Zur Presseerklärung "1000 Gigawatts of new nuclear capacity will support an ambitious COP 21 agreement" der World Nuclear Association vom 30.11.2015

 

Wie erwartet werden konnte, versucht die weltweite Atom-Mafia, anlässlich der Pariser Klimakonferenz aus dem Klimawandel einen billigen Profit zu schlagen. In einer Presseerklärung preist die „World Nuclear Association“ (WNA) – die globale Lobbyorganisation für Atomenergie – am 30. November 2015 die Atomkraft als klimafreundliche Alternative zu fossilen Energien. (1)

Wie gesagt: Das war erwartbar. Die Klimaschutzbewegung hat schon lange vorsorglich den Slogan „Don‘t Nuke the Climate!“ geprägt. (2) Die Bewegung weiß sehr gut, dass wir nicht zwischen Pest und Cholera wählen müssen, sondern dass wir die Energieversorgung der Welt auf Erneuerbare Energiequellen umstellen können, die weder den Treibhauseffekt befeuern, noch kommende Generationen mit Gebirgen von hochstrahlendem Atommüll und mit evakuierten Landschaften wie um Tschernobyl oder Fukushima belasten.

Was nicht erwartbar war, aber gleichwohl höchst bezeichnend für die Atom-Lobby ist, das ist die Maßlosigkeit, mit der sie ihren Anspruch anmeldet. Es sollen gleich 1000 Gigawatt neuer AKW-Kapazitäten sein, die bis 2050 gebaut werden und so „den Klimawandel bekämpfen“. Zur Einordnung dieser Zahl sollte man wissen, dass derzeit etwa 375 GW Atomkraft weltweit installiert sind. Diese Zahl soll also durch die zweieinhalbfache Menge ersetzt (oder, wie wir die Wünsche der WNA einschätzen: ergänzt) werden.

Die Atomgemeinde kann nur gigantomanisch denken. Dabei wird sie auch nicht von logischen bzw. logistischen Problemen tangiert. Wo sollte z.B. der Brennstoff für über 1000 GW Kapazitäten herkommen? Auf der Basis der heutigen Kapazitäten rechnet man mit einer Versorgung aus den bekannten Uran-Ressourcen für eine Dauer von etwa 80 Jahren. (3) Die geforderte 1000-GW-Kapazität würde das in 30 Jahren verbrauchen. Wir sind gespannt, welcher Investor mit einer solchen Laufzeit-Perspektive sein Geld locker machen würde.

In der WNA-Presseerklärung heißt es: „Kernenergie ist ein bewährter Lieferant bezahlbarer, verlässlicher, CO2-armer Elektrizität.“ Richtig ist daran lediglich das Satzgerüst: Kernenergie ist ein Lieferant von Elektrizität. Untersuchen wir kurz den Strauß von Adjektiven:

Bewährt? Atomenergie ist eine Technik mit einem äußerst hohen Gefahrenpotenzial. Die in Atomanlagen erzeugten oder verarbeiteten Strahlenmaterialien müssen zuverlässig von einer Freisetzung abgehalten werden, um nicht massive Schäden, insbesondere an der Gesundheit von Menschen, anzurichten. Bekanntlich gelingt das nicht. Hier muss man nicht nur an die großen Kernschmelzereignisse wie in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima erinnern. Sondern vom Uranbergbau über die Verarbeitungskette des Rohstoffs bis zum Normalbetrieb und glimpflicheren Störfällen in den AKWs haben wir eine einzige Abfolge von Gefährdungen und radioaktiven Belastungen der Bevölkerung. (4) Und am Ende steht die Endlagerfrage, die von der WNA-Presseerklärung mit gutem Grund ebensowenig angesprochen wird wie die Unfallgefahr; denn auch die WNA hat keine Antwort auf diese Fragen. „Bewährt“ ist in all diesen Punkten lediglich die Problemverdrängung!

