In dem folgenden Beitrag macht Rüdiger Haude darauf aufmerksam, wie die in der SPD-Spitze seit Helmut Schmidt und Gerhard Schröder anhaltende neoliberale Grundeinstellung im Zusammengehen mit der CDU nicht nur die Unterschiede zwischen Arm und Reich laufend vergrößert hat, sondern wie diese neoliberale Grundeinstellung die Spitzenpolitiker blind und wehrlos macht gegenüber den sozialen und den ökologischen Gefahren aus der Fortsetzung der Kohle- und Atompolitik.

 

Die Standardwaffe, mit der seit Jahren gegen die Energiewende in Deutschland angekämpft wird, ist die Forderung, Strom müsse für die Menschen bezahlbar bleiben, und dieser Grundsatz sei durch die Energiewende, namentlich durch das EEG, in Gefahr.

Dagegen lassen sich gute Argumente anführen, die sich ins Labyrinth der Strompreisbildung und sonstiger volkswirtschaftlicher Lastenverteilungen begeben. Die EEG-Umlage erscheint ausdrücklich auf den Stromrechnungen, während die Milliardensubventionen für schmutzigen Strom anonym aus Steuermitteln aufgebracht werden. Der Merit-Order-Effekt bewirkt, dass der Strompreis an der Strombörse durch den Boom der Erneuerbaren Energien dramatisch gesunken ist, aber dies geben die Stromversorger nicht an die Endkunden weiter, sondern nutzen es für die Generierung von Extraprofiten. Usw., usw.

Gegen die stammtischkompatible Parole „EEG macht den Strom teuer“ haben diese Wahrheiten wenig Chancen: zu kompliziert.

 Ich möchte diese Frage von einer anderen Seite beleuchten. Dafür habe ich einen Blick in die Dokumentation der Preisentwicklung geworfen, die vom Statistischen Bundesamt herausgegeben wird. Genauer gesagt, in die „Harmonisierten Verbraucherpreis-Indizes“, die in der Fassung vom Oktober 2013 vorliegen (Statistisches Bundesamt: Preise. Harmonisierte Verbraucherpreisindizes. Oktober 2013. Wiesbaden 2013). Auf gut hundert Seiten werden hier für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen die Preisentwicklungen seit 1995 aufgelistet und gewichtet. Aus mir nicht bekannten Gründen werden dabei die Werte des Jahres 2005 als „100“ gesetzt, und für die anderen Jahre lässt sich so die prozentuale Abweichung von dieser Bezugsgröße ablesen.

Der „Harmonisierte Verbraucherpreis insgesamt“ zum Beispiel erreicht für das Jahr 2012 einen Wert von 113,5; das heißt, dass die Verbraucherpreise nach der zugrundeliegenden Berechnungsmethode zwischen 2005 und 2012 um 13,5% gestiegen sind.

Das Bezugsjahr 2005 ist für meine Zwecke günstig gesetzt, denn es handelt sich um ein Jahr, in dem durch das EEG generierte Stromkosten noch sehr gering waren: die EEG-Umlage betrug in jenem Jahr 0,63 Cent je KWh, 2012 lag sie bei 3,59 Cent je KWh. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/152973/umfrage/eeg-umlage-entwicklung-der-strompreise-in-deutschland-seit-2000/

Die Preisentwicklung für Elektrizität im Haushalt weicht tatsächlich in problematischer Weise vom allgemeinen Preissteigerungsindex ab. Verglichen mit 2005 lag der Wert 2012 bei 143,5. Es kann nicht geleugnet werden, dass dies in einkommensschwächeren Haushalten zu Problemen führt. Aber es fällt noch etwas anderes auf. Die Statistik listet die Elektrizitätskosten als Unterpunkt einer Kategorie „Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe“, zu der außerdem die (nach Energieträgern weiter differenzierte) häusliche Heizenergie zählt. In der Gesamtkategorie wird die Elektrizität mit etwa 40% gewichtet. In dieser Gesamtkategorie beträgt der Wert für das Jahr 2012: 144,6 Punkte. Das heißt: die Heizkosten sind im Durchschnitt schneller als die Stromkosten gestiegen; und sie fallen zudem stärker ins Gewicht.

Die Frage, die sich hier aufdrängt, lautet: Wieso machen weder CDU/CSU noch SPD aus diesem viel bedeutenderen sozialen Problem ein Wahlkampfthema? Wieso hören wir in keiner Talkshow den Satz: „Heizung muss bezahlbar bleiben“?

Die Antwort muss wohl lauten: Weil man damit den großen Energiekonzernen keinen Gefallen tun könnte. Die fossilen Heizkosten (Heizöl, Gas, Kohle – um diese geht es vor allem in der Statistik) fallen nicht unter das EEG. Allenfalls könnte man sagen: Insoweit durch das EEG die Stromproduktion von fossilen Energieträgern entlastet wird, wird gemäß den Marktgesetzen ein noch dramatischerer Anstieg der Preise für diese Rohstoffe tendenziell verhindert.

