdem ein Reservefonds bereit stehen. All das droht jedoch die Zertifikate zu inflationieren und ihren Preis zu drücken. Um dennoch die nationalen Klimaschutzpflichten einhalten zu können, müssten «zusätzliche einschneidende Maßnahmen bei Verkehr und privaten Haushalten» ergriffen werden, heißt es ahnungsvoll in einem internen Vermerk des Umweltministeriums. Das klingt nach Mautgebühren für alle, Tempolimit oder schärferen Wärmeschutzbestimmungen. Doch ob die Politik am Ende Autofahrer und Hausbesitzer mit neuen Belastungen vergrault, um die großen Unternehmen zu entlasten, bezweifeln selbst die Strommanager. «Das Treffen beim Kanzler», frozzelt deshalb E.on-Chef Bernotat, «war harmonisch, weil es harmonisch sein sollte - das Fingerhakeln kommt erst noch».