Bezahlbar? Rekapitulieren wir noch einmal die derzeitige Strategie der britischen Regierung, in der englischen Anlage von Hinkley Point zwei neue Kraftwerksblöcke zu errichten. Um diese Anlage den Investoren schmackhaft zu machen, sagte Großbritannien ihnen für 35 Jahre ab Inbetriebnahme eine garantierte Einspeisevergütung in Höhe von 92,5 Pfund/MWh zuzüglich eines jährlichen Inflationsausgleichs auf Preisbasis 2012 zu (laut Wikipedia derzeit 13,2 Euro-Cent/kWh). Dies ist das Doppelte des durchschnittlichen englischen Strompreises im Jahr 2013. Zusätzlich wurde eine staatliche Kreditgarantie in Höhe von 10 Mrd. Pfund (14,2 Mrd. Euro) gewährt, um die Finanzierungskosten zu senken. Die bei AKW-Projekten übliche Kostensteigerung vor Inbetriebnahme stellt sich für Hinkley Point C wie folgt dar: Statt der zunächst angegebenen 16 Mrd. Pfund sollen die Baukosten nun mindestens 24,5 Mrd. Pfund (34,1 Mrd. Euro) betragen, die EU-Kommission rechnet mit einem Kapitalbedarf von 48,4 Mrd. Euro. Ursprünglich (2005) sollte dieser französische Reaktortyp (EPR) schlüsselfertig 3 Mrd. Euro kosten. (5) Hinkley Point C ist unter dem Aspekt der „Bezahlbarkeit“ typisch für Atomkraftwerke, stellt unter dem Aspekt der Unverfrorenheit beim Abzocken der Stromkunden und Steuerzahler jedoch eine neue Dimension dar, mit der man bei den von der WNA geforderten 1000 GW wohl ebenfalls rechnen dürfte. – Dass überdies die Kosten für den Umgang mit dem produzierten Atommüll und für den Rückbau der verstrahlten Gebäude wieder externalisiert, also der Allgemeinheit angelastet werden sollen, dürfen wir nach den bisherigen Erfahrungen für so gut wie sicher halten.

Verlässlich? Wenn AKWs nicht infolge eines Unfalls oder aus Sicherheitsgründen oder zur Wartung heruntergefahren sind, dann laufen sie „verlässlich“ mit ihrer Nennleistung. Atomkraftwerke lassen sich nur sehr schlecht in ihrer Leistung regulieren – noch schlechter als Braunkohlekraftwerke. Sie sind deshalb als Ergänzung zu den ungleichmäßig anfallenden Erneuerbaren Energien denkbar ungeeignet. Ihre „Verlässlichkeit“ ist insofern ein Argument gegen diese Technik. (6) Wenn die WNA-Presseerklärung also behauptet, der Schlüssel zu einer CO2-armen Zukunft liege in „Kombinationen der Stromerzeugung aus Kernenergie und Erneuerbaren“, dann ist das grob irreführend.

CO2-arm? Beim Betrieb eines AKWs wird kein CO2 emittiert. Betrachtet man den gesamten Brennstoffkreislauf, dann gehen die Meinungen allerdings auseinander. Von 20 g bis 200 g CO2-Produktion pro kWh reichen die Berechnungen unterschiedlicher Studien. (7) Wichtig ist, dass die Emissionen beim Bergbau steigen, je mehr die Ergiebigkeit der Erze sinkt – was bei einer auf 1000 zusätzliche GW angelegten Förderung zwangsläufig rasch passieren würde. – Aber es ist nicht das CO2-Problem, das zur Ablehnung dieser Technik führen muss, sondern das Radioaktivitäts-Problem (welches von der WNA nicht mit einer Silbe erwähnt wird).

Es bleibt dabei: Der Klimaschutz braucht kein Danaer-Geschenk der Atom-Konzerne. Wir haben in den letzten Jahrzehnten den Aufstieg der Erneuerbaren Energien erlebt – übrigens gegen den erbitterten Widerstand der Atom-Lobby. Diese Atomlobby war in vielen Fällen – so in Deutschland – personell und institutionell identisch mit der Kohle-Lobby. Es sind die Stromkonzerne, deren Geschäftsmodell in großen, zentralen Kraftwerksanlagen und Fernübertragungstrassen besteht. Seit einiger Zeit verkleiden sich diese nun als Klimaschützer. Der Trick wird ihnen nicht gelingen. Nicht nur sind Kohle- und Atomlobby weithin verflochten bzw. identisch – auch die Klimaschützer-Bewegung ist eng mit der Bewegung der Atomkraft-Gegner verbunden, von der sie wichtige Impulse empfangen hat. Man kennt das skrupellose Vorgehen der Konzerne, die ihre Gewinninteressen noch stets vor die Interessen der Sicherheit, des Umweltschutzes, oder der Information der Betroffenen bei Unglücksfällen gestellt haben. Das Klima der Erde und die Gesundheit der Menschen ertragen das nicht mehr. Wir müssen uns dieses Geschäftsmodells entledigen!

 

Nachweise

 

1 world-nuclear.org

2 Vgl. z.B. wiseinternational.org. Der Slogan ist kaum ins Deutsche zu übersetzen; "to nuke" bedeutet hier am ehesten so etwas wie "mit Kernenergie verderben".

3 en.wikipedia.org, Stichwort "Peak uranium"

4 Vgl. z.B. www.umweltlexikon-aktuell.de; de.wikipedia.org, Stichwort "Kernenergie"

5 de.wikipedia.org, Stichwort "Kernkraftwerk Hinkley Point"

6 Vgl. Wolf von Fabeck: Grundlastkraftwerke erzwingen vorzeitige Abregelungen von Solar- und Windanlagen. In: Solarbrief 3/2012, S.16ff.

7 Vgl. green.wiwo.de