Die tragische Fehleinschätzung von Energiesparappellen

Eine notwendige Kursänderung der Umweltbewegung?
20.7.2001

In einer gewaltigen erzieherischen Anstrengung haben Umweltfreunde seit den siebziger Jahren versucht, sich und ihre Mitbürger auf das Energiesparen einzuschwören. Die Notwendigkeit des Energiesparens wurde bundesweit deutlich gemacht; Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten, Schonung der Ressourcen, Verminderung der energiebedingten Umweltschäden, und viele Gründe mehr, die uns alle geläufig sind. Die ersten Ergebnisse all dieser Appelle konnten sich sehen lassen: Insbesondere die Überraschung der Stromwirtschaft dürfte noch in guter Erinnerung sein. Mehrere neue Atomkraftwerke, im Hinblick auf weitere Zunahme des Stromverbrauchs geplant, führten nun zu erheblichen Überkapazitäten (man hätte sie fast alle gleich nach der Fertigstellung wieder abschalten können, hat dies aber aus anderen Gründen nicht getan). Der Energieverbrauch koppelte sich plötzlich entgegen der herrschenden Lehrmeinung vom Wirtschaftswachstum ab und stagniert seitdem.

Dies alles war ein großer Erfolg. Der Energieverbrauch stagniert allerdings - das müssen wir heute eingestehen - auf hohem, auf allzuhohem Niveau. Die weitergehenden Hoffnungen der Umweltbewegung, man könne den Energieverbrauch auf die Hälfte, ja auf ein Drittel reduzieren, blieben unerfüllt. Dies liegt nicht etwa daran, dass die Hoffnungen technisch unerfüllbar waren, oder die Appelle nicht eindringlich genug, sondern hat ökonomische Gründe, die hier zumindest angedeutet werden sollen.

Energiesparen kann man bezüglich seiner ökonomischen Voraussetzungen und Konsequenzen gedanklich in zwei Stufen einteilen.

Stufe 1: Energiesparmaßnahmen, die sich wirtschaftlich lohnen

z.B. Abstellen der Heizung anstatt die Fenster aufzureißen,
Licht ausschalten, bevor man das Zimmer verlässt,
Energiesparlampen statt Glühlampen verwenden.

Stufe 2: Energiesparmaßnahmen, die sich wirtschaftlich nicht lohnen

(genauer gesagt, die sich unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen noch nicht lohnen)
z.B. Kauf eines 2 Liter-Autos,
Wärmedämmung eines verwinkelten Altbaus.

Natürlich gibt es noch beliebig viele Zwischenstufen und außerdem sind die Zusammenhänge nur schwer rechnerisch zu erfassen und schließlich spielen nicht nur ökonomische, sondern immer auch psychologischen Gründe mit, unter denen Bequemlichkeit und Trägheit einen vorderen Platz einnehmen. Nach Abzug all dieser Ungenauigkeiten jedoch bleibt sicherlich folgende Verallgemeinerung möglich:

Maßnahmen der Stufe 1 sind Appellen weitgehend zugänglich, Maßnahmen der Stufe 2 dagegen werden von der statistisch relevanten Mehrheit der Bevölkerung trotz aller Appelle unterlassen, allerdings gibt es hier andere Anreizmittel, die später zu erwähnen sind.

Die Tatsache, dass der Energieverbrauch nun schon seit einigen Jahren trotz aller Appelle nicht weiter zurückgeht, lässt vermuten, dass die Maßnahmen der Stufe 1 mehr oder weniger ausgeschöpft sind. Umsomehr verwundert es, dass engagierte Umweltfreunde immer noch und weiterhin auf Energiesparappelle setzen, so z.B. Umweltminister Trittin vor wenigen Wochen.
Der Grund für diese Appellgläubigkeit dürfte ein soziologischer sein. Umweltfreunde bewegen sich im allgemeinen im Kreis von Gleichgesinnten. Man hat eine Toiletten-Sparspülung, verwendet Energie-Sparlampen und fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Man ist sogar bereit, einige Maßnahmen der Stufe zwei freiwillig zu ergreifen. Man nutzt die Annehmlichkeiten seiner Standby-Schaltungen nicht mehr, zieht stattdessen den Stecker heraus, und man dämmt die Außenwände seines Häuschens, obwohl diese Geldausgabe bei den gegenwärtigen Heizölpreisen eine geringere Einsparung erbringt als die Rendite jeder Geldanlage auf der Bank. Ökonomisch gesehen, leistet man Verzicht und rechnet aus, wieviele Atomkraftwerke abgeschaltet werden könnten, wenn jeder sich so verhalten würde.

