Der nachfolgende Kommentar basiert auf den Informationen, die über die klimapolitischen Entscheidungen der Bundesregierung vor zehn Tagen in der Presse verlautbart wurden. Wir werden die konkrete Umsetzung (z.B.: Wann und wie werden Kraftwerksblöcke heruntergefahren und in die "Kapazitätsreserve" überführt?) aufmerksam beobachten und ggf. weiter darüber berichten.

Die energiepolitischen Beschlüsse der Bundesregierung vom 2. Juli 2015 zeigen nicht nur die Handschrift der großen Energiekonzerne. Die zentrale Entscheidung – Stilllegung von fünf bis acht Braunkohlekraftwerksblöcken, die zu einer „Kapazitätsreserve“ erklärt werden, wofür die Betreiber eine fürstliche „Entschädigung“ erhalten – diese Regelung ist die Umsetzung einer Idee, die die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) im Mai 2015 vorgestellt hatte. Die Gewerkschaft hatte diese Lösung mit der schalmeienhaften Begründung vorgeschlagen, damit ließen sich "Versorgungssicherheit und Klimaschutz verbinden" – zwei Dinge also, die auch einzeln kaum in dem Vorschlag enthalten sind, geschweige denn verbunden: Das Modell ist eine direkte Kampfansage gegen den Klimaschutz, und zur Versorgungssicherheit sind die betroffenen Blöcke offensichtlich unnötig.

Hintergrund dieses Vorschlags war die damalige Planung des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD), die ältesten Kohlekraftwerke mit einer Sonderabgabe auf den CO2-Ausstoß zu belasten, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Diese Maßnahme hätte nach Ansicht der IGBCE „einseitig die Braunkohle“ getroffen: „Kraftwerkstilllegungen, Arbeitsplatzverluste und steigende Strompreise wären die Folgen.“ Wie ist die jetzige Regelung unter diesen Aspekten einzuschätzen?

Sie führt zweifellos zu Kraftwerksstilllegungen. 2,7 Gigawatt (von 20,9 GW installierter Leistung) – das ist aus Klimaschutz-Erwägungen zwar viel zu wenig, aber auch Gabriels ursprünglicher Plan war ja sehr behutsam gewesen.

An den betroffenen Standorten kommt es auch zu Arbeitsplatzverlusten. Denn die „Kapazitätsreserve“ ist ein lächerliches Etikett, das einzig der Rechtfertigung der „Entschädigungs“-Zahlungen dient. Wie Minister Gabriel es am 2.7. im „Morgenmagazin“ formulierte: die Reserve ist so etwas wie „der Gürtel zum Hosenträger“. Die Blöcke werden also de facto endgültig dichtgemacht, und das heißt, dass von den dortigen Belegschaften nicht viel übrig bleibt.

Die „Entschädigung“, die einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr umfassen soll, wird entweder von den Stromkunden aufzubringen sein – dann hätten wir auch die steigenden Strompreise. Oder sie wird aus Steuermitteln bezahlt, was gerade bei Menschen mit schmalem Geldbeutel auch kein Entzücken hervorrufen sollte. Bereits im Vorfeld war zurecht darauf hingewiesen worden, dass die nun gefundene Lösung für die Verbraucher die teuerste aller denkbaren sei. Ob diese dreiste Klientelpolitik den Überprüfungen des Bundesrechnungshofs und der subventionsrechtlichen Prüfung durch die EU standhält, wird sich noch zeigen müssen.

 

Wessen Interessen vertritt die IGBCE?

 

Mit den Einnahmen aus einer CO2-Abgabe hätte z.B. aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben werden können. In den Braunkohlerevieren steht schließlich ein ausgewachsener Strukturwandel bevor, der jetzt eingeleitet werden müsste, um den Klimaschutz und Arbeiter-Interessen in Einklang zu bringen.

Stattdessen hat die Gewerkschaft IGBCE ein Modell durchgebracht, das hunderte von Millionen Euro in die Konzernkassen der größten Klimafrevler spült. Glauben die Herren Arbeitnehmervertreter vielleicht, dieses Geld komme ihrer Klientel zugute? Nein; es wird als Dividende an die Aktienbesitzer ausgeschüttet werden. Das Vorgehen der IGBCE-Führung gründet deshalb entweder auf Dummheit (und das glauben wir nicht), oder auf Kumpanei mit der Kapitalseite, mit der man sich die gut gepolsterten Aufsichtsrats-Sessel teilt. Noblesse oblige.

Wir würden uns wünschen, dass Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Im Falle der Braunkohle, deren Förderung und Verbrennung aus übergeordneten Erwägungen des Klimaschutzes sehr schnell beendet werden muss, hieße das, auf einen sozialverträglichen Ausstieg und auf einen – auch ökologisch – sinnvollen Strukturwandel in den betroffenen Regionen zu pochen. Schon die Umgestaltung und Renaturierung der „ausgekohlten“ Region würde übrigens genügend Menschen Arbeit auf Lebenszeit bieten. Warum soll denn das alte Arbeiterlied nicht eine energiepolitische Bedeutung annehmen können: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit / Brüder, zum Lichte empor / Hell aus dem dunklen Vergang‘nen / Leuchtet die Zukunft hervor“.

Nichts darüber hört man von der IGBCE. Sie treibt mit den Interessen ihrer Mitglieder Schindluder.

Der G7-Gipfel in Elmau hat Anfang Juni dieses Jahres die „Dekarbonisierung“ der weltweiten Energieversorgung im Laufe dieses Jahrhunderts auf die Agenda gesetzt. In Deutschland wäre die Dekarbonisierung der Gewerkschaften ein lohnendes Etappenziel.