Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat im Januar dieses Jahres ein Sondergutachten1 herausgegeben, das sich mit der Frage auseinandersetzt, ob eine 100%ige Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien möglich und ob diese sicher und bezahlbar sei.

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) setzt sich mit den Kernthesen dieses viel beachteten und viel zitierten Gutachtens kritisch auseinander.

Das Sondergutachten beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob die Stromversorgung in Deutschland bis 2050 für Einhaltung des 2°-Klimaschutz-Ziels (Festlegung der G20 und der EU) und der daraus abgeleiteten Reduktion des CO2-Ausstosses um 80 bis 95 Prozent vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann.

Schon die grundlegende Annahme selbst, dass das 2°-Ziel und der 40-jährige Zeithorizont bis 2050 an sich geeignet und ausreichend sind, den Klimawandel mit Sicherheit ausreichend abzubremsen, muss kritisch hinterfragt werden. Vor dem Hintergrund, dass die Festlegung auf das 2°-Ziel bereits ein Kompromiss darstellt, hätten wir uns gewünscht, dass der SRU die Ausrichtung der Klimaschutzmaßnahmen entlang des 2°-Ziels im Sondergutachten auch klar als einen Weg am unteren kritischen Minimum dargestellt hätte. Dagegen wird die rein politische Festlegung auf die Einhaltung des 2°-Ziels im Gutachten als „vorgegeben“ zugrunde gelegt.

In seiner Bewertung bestätigt der SRU, dass die im Energiekonzept der Bundesregierung angestrebten Ziele der CO2-Reduktion und der Ausbau der Erneuerbaren möglich sind, erhofft sich jedoch ehrgeizigere Anstrengungen und kritisiert Maßnahmen wie die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke als nicht notwendig und sogar behindernd.

Kurz gesagt: Der SRU hält eine erneuerbare Stromversorgung in Deutschland bis 2050 für realisierbar und bezahlbar. Er hat – basierend auf dem von der DLR entwickelten REMix-Modell – insgesamt acht unterschiedliche Szenarien rechnen lassen, die sich in der Annahme des zukünftigen Gesamtstromverbrauchs in Deutschland unterscheiden (500 bzw. 700 TWh pro Jahr), eine vollständige Selbstversorgung, eine Netto-Selbstversorgung mit Austausch mit Dänemark und Norwegen (DK/NO) oder einen bis zu 15%igen Nettoimport aus DK/NO bzw. der sonstigen EU oder Nordafrika (EUNA) zugrunde legen.

Wir möchten nicht die einzelnen Ergebnisse der unterschiedlichen Modellrechnungen kommentieren, uns jedoch mit den vom SRU gezogenen Schlussfolgerungen und Bewertungen auseinandersetzen.

Das Gutachten kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, das „signifikante Laufzeitverlängerungen oder neue Kohlekraftwerke für den Übergang nicht nötig sind“2 . Diesen Punkt halten wir – insbesondere vor dem Hintergrund der atomaren Katastrophe in Japan – für die wichtigste Feststellung des Sondergutachtens, zeigt er doch, dass das von der Bundesregierung und der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit vertretene Energiekonzept mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ein folgenschwerer Irrweg ist. Der SRU konstatiert, dass für den Übergang genügend konventionelle Kraftwerke zur Verfügung stehen und eine zunehmend auf erneuerbaren Energien fußende Versorgung mit den schlecht regelbaren Atom-Grundlastkraftwerken nicht kompatibel ist. Auch die Kohleverstromung mit CCS (Carbon Capture and Sequestration, Abscheidung und Lagerung des bei der Verbrennung entstehenden CO2) bewertet der SRU als eine nicht sinnvolle Möglichkeit.

Statt neuer Kohlekraftwerke und einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke plädieren die Autoren des SRU-Gutachtens für eine Steigerung der Energieeffizienz als der „kostengünstigst verfügbaren Brückentechnologie“3 für eine vollständige Umstellung der Stromversorgung. Wir stimmen dem SRU in der Zielstellung, die Energieeffizienz deutlich zu steigern und den Stromverbrauch in Deutschland langfristig bei etwa 500 TWh jährlich zu stabilisieren, voll zu. Jedoch halten wir die vorgeschlagenen Maßnahmen dazu für diskussionswürdig. Die vom SRU genannten Instrumente von Stromkundenkonten halten wir – ähnlich wie den Emissionshandel – für bürokratische und letztlich wenig wirksame Instrumente. Stattdessen möchte der SFV die Einführung einer Energiebesteuerung und eines Energiegeldes erneut ins Gespräch bringen. Dies umso mehr, als der Preis das einzig wirksame Signal ist, sowohl an Industrie als auch an private Verbraucher, effiziente Geräte zu produzieren und mit Energie sparsam umzugehen.

