Greenwashing und Astroturfing
Konzerne als Protest-Manager
„Die Kernfrage ist […] nicht, wie Protest zu vermeiden ist, sondern wie wir Protest managen können“. So formulierte Dr. Sebastian Schwark von der PR-Agentur Hill & Knowlton die Aufgabe für Unternehmen der Energiewirtschaft.
Längst geht es den mächtigen Industriekonzernen nicht mehr nur darum, hinter verschlossenen Türen die politische Landschaft zu pflegen und in der Öffentlichkeit ihre Gegner als wirklichkeitsferne Spinner zu denunzieren. Heute geht es darum, sich selbst als treibende Kraft des Protestimpulses zu verkleiden. „Greenwashing“ ist eine wichtige Strategie dabei – so etwa, wenn der schmutzigste deutsche Energiekonzern, RWE, sich mit seiner „VoRWEggehen“-Kampagne als Avantgarde der Energiewende stilisiert. Eine andere wichtige Taktik besteht darin, sich an bestehende Protestbewegungen, Bürgerinitiativen usw. anzuhängen und sie mit finanzieller Unterstützung für die eigenen Konzerninteressen einzuspannen – oder gar direkt „Bürgerinitiativen“ ins Leben zu rufen, die den Anschein der Unabhängigkeit und die damit verknüpfte Glaubwürdigkeit besitzen. Solche Initiativen müssen das Konzernziel nicht direkt unterstützen; sie können sich auch gegen Phänomene wenden, die dem Konzernziel im Wege stehen. So könnte eine Initiative mit vermeintlichen Naturschutzargumenten gegen Windkraftanlagen agitieren, obwohl die eigentliche Motivation darin liegt, dem Kohlestrom einen lästigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen.
Mit solchen Phänomenen der modernen Konzern-PR beschäftigte sich Ende September eine Konferenz in Berlin. Titel: „Wenn Konzerne den Protest managen“. Sie fand im Rahmen der „Linken Medien-Akademie“ statt und wurde von den Organisationen Robin Wood, klimaretter.org und LobbyControl unterstützt. Der SFV hat an dieser Konferenz teilgenommen. Hier ein Bericht.
Was ist Astroturfing?
Daniel Häfner von Robin Wood und Ulrich Müller von LobbyControl führten bei Beginn der Konferenz in die Thematik ein und benannten erste Beispiele und Varianten: Mit „Grassroots Lobbying“ versuchen Unternehmen bzw. Verbände, ihre eigenen Mitarbeiter oder Kunden für die eigene Lobbyarbeit zu mobilisieren. Noch verstohlener ist die Strategie, unabhängige Graswurzel-Initiativen zu simulieren. Nach dem in den USA verbreiteten Markennamen „Astroturf“ für Kunstrasen nennt man diese Strategie „Astroturfing“: „Gras“, das nur so aussieht, als sei es von unten, von den Wurzeln her, aufgewachsen.
Daniel Häfner bei seinem Einführungsvortrag
Als ein wichtiges Beispiel für die Astroturfing-Strategie nannte Müller die kürzlich im Rheinland etablierte Pro-Braunkohle-‘Bürgerinitiative‘ „Unser Revier – unsere Zukunft – an Rur und Erft“. Diese Initiative gibt als Kontaktadresse ein Postfach an, das sich bei genauerer Recherche als Postfach des DEBRIV entpuppt, also des Bundesverbandes Braunkohle. Im Vorstand findet man als stellvertretenden Vorsitzenden Thomas Mock, einen prominenten Anti-Windkraft-Aktivisten, der bisher vor allem für einen „Bundesverband Landschaftsschutz“ (BLS) auftrat. Der BLS ist heute Mitglied von „Vernunftkraft“ (1), wo Mock „Schulungen“ für die Mitglieds-Initiativen durchführt. Bereits 1998 wurde Mock von der taz enttarnt: Er ist ein Vertreter der besonders energieintensiven Aluminium-Industrie, genauer gesagt: des Konzerns Hydro-Aluminium, dessen deutsche Alu-Werke zuvor zum E.on-Konzern gehörten. Der BLS wird übrigens von Lobbypedia als Beispiel für die Verknüpfung von Astroturfing und „Grassroots Lobbying“ analysiert. Bei „Unser Revier“ dürfte der Fall ähnlich liegen.