Im Glauben an das gute Beispiel und die Macht der moralischen Argumente formuliert man noch eindringlichere, noch überzeugendere Energiesparappelle. Doch hier liegt der tragische Irrtum. Das gute Beispiel und der überzeugende Appell haben ihren Sinn, wenn es darum geht, neue Möglichkeiten des Handelns aufzuzeigen. Sie demonstrieren, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen technisch möglich sind, dass sie die Akteure nicht übermäßig belasten, sie vor allem nicht in den Ruin führen. Mehr von Appellen zu erwarten, ist jedoch wahrscheinlich lebensfremd. Die Mehrheit der Bevölkerung jedenfalls lebt nicht gegen ihre ökonomischen Interessen. Schlimmer noch, allein die Tatsache, dass Appelle erfolgen, lässt bei den Adressaten den Verdacht aufkommen, dass sie Verzicht leisten sollen und dieser Verdacht kommt sogar dort auf, wo er völlig unberechtigt ist. So werden auch solche Maßnahmen unterlassen, die eigentlich zu einem wirtschaftlichen Vorteil führen; typisches Beispiel, die Energiesparlampe. Potenziert wird die Negativwirkung der Appelle noch durch die Tatsache, dass sie aus den Reihen der Umweltbewegung kommen, der von den politischen und wirtschaftlichen Gegnern nur allzugerne das Odium der ewig Verzicht leistenden Müsli-Leute umgehängt wird.

Statistisch nachweisbare Tatsache ist jedenfalls, dass trotz des noch nicht ausgeschöpften Potentials der Energiespar-Stufe 1 die Bevölkerung den Energiesparappellen nicht weiter folgt; ihnen offenbar nicht weiter folgen will. Und hier verkehrt sich die Wirkung der Appelle eher in ihr Gegenteil. Niemand lässt sich gerne auf Dauer vom moralischen Zeigefinger dirigieren. Wer einen moralischen Appell nicht befolgen will, macht sich lustig über ihn und seinen Träger. Gerade die junge Generation reagiert deshalb auf die Appelle der Umweltbewegung immer häufiger mit Spott oder blankem Zynismus. Die Energiewirtschaft hat dies längst erkannt. Sie, die mit dem Verkauf von Energie Geschäfte macht, fordert in ihrer eigenen Werbung unbesorgt zum Energiesparen auf, vermutlich doch wohl deshalb, weil ihre Werbepsychologen die Resistenz und den Widerspruch ihrer Kundschaft gegen solche Appelle genau einzuschätzen wissen. Deutlicher kann wohl kaum noch demonstriert werden, dass weitere Energiesparappelle wirkungslos und kontraproduktiv sind.

Es ist deshalb an der Zeit, sich nach einer neuen Strategie umzusehen, mit der der Energieverbrauch weiter reduziert werden, wie zumindest das Potential der Energiespar-Stufe 1 ausgeschöpft werden kann. Hier können Erinnerungen an die Durchsetzung der Anschnallpflicht beim Autofahren hilfreich sein. Zunächst war ermittelt worden, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, in angeschnalltem Zustand bei einem Unfall zu überleben erheblich höher ist, als ohne Anschnallen. Mehrere Jahre lang wurde diese Erkenntnis öffentlich verbreitet, verbunden mit dem Appell, sich doch bitte im eigenen Interesse anzuschnallen. Doch erst als das Nicht-Anschnallen mit einer Geldbuße belegt wurde, tat die Mehrheit der Autofahrer endlich das, was ohnehin in ihrem Interesse lag. Es ist zu bezweifeln, dass jeder Autofahrer die Höhe der Geldbusse bei Nichtbefolgung der Anschnallpflicht überhaupt kennt, allein die Tatsache, dass das Fehlverhalten "etwas kostet", reichte aus.