Der SRU plädiert als Ergebnis seiner Studien für eine Weiterentwicklung der europäischen Klimapolitik und des Emissionshandels. Er muss jedoch eingestehen, dass der Emissionshandel bisher die in ihn gesetzten Erwartungen keinesfalls erfüllt hat und aufgrund einer „unzureichenden dynamischen Effizienz“ nur zu „inkrementellen Verbesserungen im langfristig klimaunverträglichen Kraftwerkspark beiträgt“4. Vor dem Hintergrund der dem Emissionshandel zugrunde liegenden Entscheidungsfindung (Festlegung nicht auf ambitionierte Ziele, sondern Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner) bedeutet diese Feststellung aus Sicht des SFV eine Bankrotterklärung für den Emissionshandel kommt doch auch der SRU zu der Feststellung, dass das EEG sich dagegen als „wirksames und vergleichsweise effizientes Instrument bewährt“ hat und zu einem „international beachteten Erfolgsmodell der Ausbauförderung für erneuerbare Energien geworden“5 ist.

Das EEG sollte den Empfehlungen des SRU zufolge beibehalten und weiterentwickelt werden. Auch wenn wir dieser Festlegung grundsätzlich zustimmen, so müssen wir jedoch in der Beurteilung, welche erneuerbaren Energien wie stark partizipieren sollen, Widerspruch zu den SRU-Schlussfolgerungen anmelden. Der SRU plädiert aus Kostengründen für den massiven Ausbau der Offshore Windenergienutzung und eine drastische Beschränkung des Ausbaus der Photovoltaik (PV). Die vom SRU gerechneten Szenarien billigen der PV nur einen Anteil zwischen Null und max. ca. 18% zu. Die Offshore-Windenergie nimmt jedoch in jedem der Szenarien den mit Abstand größten Anteil von ca. 50 bis
ca. 65% ein.

Das Gutachten widmet sich in vielen Detailvorschlägen der Ausbauförderung für Offshore Windenergienutzung, lässt jedoch außer Acht, dass diese deutlich teurer als ein entsprechender Ausbau der Onshore-Kapazitäten ist. Zudem bedarf der massive Ausbau der Offshore-Windenergienutzung eines viel stärkeren Netzausbaus (insbesondere der Nord-Süd-Verbindungen), wird doch durch sie der Schwerpunkt der Erzeugung in die Nord- und Ostsee verlegt. Auch darf bezweifelt werden, ob die Potentialannahmen für die Offshore-Windenergie insbesondere wegen möglicher Nutzungskonkurrenz und wegen zu berücksichtigender Naturschutzbelange realistisch sind.

Der SRU spricht von „großen Prognoseunsicherheiten hinsichtlich des zukünftigen Bedarfs an Photovoltaik“ 6 und setzt sich daher für eine drastische Drosselung der Förderung der PV ein: „Die aktuelle Zubaurate ist viel höher, als es nach dem aktuellen Wissensstand für das Erreichen eines kostenoptimalen Mix erneuerbarer Energien notwendig ist7 Der SRU setzt sich für eine Deckelung des jährlichen Zubaus ein.

An diesem Punkt möchten wir den Autoren des SRU-Gutachten entgegenhalten, dass die einseitige und aus unserer Sicht kurzsichtige Orientierung an den Kosten die einzigartigen Vorteile der PV, eine überall auch kleinräumig und bürgerfreundlich nutzbare Energieform zu sein, völlig außer Betracht zu lassen scheint. Als dezentrale Form kann die PV praktisch überall in Deutschland genutzt werden und erzwingt von sich heraus keinen Ausbau der Übertragungsnetze. Zudem besitzt die PV von allen derzeit für die Energiewende in Betracht gezogenen Energien mittelfristig das größte Kostensenkungspotential, woraufhin sich nach einer Übergangszeit die Kosten für den Zubau neuer Anlagen verringern werden. Der vom SRU angestellte Vergleich der zukünftigen Kosten der Photovoltaik mit den zukünftigen Kosten der Offshore-Windnutzung und zukünftiger Pumpspeicher in Norwegen hinkt. Erfahrungsgemäß werden die Preise für Großprojekte wie die Offshore-Wind-Pumpspeicherlösung im Planungsstadium regelmäßig erheblich zu optimistisch angesetzt. Und die PV-Vergütungen sind schon jetzt deutlich niedriger als es der SRU angenommen hat.