Wie es für Astroturfing typisch ist, versucht der Verein „Unser Revier“ auf aggressive Weise, politische Begriffe neu zu besetzen, ja, in ihr Gegenteil zu verkehren: Weil die Begriffe „Lobby“ und „Konzern“ in der Öffentlichkeit negativ besetzt sind, verschweigt man nicht nur die eigenen Konzern-Hintergründe und den lobbyistischen Charakter der eigenen Existenz, sondern projiziert beides auf die Klimaschutzbewegung, mit Statements wie: „Das rheinische Revier und seine Menschen sollen der Lobby der Widerstandskonzerne und aggressiver Umweltverbände nicht wehr- und wortlos gegenüber stehen.“ (2) Man kann darüber rätseln, was ein „Widerstandskonzern“ sein mag; vermutlich sind damit die Umweltschutzverbände gemeint, die auf die Klimaschädlichkeit der Braunkohle hinweisen. Die Absurdität des Konzern-Begriffs in diesem Zusammenhang ist egal – es geht schlicht um die Verknüpfung des Gegners mit unbeliebten Begriffen.
RWE-Greenwashing und Klima-Neoliberalismus
Später am Vormittag teilte die Konferenz sich in Arbeitsgruppen auf, wo zu verschiedenen Detailaspekten bzw. Anwendungsfeldern des konzerngesteuerten Protestmanagements diskutiert wurde. Im Vormittags-Panel „Energie / Klima“ wurden vor allem die Greenwashing-Bemühungen des RWE-Konzerns analysiert – von dem bekannten Animationsfilm mit dem Riesen, der Windräder in die Landschaft pflanzt („Es kann so leicht sein, Großes zu bewegen, wenn man ein Riese ist“) (3), bis hin zu der 2013 geschehenen Kaperung des Gedankens der Bürgerenergie-Genossenschaften durch „Die Bürgerenergie EG“ (4), die vermeintlich der Regionalisierung der Energieerzeugung dienen soll – ein Ziel, das RWE durch das Abschalten von Braunkohlekraftwerken wesentlich effektiver verfolgen könnte.
RWE-Greenwashing
Außerdem berichtete Philipp Bedall in diesem Panel über die beim Klimagipfel in Kopenhagen 2009 lancierte Kampagne „Hopenhagen 2009“. Das gesamte Stadtbild der dänischen Hauptstadt war damals von den grünen Schriftzügen dieser Kampagne geprägt, die sehr ehrgeizige Klimaziele postulierte, den politischen Akteuren aber zwecks Erreichung dieser Ziele Nichtstun empfahl: „Tatsächlich ist das Fehlen von Führungskraft seitens der Vereinten Nationen unglaublich gesund für die Klimawandelfrage und unsere Fähigkeit, sie zu lösen. Denn das beließ den Markt hinreichend frei, um damit fortzufahren, Innovationen zu entwickeln, und zwar so schnell wie möglich zu entwickeln, um auf diesem Gebiet die Führung zu übernehmen. Was wir heute haben, ist eine Wiederholung des wunderbaren Wettlaufs zum Mond, nur diesmal zwischen US-amerikanischen und chinesischen Technologiefirmen.“ Nun ja. „Hopenhagen“ war ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener großer PR-Agenturen, die dabei sicherlich nicht das Wohlwollen ihrer sonstigen Auftraggeber aus den Augen verloren haben.
