Schaut man in das kürzlich von „abgeordnetenwatch.de“ veröffentlichte Lobbyistenverzeichnis, könnte man meinen, dass alles in Ordnung ist: Alle möglichen Akteure – Konzerne, Verbände, Gewerkschaften, NGOs – haben die kleinen grünen Ausweise, die ihnen den Zugang zum Bundestag eröffnen. Die Interessenverbände der Erneuerbaren Energien stehen in derselben Liste wie die großen Stromkonzerne und deren Lobbyverband BDEW. Alles in demokratischer Butter also?

Die Probleme des Lobbyismus fangen aber erst da an, wo die unterschiedlichen Potenziale wirtschaftlicher Macht zur Entfaltung kommen. Bekanntlich herrscht hier eine große Intransparenz. Diskretion heißt das Zauberwort, wenn es um die Aushebelung demokratischer Entscheidungsfindung geht. Gleichzeitig aber gibt es, wo Macht und Reichtum sich häufen, ein gesteigertes Bedürfnis der Selbstdarstellung. Wenn man wissen will, welche Verknüpfungen und Kompromissbildungen diese gegensätzlichen Impulse miteinander eingehen, muss man an den Ort des Geschehens gehen und sich umschauen.

Die lobbyismuskritische Initiative „LobbyControl“ hat dafür das perfekte Werkzeug entwickelt. Mit ihrem Buch „LobbyPlanet Berlin“, das jetzt in einer zweiten, völlig überarbeiteten Auflage erschienen ist, legt sie einen „Reiseführer durch den Lobbydschungel“ der Hauptstadt vor. In fünf örtlich und zwei thematisch fokussierten Rundgängen wird in die Berliner Lobbylandschaft eingeführt. Diese Rundgänge sind so konzipiert, dass sie vor Ort nachvollzogen werden können, aber auch im heimischen Lehnstuhl lesen sie sich sehr anschaulich.

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Man erhält einen Eindruck davon, wie wichtig die Lage einer Firmen- oder Verbands-Repräsentanz ist: Je größer der politische Druck, den ein Wirtschafts-Akteur entfalten kann, desto größer seine räumliche Nähe zu den politischen Instanzen, zu Bundestag, Kanzleramt usw. Und desto „exklusiver“ die Adresse. Die Rundgänge zeigen nicht nur die Niederlassungen der Wirtschafts-Akteure, sondern auch die „neutralen“ Orte, wo sie sich mit Politikern treffen, z.B. im „China-Club“ im Adlon-Palais, in den man durch Entrichten einer Aufnahmegebühr von 10.000 Euro und eines Jahresbeitrags von 2.000 Euro aufgenommen wird (S.58). Aber natürlich gibt es auch jede Menge Firmenvertretungen und Veranstaltungen, die sich an ein breiteres Publikum wenden, auch an spezielle Segmente, wie das „BASE_camp“ des Mobilfunkunternehmens E-Plus, eine „Mischung aus Flagship-Store, Veranstaltungsraum und Café“ (S.97).

Tricks der Lobbyisten werden benannt, wie die Kreation „glaubwürdiger Dritter“ (wir haben darauf bereits unter dem Namen „Astroturfing“ hingewiesen). Und es werden aktuelle Trends des Lobbying benannt, z.B. der Übergang von der Praxis der Großspenden für Parteien zum diskreteren Sponsoring von Parteiveranstaltungen (S.78f); oder die steigende Bedeutung von Anwaltskanzleien als Akteure des Lobbying – diese können sich dann teilweise sogar auf ihre anwaltliche Schweigepflicht berufen (S.94f)!

An den Adressen entsprechender Lobby-Akteure, oder in allgemeinen Info-Kästen, die in den Text eingestreut sind, werden auch einige „Highlights“ der Lobbypraxis in Erinnerung gerufen. Z.B. das von der rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts eingeführte Programm eines Personalaustauschs zwischen Ministerien und Unternehmen bzw. Wirtschaftsverbänden. Mehr als 300 von den letzteren entsandte Mitarbeiter erhielten als „Leihbeamte“ Arbeitsplätze in den Ministerien und konnten dort Einfluss auf die politischen Entscheidungsfindungsprozesse nehmen (S.56). Oder er wird auf die massive Einflussnahme von Unternehmensverbänden auf die intransparenten TTIP-Vertragsverhandlungen hingewiesen (S.134f).

