Verlängerung der Atomenergie und rasches Wachstum der Solarenergie passen aus technischen Gründen nicht zusammen. Solar- und Windkraftwerke, die mal viel und mal wenig Strom liefern, können nur mit "Spitzenlastkraftwerken" zusammenarbeiten, die bei Windstille und bedecktem Himmel einspringen, nicht aber mit Atomkraftwerken, die möglichst gleichmäßig mit voller Leistung betrieben werden sollen, weil jedes größere Herunterregeln der Leistung ihre Lebensdauer verkürzt.
Bei Fortsetzung des Solarwachstums mit dem selben Tempo wie im ersten Halbjahr 2010 wäre bald an sonnigen Tagen zu viel Solarstrom oder zu viel Atomstrom im Netz gewesen. Auch ein Netzausbau in großem Umfang hätte daran nichts ändern können. Der "Zusammenprall" zweier nicht kompatibler Systeme war vorhersehbar.
Deshalb hat die Bundesregierung mit dem gezielten Abbremsen des Solarwachstums auf 3,5 GWp pro Jahr eine "Systementscheidung" getroffen - eine Entscheidung zugunsten des alten Systems.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Wort "System"? Wodurch unterscheiden sich das alte und das neue System? Wie kann der Umstieg möglichst schnell erreicht werden und wie müsste deshalb die richtige Entscheidung zugunsten des neuen Systems aussehen?
Unter dem Begriff "System" werden in der politischen Diskussion häufig nur die Organisation, die Nutznießer und die Träger der wirtschaftlichen Macht, die großen Energiekonzerne, verstanden. Die technischen Notwendigkeiten und Besonderheite werden dabei oft vergessen, und damit wird die politische Diskussion manchmal irreal. Deshalb soll im vorliegenden Beitrag die Betonung auf den technischen Gegebenheiten liegen.
Bei uns kommt der Strom bekanntlich aus der Steckdose, doch hinter der Steckdose steht das Stromnetz mit Transformatoren und Hunderten von Kraftwerken und Schaltwarten, ein technisches System, das ganz Europa überspannt. Ein riesiges und kompliziertes System mit hoher Verwundbarkeit und geringer Fehlertoleranz! Wenn es gerade unglücklich kommt, braucht nur ein Baum umzustürzen und halb Italien ist stromlos. Oder es brauchen nur ein paar Solaranlagen zu viel einzuspeisen und (zumindest nach Meinung der Deutschen Netzagentur, oder nach Meinung des deutschen Wirtschaftsministers, die es ja beide wissen müssten) die Stabilität des Stromnetzes ist gefährdet.
Wo liegt das Problem eines Umstiegs auf die Erneuerbaren Energien?
Stromversorgungssysteme müssen sich nach dem wechselnden Bedarf der Stromverbraucher richten: Nachts wird relativ wenig Strom verbraucht, tags dagegen viel, besonders kurz vor dem Mittagsessen und abends in der Rush Hour. Wie lässt sich das organisieren?
Das alte Stromversorgungssystem bestand und besteht aus schlecht regelbaren Grundlastkraftwerken, die ständig mit gleicher Leistung Strom erzeugen, aus langsam reagierenden Mittellastkraftwerken, die morgens hochgefahren und am späten Abend wieder heruntergefahren werden, sowie aus rasch reagierenden Spitzenlastkraftwerken, die kurzfristig ein- oder ausgeschaltet werden.
Bild: Das alte System
Das zukünftige Stromversorgungssystem in Deutschland
Das zukünftige Stromversorgungssystem soll letztendlich zu hundert Prozent mit Strom aus Erneuerbaren Energien betrieben werden. Darüber besteht verbal weitgehend Einigkeit zwischen allen politischen Richtungen.
Aber wie soll dieses System konkret im Endzustand aussehen? Dazu die Ansicht der Ingenieure im Solarenergie-Förderverein Deutschland:
Die zukünftigen Kraftwerke in Deutschland werden Windanlagen (hauptsächlich im Binnenland) und Solarstromanlagen (hauptsächlich auf bereits versiegelten Flächen wie Hausdächern, Fassaden, Lärmschutzwänden) sein. Natürlich gehören auch Wasserkraft und Geothermiekraftwerke, sowie Kraftwerke, die Restbiomasse verarbeiten, dazu.
