Notizen zur deutschen Energiepolitik im März 2012

 

Dieser Artikel wurde bereits am 06.03.2012 unter http://www.hintergrund.de/201203061951/wirtschaft/wirtschaft-inland/das-augenmass-von-amoklaeufern.html veröffentlicht.


In diesen Tagen wird das Flaggschiff der Energiewende in Deutschland, die Photovoltaik, durch die Bundesregierung versenkt. Die erneute außerplanmäßige Absenkung der Einspeisevergütung um 20 bis 30 Prozent dient offiziell dem Ziel, den Zubau von Kapazitäten in diesem Bereich von 7,5 Gigawatt im Jahr 2011 auf weniger als 2 Gigawatt jährlich bis 2017 zurückzuführen. Das heißt nichts anderes, als dass die bis 2011 aufgebauten Kapazitäten für die Herstellung und vor allem für die Installation von Photovoltaik-Anlagen zu mehr als zwei Drittel vernichtet werden sollen. Es handelt sich um Investitionen, die in den vergangenen Jahren von den Stromkunden durch die Umlage nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz aufgebracht wurden. Sie werden nach diesem energiepolitischen „Amoklauf“, wie es in der Solarszene treffend heißt (1) ein zweites Mal aufgewendet werden müssen, um die Energiewende zu beschleunigen – wenn die derzeitige Bundesregierung endlich abgewählt sein wird. Aber ob die in Frage kommenden Akteure sich auf ein solches Wagnis dann ein zweites Mal einlassen, ist fraglich. Der Kahlschlag bei der Photovoltaik ist nicht zuletzt auch ein Angriff auf die Planbarkeit wirtschaftlichen Handelns in diesem Bereich.

Es ist eine beeindruckende Demonstration von Handlungsfähigkeit der Bundesregierung! Dieselbe Koalition, die für den überfälligen Ausstieg aus der Atomenergie im letzten Sommer elf Jahre veranschlagte, schafft den Ausstieg aus der Solarenergie jetzt innerhalb von 14 Tagen. Es war eine Pressekonferenz der Minister Rösler und Röttgen am 23. Februar, bei der erstmals verkündet wurde, dass nicht zum 1. April, sondern schon am 9. März die Absenkung der Einspeisevergütung greifen solle. (2) Das bedeutet für die Solarinstallateure, dass sie massenhaft auf bereits gelagerten Modulen und sonstigen Komponenten sitzenbleiben, während in großem Umfang von panischen Kunden die Aufträge storniert werden.

Vermutlich meint Bundeswirtschaftsminister Rösler solche Entwicklungen, wenn er in steuerfinanzierten Anzeigen eine „Energiepolitik mit Augenmaß und wirtschaftlicher Vernunft“(3) reklamiert. Die zwölfseitige Werbebeilage des Wirtschaftsministeriums, aus der dieses Zitat stammt, lohnt übrigens nähere Betrachtung. Die Schlagzeile des Blättchens lautet „Neue Netze? Ja bitte!“ Mit dieser semantischen Anspielung auf die Hauptparole der Anti-Atom-Bewegung wird die Behauptung aufgestellt, „neue Stromnetze“ seien „für die Energiewende unverzichtbar“. (4) Erstaunlicherweise ist diese These in der deutschen Diskurslandschaft der letzten zwölf Monate völlig hegemonial, obwohl sie eine Lüge ist. Denn für den Umstieg auf erneuerbare Energien werden benötigt: entweder neue „Stromautobahnen mit Höchstspannungsleitungen“ (5); oder ein intelligentes System dezentraler Speicher, die vor allem auch mit den vorhandenen Wind- und Sonnenstrom-Anlagen zu koppeln wären. Die erste – also Röslers – Lösung entspricht der Konzentration auf zentralisierte Produktionsanlagen, vor allem auf Offshore-Windparks, oder das gigantomanische Desertec-Programm. Eine Begleiterscheinung dieser Variante ist, dass die ökonomische Struktur der Stromerzeugung so bleibt wie sie ist: in den Händen von RWE, Vattenfall, E.on und EnBW. – Die zweite Lösung ist dezentral, sie rechnet viel mehr mit Bauern und Hausbesitzern als Stromproduzenten. Die intermittierend anfallende Wind- und Sonnenenergie wird dann nicht so sehr durch den Raum, sondern durch die Zeit transportiert. Die daraus resultierenden Netz-Strukturen sind viel weniger anfällig gegen Blackouts, wie sie beim unfallartigen oder terroristischen Kappen von Höchstspannungsleitungen entstehen können. Aber die Profite der „großen Vier“ werden dabei geschmälert. Das verbietet natürlich Röslers „wirtschaftspolitische Vernunft“.

