Mobbing und Staranwalt
Wie ExxonMobil auf die Enthüllung seiner kriminellen Klimawandel-Vertuschung reagiert
Seit Anfang November untersucht der Generalstaatsanwalt von New York, inwieweit der US-Ölkonzern ExxonMobil sich strafbar gemacht hat, weil er die Öffentlichkeit über die Ursachen und Folgen des Klimawandels belogen hat. Interne Studien des Konzerns hatten schon in den späten 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts nachgewiesen, dass die Verbrennung fossiler Rohstoffe zu einer katastrophalen Erderwärmung führen würde. In den frühen 80ern hatte Exxon einen großen Tanker mit CO2-Sensoren ausgestattet über die Meere geschickt und Ergebnisse erhalten, die diese theoretischen Einsichten stützten.
Anstatt die Ergebnisse zu veröffentlichen und die nötigen unternehmerischen Konsequenzen daraus zu ziehen, begann ExxonMobil, mit Millionen von Dollar die amerikanische Klimawandelleugner-Szene aufzubauen und zu füttern, um den falschen Eindruck zu erwecken, die Tatsache des menschengemachten Klimawandels sei in der Fachwelt umstritten. Intern reagierte man, indem man Lizenzen für Ölbohrungen in Regionen erwarb, die durch den Klimawandel infolge abschmelzenden Eises erstmals erschließbar werden würden.
Kein anderer Konzern hat in dieser Hinsicht so viel Geld so schamlos in den offensichtlich bösartigen Zweck der Desinformation gelenkt wie ExxonMobil. Entscheidend ist aber das glasklare Wissen der Verantwortlichen um das Lügenhafte dieser Tätigkeit, das von den Studien der 70er Jahre belegt wird.
Exxon hat „Wissenschaftler“ wie Wei-Hock Soon vom Harvard-Smithsonian Astrophysical Observatory von 2005 bis 2010 mit mehr als 300.000 Dollar verdeckt „unterstützt“, um klimaskeptische Forschungen durchzuführen, die als „unabhängig“ deklariert wurden. Das Ziel dieses Vorgehens bestand nicht darin, die Klimadebatte zum Verstummen zu bringen; dies schien unmöglich. In einem Strategiepapier des American Petroleum Institute aus dem Jahre 1998 wird das Ziel klar benannt:
„Der Sieg wird errungen werden, wenn
- durchschnittliche Bürger ‚wissen‘ (anerkennen), dass es Ungewissheiten in der Klimawissenschaft gibt; wenn die Anerkennung von Ungewissheiten Teil der ‚vorherrschenden Meinung‘ wird.“
Dasselbe sollte bei den Medien und bei Wirtschaftsführern bewirkt werden. Die letzte Zielmarke für die Erringung des Sieges sollte erreicht sein, wenn „Jene, die das Kyoto-Protokoll auf der Basis noch bestehender Wissenschaft verteidigen, als wirklichkeitsfremd erscheinen.“ In dem American Petroleum Institute arbeitete Exxon mit den anderen großen Erdölkonzernen zusammen.
Im Oktober 2015 brachten zwei Reportagen, die unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Archivquellen arbeiteten, diesen Skandal ans Licht. Unter anderem hatten Studenten der Columbia Journalism School mit der Los Angeles Times zusammengearbeitet, um zwei der von ExxonMobil unterdrückten Studien dem Vergessen zu entreißen. Wie hat Exxon darauf reagiert? Der Konzern schwärzte die Studenten in einem Brief an die Leitung der Schule an. Sie hätten „ungenaue und irreführende Artikel“ produziert. In diesem Brief wies Exxon auch auf die „zahlreichen und produktiven Beziehungen“ hin, die der Konzern mit der Schule habe. Exxon hat fast 220.000 Dollar an die Columbia-Journalistenschule gespendet.
Die Antwort, welche Steve Coll, Dekan an der Schule, an Exxon richtete, gehört zu den mutmachenden Dokumenten unserer Zeit. Coll formuliert in seinem sechsseitigen Brief: „Ihr Schreiben bestreitet den Inhalt der beiden Artikel in mehrfacher Hinsicht, aber es besteht weitgehend aus Angriffen auf die Journalisten des Projekts. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Ihre Beschuldigungen nicht durch Beweise gestützt sind. Überdies war ich beunruhigt zu entdecken, dass Sie in Ihrem Brief schwere Anschuldigungen professionellen Fehlverhaltens gegen Mitglieder des Projekts erheben, obwohl Sie oder die Kollegen aus Ihrer Medienabteilung über E-Mail-Aufzeichnungen verfügen, die zeigen, dass Ihre Anschuldigungen falsch sind.“ Die Journalistenschule hat sich also von dem diskreten Hinweis auf die finanzielle Abhängigkeit nicht einschüchtern lassen und verteidigt die Grundsätze des unabhängigen Journalismus. Keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit.
An dem Brief von ExxonMobil ist interessant, dass der Konzern an seiner Praxis der Verdrehung der Wahrheit festzuhalten scheint, auch nachdem er dabei ertappt wurde. Auch wenn es diesmal zunächst ‚nur‘ um einige Studenten geht und nicht um die ganze Weltbevölkerung wie im Falle der Klimawandelleugnung seit den 70er Jahren, ist das nicht sehr beruhigend. Es scheint ja keineswegs ausgemacht, dass der New Yorker Staatsanwalt sich gegen den fünftgrößten Konzern des Planeten wird durchsetzen können. Exxon hat, wie man liest, mit Theodore Wells einen der teuersten Rechtsanwälte engagiert.
Aber selbst wenn ein Gericht die Schuld von ExxonMobil einwandfrei feststellt – was dann? Dieser Konzern ist für mindestens zwei Jahrzehnte Verzögerung bei weltweiten Schritten gegen den Klimawandel verantwortlich – wie wäre das zu sühnen? Wenn der Konzern mit seinem ganzen Vermögen haften würde (die Summe aller Aktiva betrug 2014 knapp 350 Mrd. Dollar), um wenigstens Promille-Anteile des angerichteten Schadens zu begleichen – was würde das für die Wirtschaft der USA bedeuten? Heißt es wieder: „Too big to fail, too rich for jail“? [1] Immerhin: Mit der Anklage in New York ist ein Anfang gemacht, der selbst äußerst unwahrscheinlich schien. Lassen wir jetzt auch in der Öffentlichkeit nicht locker!
Übrigens: ExxonMobil vermarktet sein Benzin in Deutschland unter den Markennamen "Mobil" und "Esso". Wer tanken muss, ist keineswegs gezwungen, es gerade bei diesen Marken zu tun.
Quellen:
en.wikipedia.org, Stichwort "ExxonMobil"
www.ucsusa.org, "The Climate Deception Dossiers"
www.exxonsecrets.org, "ExxonMobil Climate Denial Funding 1998-2014". Es werden Geldflüsse in Höhe von fast 31 Mio. Dollar aufgelistet.
[1] Übersetzt ungefähr: "Zu groß, um zu scheitern; zu reich, um in den Knast zu kommen". In dieser Form handelt es sich um eine Zeile aus dem Lied "Big Box" von dem aktuellen Album "The Monsanto Years" von Neil Young.