Doch damit ist das System noch nicht in der Lage, den Strombedarf der Bevölkerung zu jeder Zeit vollständig zu decken. An Tagen ohne Wind und Sonne wird es Probleme geben, denn die Leistung der regelbaren Kraftwerke auf Wasserkraft-, Geothermie- und Biomassebasis wird nicht im Entferntesten ausreichen, um den Wegfall des Wind- und Solarstroms auszugleichen. Überschlägig lässt sich das am www.energiewenderechner.de nachrechnen.
Bei einem solchen Stromversorgungssystem mit einem wetterbedingt wechselndem Stromangebot ist somit eine knifflige Situation ganz sicher vorhersehbar, nämlich, dass zu manchen Stunden die angebotene Leistung - selbst in ganz Europa - keinesfalls ausreichen wird. Ein von Polen bis Portugal ausgebautes Stromfernleitungsnetz, ein sogenanntes "Supergrid", kann diese prekäre Situation keinesfalls ausschließen. Selbst wenn z.B. an einem trüben Novembernachmittag an Portugals Küste noch heftiger Wind wehen würde, so würde das sicher für die Stromversorgung von Portugal ausreichen, vielleicht auch noch mit für Spanien, aber keineswegs für die abendliche Lastspitze von ganz Europa von Frankreich bis Finnland oder Griechenland. Und der noch schwierigere Fall ist auch nicht völlig auszuschließen, dass in ganz Europa an einem düsteren Winterabend mehr oder weniger Windstille herrscht.
Das neue System wird also Stromspeicher brauchen, die über mehrere Stunden, Tage, möglicherweise sogar Wochen hinweg eine Leistung liefern können, die in der Größenordnung halbwegs an die von den Verbrauchern benötigte Leistung herankommt. Eine solche Menge von Speichern gibt es noch nicht im Entferntesten. Nur zum Vergleich: Alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen könnten derzeit nur einen kleinen Bruchteil der in Deutschland benötigten Leistung bereitstellen und wären noch vor Ablauf einer Stunde völlig leer.
Fassen wir zusammen:
Im alten System galt der Grundsatz: "Strom lässt sich nicht speichern". Und noch heute wird das so - z.B. auf den Informationsseiten der Kernenergie - wiedergegeben. Der Zwang, ständig aktiv durch den richtig dosierten Einsatz der Spitzenlastkraftwerke das Gleichgewicht zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung aufrecht zu erhalten, macht dieses alte System störanfällig. Den umstürzenden Baum, der in friedlichen Tagen fast ganz Italien für Tage stromlos machte und die möglichen Folgen, sollten wir nicht vergessen. Unter http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/netzvers.htm finden Sie weitere Stromausfälle.
Im neuen System werden Stromspeicher unverzichtbarer Bestandteil sein. Jeder Stromspeicher, der mit einer automatischen Regelung versehen ist, stellt ein "Notstromsystem" dar und erhöht die Sicherheit gegen Störungen durch unvorhergesehene Ereignisse. Im neuen System wird es so viele Stromspeicher geben, dass man mit ihnen die zukünftigen Überschüsse aus Sonnen und Windenergie für die Stunden, Tage oder gar Wochen des Strommangels speichern kann. Das neue System wird katastrophensicher und fehlertolerant sein. Später einmal wird man sich wundern, wie leichtfertig früher einmal ganze Industrienationen über Jahrzehnte darauf vertraut haben, dass es schon irgendwie gut gehen würde, nicht nur mit der Atomenergie, sondern auch mit einem Stromsystem, in dem europaweit jederzeit die Stromerzeugung im labilen Gleichgewicht mit dem Stromverbrauch gehalten werden musste.
Den Umstieg auf das neue System beschleunigen
Zur Zeit bestimmt Schwarz-Gelb die Energiepolitik. Die Verlängerung der Atomlaufzeiten ist fest beschlossen. Die Sorge der schwarz-gelben Politik ist aus technischer Sicht berechtigt, dass bei weiterem Wachstum der Solarenergie die Stromnetze (genauer gesagt die Stromverbraucher) zu sonnigen Stunden den Solar- oder den Atomstrom nicht mehr aufnehmen können.
