Einleitung

Zunehmend kommt es an verschiedenen Stellen Deutschlands dazu, dass Strom aus Erneuerbaren Energien von den Stromnetzbetreibern nicht abgenommen werden kann. Bekannt ist das Beispiel Westholstein, wo schon seit einigen Jahren bei gutem Wind einige Windparks "abgeregelt" werden müssen, d.h. Windanlagen werden angehalten oder in ihrer Leistung reduziert. Die Stromleitungen, die den Windstrom ins Ruhrgebiet leiten könnten, sind zu schwach dimensioniert und können deswegen die Windstromleistung nicht übertragen. Kostbare Energie wird vernichtet, die im Ruhrgebiet gut gebraucht werden könnte. Wenige Tage später, wenn das Sturmtief weiter gezogen ist, werden die Bewohner von Westholstein mit Braunkohlestrom aus dem Ruhrgebiet versorgt. Jetzt reicht die Übertragungskapazität der Stromleitungen zwischen Ruhrgebiet und Westholstein plötzlich aus. Merkwürdig eigentlich! Was mag dahinter stecken?
Und warum wird der in Westholstein an windigen Tagen abgeregelte Windstrom nicht einfach gespeichert?

Mit diesen Fragen sind wir mitten im Thema. Es geht um die Frage, ob man überschüssigen Strom aus Erneuerbaren Energien besser woanders hin leiten oder ihn besser speichern soll. Vielleicht muss man sogar Beides? Wir werden sehen!

Anreiz zum dezentralen Speicherbau unzureichend

Bisher ist bei den Überlegungen zum weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien von Stromspeicherung kaum die Rede. Lediglich in § 16, Absatz 3 EEG 2009 wird bestimmt, dass der Netzbetreiber zwischengespeicherten Strom aus Erneuerbaren Energien genauso vergüten muss wie den direkt eingespeisten EE-Strom. Einen besonderen finanziellen Anreiz zur Speicherung von Strom gibt es zwar auch, aber er lohnt eher für den Bau von Großspeichern [1].
Diese Möglichkeit wird deshalb praktisch nie genutzt, denn Stromspeicher sind teuer und die Betreiber von Wind- oder Solaranlagen müssten sie zusätzlich bezahlen. Dagegen muss der weitere Ausbau der Stromnetze durch die Stromnetzbetreiber bezahlt werden, die ihre Mehrkosten auf die Netzgebühren umlegen können (soweit es ihnen genehmigt wird).

Der Verzicht auf kostendeckende Anreize für den Bau kleiner dezentraler Stromspeicher hat seit Jahren dazu geführt, dass einseitig das Augenmerk nur auf den Netzausbau gerichtet war und bei den Planern offensichtlich immer noch ist. Zwar gibt es schon seit Jahren engagierte wissenschaftliche Diskussionen des Speicherthemas, nur haben sie bisher zu keinen energiepolitischen Konsequenzen geführt.

In einer Antwort vom 03.12.2010 auf eine Anfrage der Grünen betont die Bundesregierung ausdrücklich, dass die Frage der Speicherung von Strom aus Wind und Sonnenenergie allein nach betriebswirtschaftlichen Erwägungen gelöst werden müsse.

Die Dringlichkeit der Situation ist nur Wenigen bewusst. Zwar haben wir scheinbar noch viel Zeit, in der bisherigen Weise weiter zu machen. Es gibt ja noch genügend Verbraucher, die nur unvollständig mit Strom aus Erneuerbaren Energien versorgt werden, denn Deutschland wird bekanntlich bisher erst zu 17 Prozent mit Strom aus Erneuerbaren Energien versorgt. Aber fragen wir doch mal, wie weit wir damit kämen, wenn wir uns weiter ausschließlich auf den Ausbau der Stromnetze beschränken würden.

Dazu stellen wir uns einmal vor, die Stromnetze wären schon jetzt so weit ausgebaut, dass es überhaupt keine Einschränkungen mehr gäbe, EE-Strom aus Überschussgebieten in Mangelgebiete zu verschieben - z.B. aus Westholstein ins Ruhrgebiet. Bild 1 zeigt als Überlegungsskizze schematisch über einen Zeitraum von knapp 20 Tagen die Verhältnisse, die wir bei vollendet ausgebautem Stromnetz derzeit in Deutschland hätten. Die obere gezackte Kurve zeigt den üblichen Stromverbrauch Deutschlands an. Die Spitzen nach oben zeigen den täglichen Höchstverbrauch um die Mittagszeit. Man erkennt den geringeren Verbrauch am Samstag und Sonntag. Die Spitzen nach unten zeigen den Minderverbrauch nach Mitternacht.