Astroturf enttarnen - eine aufwändige Beschäftigung
Nachmittags gab es noch zwei Workshop-Runden mit jeweils sieben parallel laufenden Arbeitsgruppen. Als sehr aufschlussreich erwies sich der Beitrag des Journalisten Christian Fuchs, der für die „Zeit“ arbeitet und der berichtete, „wie man angebliche Bürgerinitiativen enttarnt“ . Er demonstrierte dies anhand der Gruppierung „Bürger für Technik“, die noch heute auf ihrer Homepage schreibt: „Wir sind kein Lobbyverein für irgendwelche politischen Interessengruppen!“ (5) Fuchs war es in jahrelanger Recherchearbeit gelungen, den Nachweis zu führen, dass diese Gruppierung eine Tarnorganisation des „Atomforums“ bzw. der „Kerntechnischen Gesellschaft“ ist, also der Lobbyvereinigungen der deutschen Atomindustrie. Seitdem ist es für die „Bürger für Technik“ nicht mehr ganz so leicht, ihr Propagandamaterial als vermeintlich unabhängige Quellen in schulisches Unterrichtsmaterial einzuschleusen.
Fuchs schilderte seine Recherchemethoden und gab dabei wichtige Hinweise auf eine mögliche Vorgehensweise in ähnlichen Fällen. Indikatoren für Astroturfing sind z.B. ein bewusst unprofessionelles Erscheinungsbild (etwa bei der Gestaltung von Homepages) und ein betont aggressives Auftreten in der Öffentlichkeit. Es gilt herauszufinden, wer die Initiatoren sind, bei einem „Tarnverein“ findet man nicht unabhängige Bürger, sondern Unternehmen und Lobbygruppen. Charakteristisch ist ferner, dass wenige Akteure versuchen, den Anschein einer, möglichst noch spontanen, Massenbewegung zu erzeugen.
Name | Initiatoren | Zweck |
Bundesverband Landschaftsschutz | Aluminiumindustrie, RWE | Verhinderung von Windkraftanlagen |
Bündnis meine Wahl! | Bundesverband Medizintechnologie e.V. | Durchsetzung umstrittener Medizintechnologien |
Bürger für Technik e.V. | Kerntechnische Gesellschaft e.V. | Propaganda für Atomkraft |
Working Families for Wal Mart | Wal Mart, USA | Imagepflege für den Wal-Mart-Konzern |
Gesellschaft zur Förderung umweltgerechter Straßen- und Verkehrsplanung e.V. | Bau- und Auto-Lobby | Durchsetzung von Straßenbauprojekten (Umgehungsstraßen) |
Jugend für Menschenrechte / Youth for Human Rights | Scientology | Diskrete Propagierung der Werke von L. Ron Hubbard |
National Smokers Alliance | Tabak-Industrie, USA | Desinformation über Gesundheitsgefahren des Rauchens |
Zukunft Mobil | Deutsche Bahn AG, Berlinpolis | Propaganda für die Privatisierung der DB |
Tabelle: Bekannte Beispiele für Astroturfing-Organisationen
Fuchs gab jedoch zu bedenken, dass eine solche Demaskierung ein jahrelang dauernder Vollzeitjob werden kann. Die beiden zuverlässigen Indikatoren von Astroturfing sind eben gar nicht so leicht aufzudecken: Personelle Verknüpfungen zwischen Unternehmen bzw. Verbänden und der angeblichen Bürgerinitiative, sowie die Geldflüsse zwischen beiden. Hier müssen das Umfeld der Initiative und ihre interne Struktur analysiert werden, man muss sich durch sämtliche ihrer Veröffentlichungen (auch in den sozialen Medien) hindurcharbeiten, Amts- und Handelsregister, Grundbuchämter usw. konsultieren und die Akteure zuweilen auch direkt konfrontieren. Der SFV konnte hier als ein Detail die Methode des „Soziodrama“ beisteuern: Unser kritischer „Vernunftkraft“-Beitrag führte Anfang 2015 zu einer Fülle wütender Kommentare auf unserer Facebook-Seite, deren Urheber sich auf ihren eigenen Profilen häufig als glühende Anhänger nicht etwa von Roten Milanen, sondern von nuklearen Meilern entpuppten. Kein Beweis, aber ein Indiz für Astroturfing. Vielleicht ließe sich dieses Instrument auch einmal bewusst einsetzen.
