In den nächsten Wochen wird der Regierungsbezirk Köln über den Antrag des Netzbetreibers Amprion (früher RWE-Tochter) auf Baugenehmigung einer HGÜ-Höchstspannungsleitung von Oberzier nach Lichtenbusch entscheiden. Der Ablauf dieses Enscheidungs-Verfahrens wird in einem Merkblatt der Bezirksregierung beschrieben. So mancher Grundbesitzer wird überrascht feststellen, dass zum Bau dieser Leitung ein 20 Meter breiter und 3 Meter tiefer Graben quer durch sein Grundstück gebaggert werden muss.

Die Stromkunden werden sich wundern, dass die Netzkosten als Bestandteil des Strompreises weiter steigen. Immerhin hat die Bundesnetzagentur zugesagt, dass grundsätzlich das investierte Eigenkapital den Netzbetreibern eine Rendite von 6,91 Prozent erbringen soll - ein Anreiz, dem kaum ein Netzbetreiber widerstehen mag.

Um dennoch die lokale Akzeptanz dieses Projektes zu erhöhen, wird den betroffenen Grundbesitzern vorgegaukelt, ohne die HGÜ-Leitung könnten die beiden tickenden Zeitbomben Tihange 2 und Doel 3 nicht abgeschaltet werden.

Um die Akzeptanz der deutschen Atomgegner zu gewinnen, wird ihnen angedeutet, dass die ALEGrO Trasse Belgien beim Ausstieg aus der Atomenergie helfen werde.

Um den Widerstand der klimabesorgten Bürger zu überwinden, wird erzählt, dass Süddeutschland mit Hilfe von ALEGrO mehr Windstrom aus Norddeutschland erhalten werde.

Was ist nun von diesen drei Behauptungen zu halten?

  • Ohne ALEGrO könnten Tihange 2 und Doel 3 nicht abgeschaltet werden
  • Belgien benötige ALEGrO, um aus der Atomenergie aussteigen zu können
  • ALEGrO sei notwendig für die deutsche Energiewende

 

Informationen zum Projekt ALEGrO

Die folgende Übersichtskarte stellt den Antrag von Amprion dar. Die Ortsangabe Aachen Brand und der Grenzübergang Lichtenbusch sind hier durch den SFV zusätzlich zur besseren Orientierung eingetragen.

ALEGro Planung - Antrag

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Zweck dieser Leitung nach offizieller Information der dafür zuständigen Bundesnetzagentur:

"Das Vorhaben verspricht wesentliche Vorteile im euro­päischen Verbund­betrieb, auch im Hinblick auf die Nieder­lande. Mit Hilfe der vor­geschlagenen HGÜ-Technik kann aktiv im Netzbetrieb der Stromfluss gesteuert werden. Somit können eventuelle ungeplante Stromflüsse (Abweichungen zwischen Handelsergebnis und physikalischem Lastfluss) über das niederländische Strom­netz verringert werden. Diese erhöhten, un­geplanten Lastflüsse in Übertragungsnetzen in Nachbar­ländern stellen sich ein, wenn über das deutsche Über­tragungs­netz der Transportbedarf von Norden nach Süden steigt und Ausweichmöglichkeiten über die Nachbar­länder beansprucht werden müssen."

Unterstreichung durch SFV

Diese Begründung zeigt: Die Bundesnetzagentur rechnet mit einem stärkeren Stromhandel von Norden nach Süden und will vermeiden, dass die dazu erforderlichen physikalische Lastflüsse über die Niederländischen Übertragungsnetze gehen. Eine Stromversorgung der belgischen Bevölkerung im Fall der endgültigen Stilllegung von Tihange 2 oder Doel 3 wird nicht erwähnt.

Eine wichtige technische Besonderheit der ALEGrO-Strombrücke sei zum besseren Verständnis hier angemerkt: Da es sich um eine Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung (HGÜ) handelt, kann elektrische Energie nur an den Anfangs- oder Endpunkten Oberzier (NRW-Braunkohlegebiet) bzw. Lixhe (Belgisch/Niederländische Grenze) eingespeist oder entnommen werden. Dort stehen die beiden Konverter.
Die Tatsache, dass die Leitung in weit nach Südwesten ausholendem Bogen fast an Lüttich vorbeiführt, hat nur genehmigungstechnische und geomorphologische Gründe, ist versorgungstechnisch jedoch ohne jede Bedeutung für die Region. Wer in Belgien Strom aus dieser Leitung haben will, muss ihn sich am Konverter in Lixhe abholen. Lixhe liegt direkt an der Grenze zu den Niederlanden. Dort beginnt schon seit Jahren eine belgische Übertragungsleitung. Zukünftig soll also dann Strom aus dem deutschen Übertragungsnetz (notfalls unter Umgehung der Niederlande) direkt an der niederländischen Grenze in das Belgische Übertragungsnetz eingespeist werden können.