Das Mantra vom „Ausbau der Stromnetze“, der „mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt halten“ müsse (Rösler) (6), entspricht also durchaus der traditionellen wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Union-FDP-Koalition zugunsten von Konzerninteressen. Dies ist noch klarer zu erkennen, wenn man ein Glanzstück von Röslers Energiepolitik betrachtet: Die „milliardenschweren“ Kosten des vermeintlich notwendigen Netzausbaus sollen per „Netzentgelt“ auf die Stromkunden umgelegt werden. „Dies darf jedoch“, so das Wirtschaftsministerium, „kein Wettbewerbsnachteil für Unternehmen aus energieintensiven Branchen sein.“ Diese sollen daher von den Netzentgelten „vollständig befreit werden“.(7) Was bedeutet das? Es gibt in Deutschland energieintensive Branchen (wie die Stahl- oder Aluminium-Industrie), und demgegenüber gibt es arbeitsintensive Branchen (wie Handwerk, Dienstleistungen, Reparaturgewerbe). Wenn die erstgenannten exklusiv von einer Abgabe befreit werden, entsteht notwendig ein Wettbewerbsnachteil für die anderen. Es findet also eine systematische Förderung solcher Branchen statt, in denen Energie für die Produktion wichtiger ist als menschliche Arbeitskraft, und folglich eine Diskriminierung solcher Branchen, in denen viele Arbeitskräfte beschäftigt werden. Diesen Zusammenhang überspielt Rösler mit dem einfachen, ex cathedra verkündeten Satz: „Die energieintensiven Industrien sind wichtig für die Beschäftigung in Deutschland.“ (8) Später spricht das Werbeblatt von „Anreizen für Unternehmen, möglichst sparsam mit Energie umzugehen“. (9) Die Befreiung von der Netzentgeltabgabe ist für energieintensive Unternehmen natürlich ein Anreiz, nicht sparsam mit Energie umzugehen; aber dieses logische Paradox entgeht dem Minister offenbar.

Apropos Blackout. Unter der Überschrift „Blackouts? Nein danke!“ (man beachte die Korrespondenz zu „Neue Netze? Ja bitte!“) werden fünf große ausländische Stromausfall-Ereignisse des letzten Jahrzehnts aufgelistet, um die Akzeptanzbeschaffung für den Netzausbau mit einer Prise Angst zu würzen. (10) Dass die angeführten Netzzusammenbrüche in Amerika, Russland und Italien nichts mit irgendwelchen Wenden hin zu erneuerbaren Energien zu tun haben und viel mit der Deregulierung der Strommärkte, wird nicht erwähnt. Interessanterweise fehlen in der Liste die durch Energiespekulation ausgelöste Serie von Rolling Blackouts in Kalifornien Ende des letzten Jahrhunderts ebenso wie die Netzabschaltungen, die letztes Jahr in Japan nach der multiplen Reaktorkatastrophe von Fukushima fällig wurden.

Kommen wir zum Abschluss noch einmal auf den Umweltminister Norbert Röttgen zurück, der sich in der Presse gerne als „grüner“ Widersacher der konzernfreundlichen Wirtschaftspolitik seines Kabinettskollegen Rösler darstellen lässt. Auf der bereits erwähnten Pressekonferenz am 23. Februar formulierte er einen weiteren Schlag gegen die Photovoltaik – nämlich zu Spitzenproduktionszeiten eingespeisten Solarstrom teilweise gar nicht zu vergüten – mit folgendem Satz: „Wir schlagen ein Marktintegrationsmodell vor, das darin besteht, dass nicht mehr wie bislang jede produzierte Kilowattstunde bezahlt wird, unabhängig davon, ob diese Kilowattstunde irgend ein Mensch braucht“. (11) Die Logik, die hinter dieser Formulierung steht, ist die, dass zur Mittagszeit, wenn viel Solarstrom anfällt, bereits genug anderer Strom die Netze beliefert – z.B. aus Braunkohle- oder Atomkraftwerken. Man könnte die Frage stellen, ob es dann nicht eher der Braunkohle- oder Atomstrom ist, den „kein Mensch braucht“. Aber Röttgen stellt diese Frage nicht. Große Dreck- und Strahlenschleudern sind für ihn das Normale, Sonnenenergie bestenfalls ein Sahnehäubchen.

Das Schlimme an diesem nur mühsam kaschierten Abwürgen der Energiewende in Deutschland ist, dass hier nicht nur im Inland Chancen verspielt und Potenziale vernichtet werden. Auch zum Beispiel die vielbeschimpften chinesischen Hersteller von Solarmodulen werden Kapazitäten abbauen müssen, die dann für die Belieferung des dort entstehenden Marktes erst einmal fehlen werden. Ein letztes Jahr in den USA erschienenes Buch zur Geschichte der Photovoltaik macht auf beeindruckende Weise deutlich, wie stark der Erfolg dieser zukunftsträchtigsten aller regenerativen Energiequellen weltweit von dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz in Deutschland abhing und noch abhängt – sowohl im Sinne eines Vorbildcharakters, als auch im Sinne ökonomischer Verflechtung. (12) Was die Amokläufer in den Berliner Ministerien aufs Spiel setzen, ist also mehr als nur die Zukunftsfähigkeit unserer eigenen Energieversorgung.