In einem späteren Workshop über den „Umgang mit Kohlebefürwortern“ wurde aber, in Abweichung von Fuchs‘ Sorgfalts-Postulat, betont, wie wichtig eine schnelle Enttarnung von Astroturfing-Initiativen ist, bevor sie nämlich beginnen können, Wirksamkeit zu entfalten. Bei der eingangs erwähnten Initiative „Unser Revier – unsere Zukunft – an Rur und Erft“ wird man die Richtigkeit dieser Annahme überprüfen können, denn bereits kurz nach ihrer Gründung ist klar, dass es sich hier um eine Konzern-Veranstaltung handelt.
Homepage der „Bürgerinitiative“ „Unser Revier – unsere Zukunft – an Rur und Erft“
Wie weiter?
Die Konferenz endete mit einem Abschlusspodium – bzw. einer „Fishbowl“, bei der jedeR Interessierte sich vorübergehend in den Stuhlkreis der Diskutierenden setzen konnte. In dieser Abschlussdiskussion wurde klar, dass die Arbeit an diesem spannenden Thema erst begonnen hat. Aspekte, die angesprochen, aber noch nicht hinreichend geklärt wurden, umfassen u.a. die Rolle von Gewerkschaften, die sich für Konzerninteressen einspannen lassen: Wie geht man damit um, wenn man keine Frontstellung zwischen der Klimabewegung und der Arbeiterbewegung wünscht? Ferner wurde auch die Frage ‚echter‘ Graswurzelbewegungen, die gleichwohl umwelt- und klimaschädliche Forderungen vertreten, noch nicht zu Ende diskutiert. Das „Vernunftkraft“-Bündnis dürfte ein Beispiel dafür sein, wie opak die Grenzen, wie komplex die Zusammenarbeit zwischen Astroturfing und echten, aber gegnerischen Bürgerinitiativen sein kann.
Die Notwendigkeit und die Chancen einer weiteren Vernetzung der TeilnehmerInnen wurden von den meisten betont. Für die Zukunft sind mehrere Publikationen im Zusammenhang mit dem Protestmanagement von Konzernen geplant. Das mag darüber hinwegtrösten, dass viele spannende Debatten aufgrund der Parallelität von Veranstaltungen verpasst werden mussten. So lag der „Umgang mit Kohlebefürwortern“ parallel zum „Umgang mit Klimaleugnern“ sowie zu „Bürgerbeteiligung beim Netzausbau zwischen Protestmanagement und demokratischen Ansprüchen“. Ein Austausch der jeweiligen Ergebnisse ist hier sehr erwünscht; eine Mailingliste mit den Adressen der vielleicht 130 TagungsteilnehmerInnen gibt es ja jetzt. Vielleicht entsteht auch eine Plattform, auf der man sich über Rechercheergebnisse austauschen kann, solange sie noch nicht ‚druckreif‘ sind und z.B. bei Lobbypedia nachgelesen werden können. So ließen sich die beiden Anforderungen: Gründlichkeit und Schnelligkeit bei der Enttarnung von Astroturfing-Initiativen, im Idealfall durch Arbeitsteilung miteinander verbinden. Einen Versuch wäre es wert.
Quellennachweise
1 Vgl. http://www.sfv.de/artikel/mit_vernunftkraft_gegen_saubere_energie.htm
2 http://www.unser-revier-unsere-zukunft.de/#!unser-anliegen-6/c1s4o
3 https://www.youtube.com/watch?v=VBHIpxVFi50
4 http://www.diebuergerenergie.de/
5 http://www.buerger-fuer-technik.de/