Die dunkelrote Fäche weiter unten zeigt aufsummiert die von allen EE-Anlagen schon heute erzeugte Menge an EE-Strom an - unter der Voraussetzung, dass nirgendwo Windanlagen abgeregelt würden. Bei stürmischen Wetter und Sonnenschein erreicht sie hohe Spitzenwerte in den Mittagsstunden. (Bei Solaranlagen beträgt die Spitzenleistung das 10-fache und bei Windanlagen das fünffache der durchschnittlichen Leistung.) Noch würde aber die Leistung der Erneuerbaren Energien knapp unter der benötigten Stromleistung liegen. Dieser glückliche Umstand ergibt sich deshalb, weil die hohen Spitzenleistungen der Solaranlagen nur am Tage anfallen, zu einer Tageszeit, in derl Wirtschaft und Haushalte hauptsächlich Energie brauchen.

Bild 1   Bei gut ausgebautem Netz brauchte z.Zt. keine EE verloren zu gehen

17 % Energie - aber fast 100 % der Höchstlast zu manchen Stunden

 

Lassen sich die Leistungsschwankungen von Sonnen- und Windenergie durch besseren Netzausbau glätten?

Zwar beträgt der Beitrag der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung Deutschlands im Jahresmittel zur Zeit (2010) erst 17 Prozent, doch gibt es jetzt schon Stunden, in denen die Erneuerbaren Energien - allen voran Wind- und Sonnenenergie - schon fast den vollen elektrischen Gesamtbedarf decken könnten (in Bild 1 am vierten, fünften und sechsten Tag). Es ist absehbar, dass sie ihn bei weiterem Ausbau der Erneuerbaren Energien bald übersteigen werden. Dieser Befund legt die Frage nahe, ob sich die erheblichen Leistungsschwankungen der EE-Anlagen durch einen besseren Netzausbau ausgleichen, bzw. glätten lassen.

Die Antwort gleich vorab, natürlich kann man die Leistungsschwankungen durch besseren Leitungsausbau glätten, aber nur bis zu dem Maße, wie es in den Überlegungsskizzen 1 bis 3 dargestellt ist. Bild 1 und auch die Bilder 2 und 3 zeigen nicht die realen Verhältnisse, sondern zeigen, wie es theoretisch aussehen würde, wenn das Netz schon heute vollkommen ausgebaut wäre und jeder lokale Überschuss verlustfrei dorthin weitergeleitet würde, wo noch höherer Bedarf vorliegt. Eine bessere Glättung als zeichnerisch dargestellt wäre in der Praxis auch durch den vollkommenen Netzausbau nicht möglich.In diesen drei Überlegungsskizzen ist der vollkommene Netzausbau ja bereits vorausgesetzt.

Würde man die Verhältnisse im tatsächlichen unvollkommen vernetzten Deutschland zeichnerisch darstellen wollen, so ergäbe sich für jede Region ein etwas anderes Bild. In Westholstein z.B. wären die aufgesetzten täglichen Mittagsspitzen der Photovoltaik kleiner, doch würde dafür die durch Windenergie dominierte breite dunkelrote Fläche der Erneuerbaren Energien bei jedem Sturm über den lokalen Strombedarf hinausragen. In Hessen dagegen würde die dunkelrote Fläche der Erneuerbaren Energien noch weit unter der Verbrauchskurve liegen.

Eine Glättung des Angebots durch besseren Leitungsausbau kommt also an ihre Grenzen. Zwar würden die abrupten Leistungsschwankungen einzelner Photovoltaikanlagen, die sich dann ergeben, wenn einzelne Wolken über die Anlage ziehen, statistisch ausgemittelt, wenn man alle PV-Anlagen Deutschlands durch leitungsfähige Leitungen miteinander verbinden würde. Doch gerade dann, wenn die Photovoltaik ihre Höchstleistung bringt, an wolkenfreien Tagen, hat sie einen ausgeprägten charakteristischen Tagesgang. Schauen Sie sich dazu einmal die höchst interessanten animierten PV-Leistungsdiagramme von SMA an. Wählen Sie dafür einen sonnigen Tag. An manchen Tagen geht von Polen bis Portugal innerhalb von drei Stunden in ganz Europa die Sonne auf.
Und bei der Windenergie gibt es von Zeit zu Zeit - wenn in ganz Europa gleichzeitig stürmisches Wetter herrscht - ebenfalls eine erhebliche Summenleistung, die zeitlich länger anhalten kann als die ausgeprägten Leistungsspitzen des PV-Angebots.
Wenn dann noch Sonne und Wind in der Mittagszeit gleichzeitig ihren Maximalwert erreichen, kommen Extremwerte im Leistungsangebot vor.