Anfangs oder Endpunkt einer belgischen Hochspannungsleitung bei Lixhe- im Jahr 2009

Hochspannungsmast in Lixhe Juli 2009

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Darstellung des Projektes von Seiten des Belgischen Netzbetreibers

Auf belgischer Seite wird das Projekt durch den dortigen Netzbetreiber Elia durchgeführt. Er beschreibt das Projekt anschaulich und gut illustriert in einer Info-Broschüre

 

Alternativen, die nicht zueinander passen

Kommen wir zurück auf die anfangs aufgestellten drei Behauptungen:

  • Zur Behauptung, ohne ALEGrO könnten Tihange 2 und Doel 3 nicht abgeschaltet werden

Manchmal wird gefragt, ob es nicht besser sei, in einigen Stunden des Jahres mit deutschem Strom auszuhelfen, anstatt die beiden Schrott-AKW weiter zu betreiben.
Wer so fragt, vergisst, dass der Bau von ALEGrO noch mindestens drei Jahre dauern wird, in denen die Schrott-AKW jederzeit hochgehen können. Außerdem vergisst er, dass mit dem zweiten belgischen Gesetz vom Juni 2015 zur Änderung des Atomausstiegsgesetzes von 2003 die Reaktoblöcke Tihange 2 sogar bis 1. Februar 2023 und Doel 3 bis 1. Oktober 2022 Strom erzeugen dürfen. Wenn ALEGrO also vorher fertig ist, werden die beiden Risseblöcke trotzdem nicht abgeschaltet.

  • Belgien benötige ALEGrO, um aus der Atomenergie auszusteigen

Nicht einmal die Bundesnetzagentur, die nach Gründen für die Notwendigkeit einer Strombrücke nach Belgien sucht, nennt diesen Grund.

  • ALEGrO sei notwendig für die deutsche Energiewende

Das Wort Energiewende wird von der deutschen Stromwirtschaft als Ersatz von Atomstrom durch Braunkohlestrom verstanden. Insofern ist die Aussage zutreffend, ALEGrO sei notwendig für die deutsche Energiewende zum Fossilstrom. Klimaschützer verstehen allerdings unter "Energiewende" die vollständige Abkehr von Atom- und Fossil-Strom. Diese deutsche Energiewende (von Atom und Fossil zu Erneuerbaren Energien) ist nicht angewiesen auf einen Transport von Strom aus dem Norden nach Süddeutschland und schon gar nicht auf dem Umweg über Belgien und Frankreich. Sie benötigt vielmehr in Verbrauchernähe einen engagierten Ausbau von Wind- und Solaranlagen in ganz Deutschland sowie den engagierten Ausbau dezentraler Stromspeicher.

 

Stellungnahme des Solarenergie-Fördervereins Deutschlands

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) weist darauf hin, dass die vorgeschädigten AKW-Blöcke, "diese zwei tickenden Zeitbomben", sofort endgültig stillgelegt werden müssen und können.

Wir halten es für eine Irreführung der Bevölkerung, wenn der Eindruck erweckt wird, die Errichtung der Strombrücke ALEGrO sei eine Voraussetzung für die sofortige oder spätere Stilllegung von Tihange 2 und Doel 3.

 
Psychologisch stellt die Forderung nach einer HGÜ-Leitung aus dem Braunkohlegebiet Oberzier eine Provokation der belgischen Nachbarn dar. Es entsteht der Eindruck, belgischer Atomstrom solle durch klimaschädigenden NRW-Braunkohlestrom ersetzt werden.

 
Das angebliche Problem "Versorgungssicherheit beim Umstieg auf Erneuerbare Energien" und das reale unvergleichlich größere Problem "Reaktorsicherheit" werden in unzulässiger Weise vermischt.

Deshalb:

  • Wir fordern die sofortige Stillegung von Tihange 2 und Doel 3
  • Wir lehnen den Bau der HGÜ-Leitung ALEGrO entschieden ab. Sie stellt keine Lösung für den Umstieg auf Erneuerbare Energien dar und beseitigt nicht die akute Gefahr einer Kernschmelze im dichtest besiedelten Teil von Europa.
  • Wir lehnen einen Ersatz von belgischem Atomstrom durch ein klimaschädigendes deutsches Fossilstromgemisch ab.
  • Über den finanziellen Aufwand für den Bau von ALEGrO liegen uns keine offiziellen Angaben vor. Er dürfte aber in der Größenordnung über einer Milliarde EURO liegen. Dieses Geld sollte besser in die Errichtung von Stromspeichern investiert werden.
  • Wir fordern den schnellstmöglichen Umstieg von Atom- und Fossil-Energie auf Erneuerbare Energien und Energiespeicher. Kostspielige Ferntransportnetze dienen vorrangig dem Transport von Fossilstrom, den wir nach erfolgreicher Energiewende nicht mehr brauchen.