Die Proteste gegen den vorerst letzten Transport hochradioaktiven Atommülls von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager von Gorleben waren eindrucksvoll. Die Entschlossenheit der Atomkraft-Gegner, die mit Gleis- und Straßenblockaden zivilen Ungehorsam leisteten, erwies sich als eher noch größer als im Vorjahr, und die Großkundgebung in Dannenberg setzte am 26.11. ein deutliches Signal dafür, dass sich die Bewegung nicht durch das Abschalten von acht der 17 deutschen Reaktoren hat beschwichtigen lassen. Ich habe an dieser Kundgebung teilgenommen und war von der guten Stimmung der 20.000 ebenso beeindruckt wie von dem politischen Signal, das von dieser Veranstaltung ausging.

Die Beiträge einer Vertreterin der französischen Bewegung „sortir du nucléaire“ und einer japanischen Öko-Landwirtin demonstrierten eindrucksvoll, wie anregend und hilfreich der deutsche Widerstand gegen die Atomenergie für die wachsenden Anti-Atom-Bewegungen in diesen Ländern ist. Gerade auch in diesem Lichte kam es bei den Kundgebungs-TeilnehmerInnen nicht sehr gut an, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zwei Tage vorher in einem Interview mit der „Zeit“ über die Aktionen gegen den Castor-Transport geäußert hatte: „Protest macht jetzt eigentlich keinen Sinn mehr.“ Dies war ein verblüffendes Statement eines Politikers, der doch vor einem halben Jahr immerhin das nicht gerade alltägliche Format besessen hatte, als neuer Regierungschef sein Bundesland ausdrücklich für die Suche nach einem Atommüll-Endlager zur Verfügung zu stellen.

Mit seinem Anti-Protest-Statement hat Kretschmann nicht nur die Überschreitung der Strahlen-Grenzwerte am Zwischenlager Gorleben ausgeblendet, die durch die diesjährige Ladung von elf Castoren weiter verschärft wird. Er hat nicht nur die Tatsache negiert, dass bei der jetzt angeblich ergebnisoffenen Suche nach einem Endlager jeder zusätzliche Castor in Gorleben ein Präjudiz zugunsten des dortigen instabilen Salzstocks ist. Er hat nicht nur vergessen, dass im nordrhein-westfälischen Gronau unbehelligt Uran für Atomkraftwerke in der ganzen Welt angereichert und im niedersächsischen Lingen zu Brennelementen verarbeitet wird; und dass die Bundesregierung sich soeben anschickt, eine milliardenschwere Hermes-Bürgschaft für einen Atomkraftwerks-Neubau in Brasilien zu genehmigen. Er hat vor allem übersehen, dass sein bedenkliches Politikverständnis justament in seiner Partei bereits einmal auf spektakuläre Weise Schiffbruch erlitten hat.

Jochen Stay, der Sprecher von .ausgestrahlt, verglich bei der Kundgebung am 26.11. in einer vielbejubelten Rede dieses Zitat Kretschmanns mit ähnlichen Äußerungen grüner Politiker nach dem Ausstiegskompromiss von 2000. Der damalige Beschluss hatte die Anti-Atom-Bewegung weitgehend demobilisiert, obwohl vorhersehbar war, dass er nur so lange halten würde, wie eine der beteiligten Parteien (rot-grün) in der Bundesregierung verblieb. Ende 2010 wurde dann ja bekanntlich von der derzeitigen schwarz-gelben Bundesregierung eine massive Laufzeitverlängerung für die deutschen Alt-Reaktoren beschlossen, die erst unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima und des daraufhin fulminanten Comebacks der deutschen Anti-Atom-Bewegung wieder rückgängig gemacht wurde. Stay rief mit Blick auf diese Vorgeschichte sinngemäß: „Es ist der Grünen Partei unbenommen, den gleichen Fehler zum zweiten Mal zu begehen. Sie darf aber nicht erwarten, dass wir dem ein zweites Mal auf den Leim gehen!“ Hierfür erntete er rauschenden Beifall.

Die Proteste gegen den Castor-Transport 2011 geben der Hoffnung Nahrung, dass Stays Prognose zutreffen könnte. Während ich diese Zeilen schreibe, ist der Castor-Zug seit 96 Stunden unterwegs und steht vor einer Blockade in Vastorf bei Lüneburg. Der Blockade-Rekord von 2010 (92 Stunden) ist damit bereits überboten. Den Tausenden, die dort dem kalten Wetter, polizeilichen Zwangsmitteln und Strafverfolgung trotzen, gebührt unser Dank. Sie tun damit mehr für einen wirklichen Atom-Ausstieg als irgendeine beliebige Regierungspartei in Bund und Land.