 

Quellen

 

(1) http://www.sfv.de/artikel/amoklauf_gegen_die_solarenergie.htm
(2)http://www.sonnenseite.com/index.php?pageID=6&article:oid=a21503
(3) Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Energiewende! Energiepolitische Informationen, 01_2012 (Anzeigenbeilage in mobil, Das Magazin der Deutschen Bahn, 03/2012). S.5.; 
(4) Ebd., S.1. 
(5) Ebd., S.2. 
(6) Ebd., S.2. 
(7) Ebd., S.6. 
(8) Ebd., S.6. 
(9) Ebd., S.9.
(10) Ebd., S.4.
(11) http://de-de.facebook.com/permalink.php?story_fbid=264085473667809&id=252331438116287 
(12) Bob Johnstone: Switching to Solar. What We Can Learn from Germany's Success in Harnessing Clean Energy. Amherst (NY): Prometheus Books 2011. Vgl. meine Besprechung: http://www.sfv.de/artikel/weltweite_verantwortung_deutscher_solar-politik.htm

 

 

Anmerkungen des SFV zu „Das Augenmaß der Amokläufer“

 

Im Einvernehmen mit dem Verfasser, Dr. Rüdiger Haude, ergänzen wir seinen Beitrag an drei Stellen:
(Zitat Rüdiger Haude:) „Denn für den Umstieg auf erneuerbare Energien werden benötigt: entweder neue ‚Stromautobahnen mit Höchstspannungsleitungen‘ (5); oder ein intelligentes System dezentraler Speicher, die vor allem auch mit den vorhandenen Wind- und Sonnenstrom-Anlagen zu koppeln wären. Die intermittierend anfallende Wind- und Sonnenenergie wird dann nicht so sehr durch den Raum, sondern durch die Zeit transportiert.“

(Anmerkung SFV:) Diese Gegenüberstellung erweckt den Eindruck, dass Netzausbau oder Speicherausbau gleichwertige Lösungen darstellen. Doch das ist ein Irrtum, denn ohne Speicher kann ein noch so gut ausgebautes Stromnetz in ganz Europa und Afrika bei Nacht und Windstille keinen Wind- oder Sonnenstrom bereitstellen. Man kann auf Energiespeicher also in keinem Fall verzichten.

(Zitat Rüdiger Haude:) „‘Wir [Rösler und Röttgen] schlagen ein Marktintegrationsmodell vor, das darin besteht, dass nicht mehr wie bislang jede produzierte Kilowattstunde bezahlt wird, unabhängig davon, ob diese Kilowattstunde irgend ein Mensch braucht“. (11) Die Logik, die hinter dieser Formulierung steht, ist die, dass zur Mittagszeit, wenn viel Solarstrom anfällt, bereits genug anderer Strom die Netze beliefert – z.B. aus Braunkohle- oder Atomkraftwerken.“

(Anmerkung SFV:) Die Solarfreunde unterschätzen das Wachstum ihrer eigenen Technik. Bei weiterem Fortgang des solaren Ausbaus wird es – selbst wenn alle Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet würden - um die Mittagszeit bald erheblich mehr Solarstrom geben, als alle deutschen Verbraucher zusammen verbrauchen können. Insofern hat Röttgen teilweise recht. Nur wird das Problem nicht dadurch gelöst, dass die Solaranlagenbetreiber dann gezwungen werden, den Solarstrom „in den Markt zu integrieren“, d.h. ihn selbst zu verkaufen. Genau zu dieser Zeit würde den Solarstrom ja keiner kaufen wollen. Das Problem kann nur durch aktive Förderung des Speicherausbaus gelöst werden. Ohne Förderung wird kein wirtschaftlich denkender Stromverbraucher Speicher bauen, denn noch kostet die Speicherung von Solarstrom mehr als die Erzeugung von Solarstrom.

(Zitat Rüdiger Haude:) „Es gibt in Deutschland energieintensive Branchen (wie die Stahl- oder Aluminium-Industrie), und demgegenüber gibt es arbeitsintensive Branchen (wie Handwerk, Dienstleistungen, Reparaturgewerbe). Wenn die erstgenannten exklusiv von einer Abgabe befreit werden, entsteht notwendig ein Wettbewerbsnachteil für die anderen. Es findet also eine systematische Förderung solcher Branchen statt, in denen Energie für die Produktion wichtiger ist als menschliche Arbeitskraft, und folglich eine Diskriminierung solcher Branchen, in denen viele Arbeitskräfte beschäftigt werden.“

(Anmerkung SFV:) Viele Leser stellen sich unter menschlicher Arbeitskraft nur „Maloche“ vor. Dass hier auch Intelligenz gefragt ist, wird vielleicht deutlicher, wenn man die Begriffe „Handwerk, Dienstleistungen, Reparaturarbeiten,“ durch die Begriffe „Forschung, Erprobung, Lehre, Ausbildung, Erziehung, soziale Betreuung, Seelsorge, Kunst“ ergänzt. (WvF)