Editorial des Solarbriefs 3/16

 

In diesem Herbst werden wichtige Weichen für die Zukunft des Welthandels gestellt. Das Freihandelsabkommen CETA zwischen Kanada und der EU soll endgültig verabschiedet werden. Gelingt dies, ist auch für das TTIP-Abkommen mit den USA der Weg geebnet.

Diese Abkommen werden zu Recht kritisiert: Die Entscheidungsfindung nationaler Parlamente wird internationalen Konzernen ausgeliefert, denen Gesetzesvorhaben vorab vorzulegen sind. Schiedsgerichte ohne demokratische Legitimation hebeln die etablierte Gerichtsbarkeit aus. Die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft werden zulasten der ärmeren Länder zementiert und verstärkt. Sozialpolitik, Umweltschutz – alles kann zu einem „Handelshemmnis“ erklärt werden; mit kostspieligen Konsequenzen für die Staaten, die solche Politik überhaupt noch versuchen. Die schiere Idee der Gerechtigkeit wird kriminalisiert, und das Denken von Zukunft zu einer Frage von Konzernbilanzen gemacht.

Auch der SFV hat die aktuellen Freihandels-Abkommen stets scharf abgelehnt, u.a. weil eben auch Klimaschutz zum „Handelshemmnis“ werden und damit ausgehebelt werden kann. Aber die Gefährdung des Weltklimas durch CETA & Co. hat noch eine tiefer liegende Dimension. Es geht bei diesen Abkommen darum, die letzten Hemmungen, die dem Welthandel noch Grenzen setzen, abzubauen (Zölle, nationale Gesetze). Dabei ist es schon ohne diese Verträge so, dass der weltweite Güterverkehr droht, zu einem Hauptmotor des Klimawandels zu werden. Schiffe, Flugzeuge, Landfahrzeuge stoßen heute 23 % des CO2 aus, das unsere Atmosphäre Jahr für Jahr zu verkraften hat; nach den Plänen der Freihandels-Apostel wird es noch viel mehr werden.

In ihrem lesenswerten Buch „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima“ (2015) hat Naomi Klein darauf hingewiesen, dass die globalen Klimaschutzverhandlungen und die Freihandels-Verhandlungen seit Beginn der 90er Jahre parallel gelaufen sind, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Aber welche Logik im Konfliktfall die Oberhand bekommen würde, war immer klar. In der Klimarahmenkonvention der UNO, unterschrieben beim „Erdgipfel“ in Rio 1992, heißt es, „Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimaänderungen“ sollten keine „verschleierte Beschränkung des internationalen Handels sein“. Klein fragt: „Welche Folgen würden die enorm gewachsenen Distanzen, die Güter des Grundbedarfs nun zurücklegen […], für die CO2-Emissionen haben?“ Die Unterhändler der Freihandelsverträge fragen sich das nicht. Dabei käme es doch darauf an, die Beweislast umzukehren. Erst wenn im CETA-Vertrag der Satz stünde: „Maßnahmen zur Förderung des Fernhandels dürfen keine Beeinträchtigung des Klimaschutzes bewirken“, könnten wir überhaupt anfangen, über CETA ernsthaft zu diskutieren.

Formulieren wir es deutlich: Im Namen des Klimaschutzes ginge es darum, den Freihandel zu beschränken, um den Welthandel auf ein für die Erde erträgliches Maß zurückzuschrauben. Diesen Gedanken nur auszusprechen; kommt heute einer Gotteslästerung gleich. Diese Lästerung will ich freimütig begehen. Doch ich will nicht Verzicht predigen. Mobilität ist an sich wertvoll; wenn man sie von der wirtschaftlichen Ausbeutung entkoppelt, kann sie Menschen und Völker einander näherbringen. Aber wir müssen die Mobilität weniger exzessiv gestalten – und wir müssen sie vollständig dekarbonisieren.

Ausgehend von dieser Einsicht, widmet sich dieser Solarbrief schwerpunktmäßig dem Thema der Verkehrswende (Solarbrief 3/2016, S.20-43). Wir schauen uns in mehreren Erfahrungsberichten die Praxis der E-Automobilität in Deutschland an; und wir richten den Blick auch auf Schienenverkehr, auf Seefahrt und Luftfahrt. Überall gibt es Konzepte, diese Verkehrssektoren emissionsfrei zu gestalten. Die technischen Lösungen sind bekannt. Was jetzt Not tut, ist politischer Wille.

Für die Verkehrswende werden wir viele zusätzliche Erzeugungs- und Speicheranlagen für regenerativen Strom benötigen – und der Klimawandel gönnt uns keine Verschnaufpause mehr. Deshalb sind nicht Freihandelsverträge à la CETA angesagt, die Öl ins Feuer des Klimawandels gießen; sondern internationale Vereinbarungen und nationale Anstrengungen für die Dekarbonisierung der Wirtschaftssysteme, einschließlich des Verkehrssektors.

Lassen Sie sich von der Lektüre unseres Schwerpunktes anregen, und fragen Sie die Politiker, die nächstes Jahr von Ihnen gewählt werden wollen, was sie auf diesem Politikfeld getan haben und zu tun gedenken.

Mit besten Grüßen,
Ihr Rüdiger Haude