Für uns Solarfreunde ist der „Lobbyplanet Berlin“ vor allem deshalb besonders interessant, weil eine der beiden thematischen Routen die Energielobby in den Blickpunkt rückt (S. 225-255). „Bei der Energiewirtschaft“, so lernen wir da, „handelt es sich um eine der aktivsten Branchen in puncto Lobbying.“ (S. 228) Und: „Die Energiewirtschaft ist zugleich eine der am stärksten mit der Politik verflochtenen Branchen.“ (S. 230) Die lukrativen Industrie-Posten, die Regierungspolitiker nach dem Ende ihrer Amtszeit erhalten, kommen oft von Unternehmen dieser Branche. Hier liegt auch schon eine Erklärung dafür, dass zwar eine große Vielfalt von Akteuren in Berlin dieses Feld bearbeitet – neben den Energiekonzernen auch die Erneuerbare-Energien-Branchen, Umweltverbände, Gewerkschaften, energieintensive Industriesparten – aber dass deren Stimmen ein höchst ungleiches Gewicht haben: „Von den 70 Treffen zwischen Energielobbyisten und hochrangigen Mitarbeiter/innen des Kanzleramts [zwischen 2009 und 2013] waren bei der überwiegenden Mehrheit […] Vertreter der großen Energieversorger RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW sowie des Verbandes BDEW beteiligt. Vertreter der Anbieter Erneuerbarer Energien durften dagegen nur einige Male vorsprechen, und das auch meist nicht im Einzelgespräch, sondern als Teilnehmer größerer Gesprächsrunden.“ (S. 231)

EnergielobbyRoute

Der Energielobby-Rundgang des Reiseführers „Lobbyplanet Berlin“ berichtet z.B. anhand der Repräsentanz von Vattenfall, wie der schwedische Staatskonzern durch Kultur-Sponsoring, durch Einbindung von Bundestagsabgeordneten und durch Förderung vermeintlicher Bürgerinitiativen („Pro Lausitzer Braunkohle“) die politische Landschaft pflegt und so u.a. den Rückkauf des Berliner Stromnetzes verhindern konnte (S. 231f). An der Niederlassung der PR-Agentur „Deekeling Arndt Advisors“ wird deren gescheiterte Kampagne der Jahre 2008/09 zur Akzeptanzbeschaffung für die Atomenergie genüsslich seziert (S. 237ff). Beim Hauptstadtbüro von ExxonMobil wird auf die Rolle dieses Konzerns bei der Finanzierung der weltweiten Klimaskeptiker-Szene aufmerksam gemacht (S. 239ff). Die Bundesregierung folgte einer Exxon-finanzierten Studie, als sie im Frühjahr 2015 beschloss, Fracking in Deutschland unter Auflagen zuzulassen.

Und so geht es anhand der Repräsentanzen des BDEW, von EnBW und RWE und E.ON bis hin zum Erdölkonzern BP munter weiter. Es ist keine stumpfe Wiederholung des Immergleichen, sondern Konzernstrukturen und Lobby-Strategien werden in ihrer Vielfalt gut dargestellt. Auch die Lobby der Erneuerbaren hat – trotz geringerer Durchschlagskraft – einen eigenen Infokasten in dem Reiseführer (S. 234f).

Wer dieses Buch, und gerade den energiepolitischen Rundweg, nachvollzogen hat, weiß, welche vielfältigen Möglichkeiten Geld eröffnet, um die demokratischen Entscheidungsprozeduren unseres politischen Systems auszuhebeln. Man versteht, wie es passieren kann, dass die Energiewende in Deutschland ausgebremst wird, obwohl es dafür keine sachlichen Gründe gibt.

Am Ende des Bandes werden Perspektiven entwickelt, wie diesem antidemokratischen Treiben Grenzen gesetzt werden können (S. 290-305). Dies ist die eigene „Lobbyarbeit“ von LobbyControl. „Es fehlt an Licht im Lobbydschungel“, lautet eine der wichtigsten Diagnosen. Der Reiseführer „LobbyPlanet Berlin“ ist eine Lichtquelle, die dem ein Stück weit abhelfen kann. Deshalb ist ihm eine weite Verbreitung zu wünschen.


Christina Deckwirth u.a.: LobbyPlanet Berlin. Der Reiseführer durch den Lobbydschungel. Zweite, völlig überarbeitete Auflage 2015. 324 S. Preis: 10 Euro. Zu bestellen bei www.lobbycontrol.de.