So dürfte allein das öffentliche Wehgeschrei, dass Energie teurer wird, mehr zum Energiesparen beitragen als jeder Energiesparappell. Es mag zynisch klingen: wichtiger als die absolute Höhe der Energieverteuerung ist die Tatsache, dass öffentlich über die Preisanhebungen diskutiert und lamentiert wird. Auf diese Weise könnte es gelingen, zumindest die Energiesparmaßnahmen, die sogar einen wirtschaftlichen Vorteil ergeben, weiter durchzusetzen und die Akteure sozusagen zu ihrem Glück zu zwingen.

Die gleiche Maßnahme - Erhöhung der Energiepreise - ist dann auch geeignet, das Energiesparpotential der oben erwähnten Stufe 2 zu erschließen. Hier geht es darum, Energiesparmaßnahmen, die sich bisher nicht bezahlt machen, durch Anhebung der Energiepreise attraktiv zu machen. Welche Energiesparmaßnahmen sich ökonomisch rechnen, hängt ja fast ausschließlich vom Energiepreis ab. Nehmen wir ein in tragischer Weise bekannt gewordenes Beispiel: Wenn das Benzin 5 DM pro Liter kosten würde, würden die Autokäufer auf sparsamere Autos ausweichen. Doch sparsamere Autos müssen erst entwickelt und produziert werden. Diese Dinge brauchen Zeit, und noch wichtiger; sie müssen planbar sein. Deshalb war die damals aufgestellte Forderung der Bündnisgrünen nach einer kontinuierlichen Anhebung des Spritpreises auf 5 DM pro Liter völlig richtig. Dass es dem ADAC und der parteipolitischen Konkurrenz gelungen ist, die Grünen zur Rücknahme dieser Forderung zu bewegen, wird vielleicht einmal als eine der größten Niederlagen des Umweltschutzes in Deutschland angesehen werden. Eine gut durchdachte und richtige Forderung wurde aus wahltaktischen Gründen fallen gelassen. Es darf sogar bezweifelt werden, dass die wahltaktische Überlegung überhaupt schlüssig war; denn wenn 85 Prozent der Bevölkerung vehement gegen die kontinuierliche Anhebung des Benzinpreises waren, dann sieht dies zwar auf den ersten Blick beängstigend aus, doch nur auf den ersten Blick. Immerhin waren doch 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung aus wohldurchdachter Überzeugung dafür. Einen bundesweiten Stimmenanteil dieser Höhe hätte sich die Partei in den folgenden Jahren manchmal noch gewünscht.

Den politischen Akteuren fehlt auch heute noch die Standfestigkeit, die notwendigen Energiepreisanhebungen in notwendiger Höhe und Konsequenz durchzusetzen. Die ständig neu aufkommenden Diskussionen im Regierungslager, ob und welche Stufen der Ökosteuerreform verschoben oder gar aufgehoben werden sollen, sind ein warnendes Indiz. Die Tatsache, dass der Umweltminister mit einem Energiesparappell an die Öffentlichkeit tritt, anstatt die Energiepreise weiter anzuheben, beweist seinen eingeschränkten Spielraum.

Hier liegt somit eine wichtige Aufgabe für die Umweltbewegung. Hier wurden schon immer die neuen und wegweisenden Gedanken der zukünftigen Umweltpolitik entwickelt und in die Öffentlichkeit getragen. Es gilt deshalb für alle Umweltgruppierungen, das bisher eingeübte und zum automatischen Reflex erstarrte Zeremoniell der Energie-Spar-Appelle hinter sich zu lassen, um an seine Stelle die begründete Forderung nach ständiger Verteuerung der Energie zu setzen.

Es führt nun einmal kein Weg daran vorbei: Energie muss teuer werden! Energie muss noch teurer werden, Energie muss schmerzhaft teuer werden! Anders bekommen wir das Problem nicht in den Griff.

Mit freundlichen Grüßen
Wolf von Fabeck