Ein Rückblick aus der Zukunft auf den September 2014

 

Auf dem Klimagipfel in New York am 23. September 2014 geschah es: Während UN-Präsident Ban Ki-moon die Delegationen begrüßte, fielen im Tagungsgebäude alle Klimaanlagen aus. Es war ein warmer Spätsommertag, genauer gesagt: mal wieder einer der heißesten Septembertage in New York seit Beginn der Aufzeichnungen. Schon während der Begrüßungszeremonien beobachtete man Unerhörtes: Während die Raumtemperaturen langsam die Außentemperaturen erreichten und überschritten, legten einzelne der perfekt gekleideten Teilnehmer ihre Jacketts ab, ja: bald sah man etliche sogar mit deutlich gelockerten Krawattenknoten etwas derangiert auf den Konferenzstühlen hängen. Schweißperlen sammelten sich auf mancher Präsidentenstirn, während wichtige Tagungsunterlagen zu improvisierten Fächern umfunktioniert wurden.

Der Antrag, die Arbeitsgruppen-Sitzungen zu vertagen, weil man unter derartigen klimatischen Bedingungen nicht arbeiten könne, wurde mit denkbar knapper Mehrheit abgelehnt. Dieses Abstimmungsergebnis kam zustande, weil der Chefdelegierte Polens gerade wegen eines Kreislaufzusammenbruchs behandelt werden musste, Vertreter Kanadas und Deutschlands sich in der Lobby über die dahinschmelzenden Soda-Bestände hermachten, und die Delegierten der USA und Russlands nicht aufpassten, sondern sich in einem Nebengespräch über die Ausbeutung eines neuentdeckten Ölfeldes im Nordpolarmeer stritten.

Es muss wohl so gewesen sein, dass in der nicht nur metaphorischen, sondern sehr realen Hitze der Debatte vielen Gipfelteilnehmern unbewusst klar wurde, dass man hier nicht über ein abstraktes Thema sprach, was vielleicht die Leute da draußen betraf, aber nicht die Entscheider selbst. Als die Vertreterin eines Südsee-Archipels am dritten Verhandlungstag äußerte, ihrem Volk stehe aufgrund des steigenden Meeresspiegels das Wasser bereits buchstäblich bis zum Hals, sah man viele Delegierte unwillkürlich die Hand an ihre vom Schweiß völlig durchnässten Hemdkrägen führen, worauf ein ernstes Nicken folgte.

Nach einer Woche waren die Klimaanlagen noch immer nicht reaktiviert – auch weil die New Yorker Elektriker und Systemprogrammierer für eine Hitze-Gehaltszulage streikten. Am achten Gipfeltag wurde eine Beschlussvorlage ins Plenum gebracht, wonach die Nutzung fossiler Brennstoffe innerhalb von 20 Jahren verboten werden solle. An diesem Tag – dem letzten im September 2014 – kletterte das Thermometer im UN-Hauptquartier auf 37 Grad Celsius, und die Soda-Bestände im Gebäude gingen zur Neige (die Security hatte den Laster mit dem Getränkenachschub nicht durchgelassen, nachdem beide Seiten aufgrund der herrschenden Hitze sich zu gereizten Wortgefechten hatten hinreißen lassen).

Die Diskussion im Plenum schwankte zwischen Erschöpfung und mühsamer Beherrschung. Die Frist bis zum CO2-Verbot wurde zuerst auf 15, dann auf zwölf Jahre herabgesetzt. Rahmenbedingungen für nationale Anreizprogramme für den Umstieg auf 100 Prozent regenerative Energien wurden beschlossen. Böse Stimmen munkelten hinterher, der Zufall, dass der Begriff „feed-in tariff“, also „Einspeisevergütung“, in den eilig produzierten Tischvorlagen nur noch mit „FIT“ abgekürzt wurde, hätte die Zustimmung zu diesem Prinzip beschleunigt, weil es die Delegierten an einen Zustand erinnerte, der ihnen seit einer Woche abhanden gekommen war.

Der Chefunterhändler Frankreichs, der noch den „EPR“ als „emissionsfreies“ Kernkraftwerk dritter Generation ins Spiel bringen wollte, stieß auf wenig Unterstützung, erst recht, als er von der „Übertragung der Wärmeenergie in den Sekundärkreislauf“ dozierte, wobei schon die bloße Erwähnung des Begriffs „Wärme“ im Zusammenhang mit „Kreislauf“ mehrere Delegierte zum Kollabieren brachte. So wurden weltweit die Weichen für eine saubere, dezentrale Energieversorgung gestellt.

In der Öffentlichkeit wurde allgemein als erstaunlich erachtet, dass unter widrigen Umständen in einer Woche erreicht worden war, was vorher 20 Jahre lang in wohlklimatisierten Konferenzzimmern nicht gelungen war. Man führte dies allgemein auf die Kraft der „unmittelbaren sinnlichen Anschauung“ zurück (soweit man nicht, wie die deutsche „Bild“-Zeitung, einfach vom „UNO-Klima-Horror“ schlagzeilte). Und so kam es zum vielleicht erstaunlichsten Beschluss von „New York 2014“: Die Regierungen der teilnehmenden Staaten wurden verpflichtet, Verhandlungen über die nationale Klimapolitik künftig verbindlich nur bei abgeschalteten Klimaanlagen zu führen. Die unmittelbare sinnliche Anschauung sollte sich so mit einem direkten Beitrag zur Energieeinsparung koppeln. Dieser Ansatz leuchtete manchen Regierungsvertretern so sehr ein, dass sie zum nächsten Klimagipfel 2015 in Paris nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Eisenbahn anreisten. Ja, der deutsche Delegationsleiter war 2015 so sehr geläutert, dass er …

Schluss jetzt! Aufwachen! Das ist doch alles reines Wunschdenken: Ehe ein schwitzender Regierungsvertreter das Allgemeinwohl vor die Gewinninteressen der großen Energiekonzerne stellt, geht ein Kamel durch ein Nadelöhr! Und dann noch gar auf weltweiter Ebene! Wir müssen selbstverständlich weiterhin Druck dafür machen, dass energiepolitische Maßnahmen dem Klimaschutz dienen! Und der Gesundheit der Menschen! Das geht nur durch eine Kombination aus breiter Bewegung und guten Argumenten. – Obwohl: So schlecht ist die Idee mit den unklimatisierten Sitzungen z.B. des Bundestags-Umweltausschusses nicht. Kann man gerne auch auf die Chefetagen von E.on, Vattenfall, RWE und EnBW ausdehnen. Das wird die Profitorientierung dieser Konzerne nicht aushebeln. Aber ihre raumschiffartige Realitätsferne ein bisschen abbauen. Und das könnte auch auf nationaler Ebene gut tun.

Bundestagspräsident Norbert Lammert: Machen Sie den ersten mutigen Schritt – Power off bei den Bundestags-Klimaanlagen!

Karikatur Gerhard Mester
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