Wir sollten diese Sorge aber nicht damit beantworten, dass wir das Solarwachstum bremsen - damit fallen wir in das alte System zurück - sondern dass wir den Ausbau der Stromspeicherung fordern und vorantreiben. Dazu gehört nicht nur die Entwicklung leistungsfähiger Stromspeicher. Daran arbeiten bereits Ingenieure in aller Welt mit Hochdruck.
Unsere Aufgabe ist es, beispielhaft zu zeigen, wie man bereits mit vorhandener Speichertechnik, z.B. mit Bleibatterien oder Lithium-Ionen-Batterien dezentrale Stromspeicher [1] beim Endverbraucher, in Betrieben, in Garagen, in Privathäusern installieren kann.
Interessant und ermutigend ist in diesem Zusammenhang die Erinnerung, dass zur Zeit der Berliner Blockade und Luftbrücke Juni 1948 bis August 49 die Stadt Westberlin ihren Spitzenlaststrom tagsüber aus riesigen Speichern mit Bleibatterien [2] gedeckt hat, die damals von der BEWAG aufgestellt worden waren. Nach Auskunft eines Mitarbeiters des Berliner Energie-Museums soll es sich um Akkumulatoren mit einer Leistung von 80 MW gehandelt haben. Später, im Jahr 1986, wurde noch einmal eine 17 MW / 14 MWh Batterie bei der BEWAG in Berlin installiert.
Und Inzwischen hat sich die Batterietechnik weiterentwickelt.
Weitere Informationen zu Speichertechniken finden Sie hier.
Anmerkungen:
[1] Die Bundesregierung lehnt die Speicherung von Strom aus Erneuerbaren Energien in den zentralen Pumpspeicherkraftwerken der Stromwirtschaft ausdrücklich ab und begründet dies mit dem betriebswirtschaftlichen Interesse der Stromwirtschaft.
Frage 14. Beabsichtigt die Bundesregierung bei der Erschließung der verfügbaren deutschen Potenziale für Pumpspeicherkraftwerke, die jetzt von Atom- strom belegten Speicherkapazitäten, welche den überschüssigen Grund- laststrom in Spitzenlast veredeln, zukünftig umzuwidmen, so dass diese Pumpspeicherkapazitäten frei werden für die Zwischenspeicherung von überschüssigen Strom aus Wind und Sonne?
Wenn ja, wie hoch sind die freiwerdenden Kapazitäten?
Wenn nein, warum nicht?
Antwort:
Nein. Damit würde der marktgetriebene und betriebswirtschaftlich motivierte Einsatz von Pumpspeicherkraftwerken außer Kraft gesetzt.
Frage 15. Beabsichtigt die Bundesregierung die Nutzung von deutschen Pumpspeicherkraftwerken für Überschussstrom aus ausländischen Kraftwerken, z. B. französischer oder tschechischer Atomstrom zu unterbinden, damit ihre Kapazitäten für die Zwischenspeicherung von Überschuss aus Wind und Solarstrom frei werden?
Antwort:
Nein. Ein solches Vorgehen wäre unvereinbar mit den Vorschriften zum europäischen Binnenmarkt, die auf eine Integration der Strommärkte abzielen.
Frage 16. Verfolgt die Bundesregierung das Ziel, an bestehenden Wasserkraftwerken, z. B. an den Staustufen deutscher Flüsse technische Ergänzungen anzubringen, damit auch diese Wasserkraftwerke als Speicher genutzt werden können?
Antwort:
Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich ein Großteil der bestehenden Wasserkraftwerke nicht dafür eignet, relevante zusätzliche Speicherkapazitäten zu schaffen.
[2] Umweltbedenken bei Bleibatterien
Entscheidend ist lediglich die strikte Rücknahmepflicht der Bleibatterien zum Zweck des Recyclings.
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Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV)
Frère-Roger-Str. 8-10 52062 Aachen
Tel.: 0241-511616 Fax: 0241-535786 http://www.sfv.de