Schauen wir auch noch kurz auf das dritte energiebezügliche Kostensegment: die „Kraft- und Schmierstoffe für private Verkehrsmittel“, vulgo ‚Sprit‘. Die Indexzahl für 2012 lautet hier 135,2. Das ist etwas geringer als bei Strom und Heizung, aber immer noch massiv über der allgemeinen Preissteigerungsrate, um von der Lohnentwicklung in den unteren Schichten der Gesellschaft mal ganz zu schweigen. Und für den Spritpreis kann nun wirklich auch kein EEG als Steigerungsfaktor geltend gemacht werden.

Aus all diesen Zahlen lässt sich doch wohl der Schluss ziehen: Die Zeit der billigen fossilen Brennstoffe geht unwiderruflich zu Ende. Das hat etwas mit ihrer Begrenztheit zu tun. Es wird immer teurer, die verbliebenen Bestände aus immer schwerer auszubeutenden Lagerstätten zutage zu fördern. (Von den vergesellschafteten Kosten der Folgewirkungen – Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, internationale Rohstoff-Kriege usw. – soll diesmal nicht die Rede sein; die müssen ja an anderer Stelle bezahlt werden als auf der Strom-, Gas- oder Tankrechnung.) Wer – wie aktuell Herr Altmeier und Frau Kraft, Frau Merkel und Herr Gabriel – in dieser Situation eine bereits erfolgreich begonnene Energiewende zerstört, handelt nicht verantwortungsvoll. Geradezu aberwitzig ist es aber, diese Sabotage der Energiewende mit „Bezahlbarkeit“ zu begründen. Wenn in wenigen Jahrzehnten die Preise für fossile Energieträger weiter dramatisch gestiegen sind, dann haben jene Volkswirtschaften (samt den zugehörigen Privathaushalten) enorme Preisvorteile, die rechtzeitig auf regenerative Energien umgeschwenkt sind. Diese Chance zu verspielen, ist ein geradezu strafwürdiges Verhalten!

Das ändert nichts an den heutigen Nöten ärmerer Haushalte. Für deren Armut ist jedoch nicht das EEG verantwortlich, sondern dieselbe neoliberale Politik, die heute das EEG zerstört. Wenn Union und SPD die Energiewende mit dem Argument der verbreiteten Armut bekämpfen – einer Armut, die sie höchstselbst herbeiregiert haben – dann ist das einfach nur schäbig!
Wer hält sie denn davon ab, die häuslichen Energiekosten (Heiz- und Stromkosten) der einkommensschwächeren Haushalte komplett über das Wohngeld abzufedern? Wer hindert sie daran, ein Energiegeld auszuzahlen? Wer zwingt sie, diese absurden und wohl auch illegalen Umlagebefreiungen für die größten CO2-Schleudern und ihre energiehungrigen Kunden beizubehalten? Wer hat ihnen z.B. den Floh ins Ohr gesetzt, ausgerechnet den Braunkohletagebau zu befreien? Solche Fragen ließen sich noch ein, zwei Seiten lang fortsetzen.

Offiziell begründet wird die Umlagebefreiung mit dem Argument, es müssten im internationalen Wettbewerb Arbeitsplätze geschützt werden. Wie stimmig dieses Argument ist, mögen die folgenden Zahlenbeispiele verdeutlichen: 
Im Jahr 2013 sind 2245 stromintensive Unternehmen von der EEG-Umlage befreit. Insgesamt werden sie in diesem Jahr mit 4 Milliarden Euro dafür subventioniert, dass sie besonders viel Strom verbrauchen. Vgl. http://www.solaranlagen-portal.com/blog/eeg-umlagebefreiung-von-stromintensiver-industrie-wird-gepruft/ Von den über 90.000 Gigawattstunden, die so subventioniert werden, entfallen z.B. 4.000 Gigawattstunden auf den Aluminiumhersteller Trimet. Dieser beschäftigte im Jahr 2011/12 nur 1875 Mitarbeiter. Da knapp 180 Millionen Euro Subventionen durch Umlagebefreiung auf diese Firma entfallen, errechnet sich eine Subvention pro Arbeitsplatz in Höhe von ca. 95.000 Euro jedes Jahr. Mit demselben Geld könnte man in anderen Branchen ein Vielfaches an Arbeitsplätzen generieren – es ist schlichtweg verschwendet. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Trimet_Aluminium_AG oder http://www.solarindustrie.com/eu-eeg-umlagebefreiung-auf-unerlaubte-beihilfe-prufen-361/

Nun ja, wir ahnen schon, wer das alles tut. Wir ahnen, wer bei dieser obszönen Vorstellung voRWEggeht, und wer sich am Nasenring durch die Staatskanzleien und Kanzlerämter ziehen lässt. Wir dürfen nicht aufhören, mit Fingern darauf zu zeigen. Eine solche Politik muss für die Parteien, die sie zulassen, politisch so teuer werden, dass das schiere Überlebensinteresse sie zwingt, Vernunft vor Lobbygehorsam walten zu lassen.