Zu bedenken istr auch dass die Situation sich mit dem weiteren Ausbau von Wind- und Sonnenenergie noch verschärfen wird. Wenn deutschlandweit die Gesamtleistung der Erneuerbaren Energien erhöht wird, werden die von Wind- und Sonnenenergie verursachten Leistungsschwankungen proportional zunehmen.

Mit anderen Worten: Ein vollkommener Netzausbau glättet zwar die Kurven, aber nur bis zu einem gewissen Grade, den Bild 1 bereits andeutet. Auch ein noch so vollständiger Netzausbau beseitigt nicht die Eigenart der Erneuerbaren Energien Sonne und Wind, dass sie zu manchen Stunden deutschlandweit - manchmal sogar europaweit - mit ihrem Maximalwert zur Verfügung stehen. Das gilt übrigens auch für ihren Minimalwert, doch darauf kommen wir in einem weiteren Beitrag zu sprechen.

Steigende Verluste infolge fehlender Speicher

Noch liegt das Leistungsangebot der Erneuerbaren Energien, zumindest wenn man von einem vollkommenen Netzausbau ausgeht, unterhalb des Leistungsbedarfs, aber man erkennt, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis bei weiterem Ausbau der Erneuerbaren Energien das Angebot zeitweilig die Nachfrage übersteigen wird. Das wird deutschlandweit bald geschehen, also in ein, zwei oder drei Jahren.
Wenn es bis dann nicht gelingt, den angebotenen Leistungsüberschuss so lange zu speichern, bis wieder Bedarf besteht, ist er verloren. Daran kann auch der vollkommenste Leitungsausbau nichts ändern. Was tun? Die Frage ist so alt wie die biblische Geschichte von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Die Antwort lautetete schon damals: "Speicher bauen".

In einer Folge von drei Überlegungsskizzen - Bild 1 (s. o.) bis Bild 3 - soll anschaulich gezeigt werden, mit welchen Energieverlusten wir rechnen müssen, wenn man zwar das Stromnetz vollständig ausbaut, aber weiterhin den Bau von Speichern vernachlässigt.

Bild 2 zeigt, wie die Leistungskurven etwa aussehen könnten, wenn der Jahresertrag der Erneuerbaren Energien auf das Doppelte des heutigen Wertes, also auf 34 Prozent des deutschen Stromverbrauchs angestiegen sein wird - wieder unter der optimistischen Annahme, dass das Netz bis dahin "vollkommen" ausgebaut wäre.

Bild 2   Verluste bei Verdoppelung der EE gegenüber 2010

34 Prozent des Strombedarfs aus Erneuerbaren Energien - Verluste

 

Wenn die Zahl der Anlagen zur Nutzung der Erneuerbaren Energien weiter vergrößert wird, wächst die Höchstleistung der Erneuerbaren Energien so stark, dass zur bildlichen Darstellung in Bild 3 ein anderer Maßstab als bei Bild 1 und Bild 2 benutzt werden muss. Wer die Bilder miteinander vergleichen will, orientiert sich am besten an der Markierung 100%.


Bild 3   Die Hälfte des Ertrages würde verloren gehen

Überschüssige Erzeugung

In Bild 3 wurde die installierte Leistung der Erneuerbaren Energien nun so gewählt, dass sie im Jahresmittel die gleiche Energiemenge erzeugen könnte, die in Deutschland an Strom verbraucht wird. Allerdings würde wegen fehlender Speichermöglichkeiten etwa die Hälfte verloren gehen, wie man grob abschätzen kann. Das macht alle Potentialberechnungen hinfällig und ist ein dringender Hinweis, die Speicherung von Strom möglichst bald in Angriff zu nehmen.

 

Eine kurze Zusammenfassung aller Anfang Dezember 2010 zum Thema Ausbau von Netzen und Stromspeichern erschienenen Beiträge finden Sie hier.

 

Fußnoten

[1]
EnWG § 118, Absatz 7 bestimmt:
"(7) Nach dem 31. Dezember 2008 neuerrichtete Pumpspeicherkraftwerke und andere Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie, die bis zum 31. Dezember 2019 in Betrieb gehen, sind für einen Zeitraum von zehn Jahren ab Inbetriebnahme hinsichtlich des Bezugs der zu speichernden elektrischen Energie von den Entgelten für den Netzzugang freigestellt."