Die klaren Aussagen des SRU zu einem zuverlässigen Auslaufen des Betriebs konventioneller Kraftwerke können wir allerdings unterstützen. Der SRU konstatiert, es bedürfe „eindeutiger und klarer Festlegungen der Politik, sodass jeder weitere Bau von Kraftwerken, die nicht für einen flexiblen Lastausgleich geeignet sind unter Aspekten des Bestands- und Vertrauensschutzes auf eigenes Risiko des jeweiligen Unternehmens erfolgt und keine politische Hilfestellung zu erwarten ist, sollten sich die Investitionen unter den veränderten klimapolitischen Rahmenbedingungen und dem verstärkten Wettbewerb der erneuerbaren Energien als unrentabel erweisen8 Wir möchten hier ergänzen, dass aus unserer Sicht der Gesetzgeber die Hürden für die besonders klimaschädliche Braun- und Steinkohleverstromung so hoch hängen muss, dass ein Neubau derartiger Anlagen praktisch nicht möglich ist.

In Sachen Stromübertragungsnetz drängt der SRU auf einen massiven Ausbau. Er möchte durch einen zentral vom Bund aufgestellten „Bundesfachplan Stromübertragungsnetz 2030“ den Staat in die „Infrastrukturgewährleistungsverantwortung“9 nehmen. Wenn wir als SFV den Ausbau des Übertragungsnetzes, insbesondere von Nord-Süd-Trassen zur Anbindung der norddeutschen Windparks auch für notwendig erachten, so sehen wir doch bei der Wahl dezentraler Speicherlösungen anstelle der vom SRU präferierten weit entfernten Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen eine geringere Notwendigkeit zum Ausbau des Übertragungsnetzes. Zudem würden dezentrale Infrastrukturen den zukünftigen Anforderungen nach stärkerer Energieautonomie von Regionen und einer größeren Robustheit der Stromversorgung mit mehr Redundanzen deutlich besser Rechnung tragen, auch wenn dies zunächst kostenintensiver sein mag.

Der SFV unterstützt allerdings den Ruf des SRU nach einer zentralen Verantwortung des Bundes in der Netzplanung. Wir gehen so weit zu fordern, dass die Stromnetze ähnlich wie die Straßen und Schienen in die Verantwortung einer öffentlichen Netzbetriebsgesellschaft gehören, die nicht auf Profite ausgerichtet, sondern auf die Bereitstellung einer sicheren, robusten und leistungsfähigen Infrastruktur.

Die abschließende Feststellung des SRU, dass „in Deutschland die Signale aus Energiewirtschaft und Politik noch nicht hinreichend eindeutig seinen“10 möchte der SFV dahingehend verstanden wissen, dass ein klares auf Taten ausgerichtetes Bekenntnis fehlt. Die vielen warmen Worte in Richtung der Erneuerbaren Energien sind noch keine tragfähige Brücke. Die Position der am Weiterbetrieb der fossilen und atomaren Anlagen ausgerichteten „alten“ Energiewirtschaft ist nach wie vor stark.

Insgesamt kommen wir in der Einschätzung des SRU-Sondergutachtens zur drei Schlussfolgerungen:

1. Der SRU hält eine vollständige Umstellung der Stromversorgung für Deutschland bis 2050 für realisierbar. Wir sind der Überzeugung, dass die Umstellung aus Klimaschutzgründen sehr viel schneller vonstatten gehen muss und kann.

2. Der SRU kritisiert die im Energiekonzept der Bundesregierung enthaltene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und den Neubau von Kohlekraftwerken als ungeeignete Brückentechnologien und letztlich als blockierend für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir stimmen dieser Feststellung voll zu.

3. Der SRU präferiert aus Kostengründen einen massiven Ausbau der Offshore-Windenergie und den Bau von Pumpspeicherkraftwerken vorrangig in Norwegen sowie eines dazu notwendigen Supergrids. Die Photovoltaik nimmt in diesem Umstellungskonzept nur eine untergeordnete Rolle ein. Wir vom SFV widersprechen diesem Konzept, so lässt eine so einseitig an den heute abgeschätzten Kosten ausgerichtete Lösung die Anforderungen an Dezentralität, Robustheit und Demokratisierung der Stromversorgung völlig außer Betracht. Gerade bei letztgenannten Kriterien besitzt besonders die Photovoltaik - zusammen mit dezentralen Stromspeichern –ihre größten Vorteile.


Anmerkungen
1) siehe: http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2011_
Sondergutachten_100Prozent_Erneuerbare.pdf;jsessionid=C94E0CED40A0694967C7A6700CE69FF7?_
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2) dto. Abschnitt 10.1.4
3) dto, Abschnit 10.2.2, Punkt 658
4) dto, Abschnitt 10.2.4, Punkt 663 8) dto, Abschnitt 10.2.5, Punkt 671
5) dto, Abschnitt 10.2.4, Punkt 665 9) dto, Abschnitt 10.2.5, Punkt 673
6) dto, Abschnitt 3, Punkt 8.2. 10) dto, Abschnitt 10.2.7, Punkt 686
7) dto, Abschnitt 10.2.4, Punkt 669