Mitte August (15.8.12) hat BundesUmweltminister Peter Altmaier (CDU) die Inbetriebnahme zweier großer Braunkohlekraftwerksblöcke in Neurath als "herausragenden Beitrag zum Gelingen der Energiewende" bezeichnet und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) unterstrich dabei die "Bedeutung der rheinischen Braunkohle für die Energiewende". Der Begriff Energiewende wird zunehmend zur Mogelpackung und dient vornehmlich der Wählertäuschung.

Alle Klimakonferenzen sind ergebnislos geblieben. Die Tatsache, dass von Jahr zu Jahr schlimmere Wetterextreme größere Schäden anrichten, und die Erkenntnis, dass die Klimaverschlechterungen über Jahrhunderte hinweg nicht mehr rückgängig gemacht werden können, interessiert anscheinend nicht. Die aufsteigende Gefahr von Kriegen um die letzten fossilen Ressourcen wird negiert [1].

Die Energiewirtschaft und die von ihr beratenen Politiker verhalten sich so, als hätten wir noch alle Zeit der Welt, auch die letzten fossilen Ressourcen zu suchen, zu fördern und zu verbrennen [2] bevor wir irgendwann mit Solar- und Windenergie Ernst machen. Die in den vergangenen Jahren mit dem Geld der Stromverbraucher aufgebauten Hersteller- und Installationsbetriebe haben unter Beweis gestellt, wie schnell die Energiewende wirklich umgesetzt werden kann. Ein großer Teil wird aber nun mit den rigiden Kürzungen im EEG in die Insolvenz getrieben; die gesammelten Erfahrungen und die Investitionen in Produktionsanlagen, Montagefahrzeuge und -werkzeuge gehen dabei verloren.

Wie die von der Energiewirtschaft beratene Bundesregierung der Öffentlichkeit diese verantwortungslosen Entscheidungen plausibel zu machen versucht, ist an Verlogenheit kaum noch zu überbieten. Man redet der Bevölkerung ein, es müssten Tausende von Kilometern Höchstspannungs-Überlandleitungen für die Windenergie gelegt werden und man macht ihr Angst vor den Kosten der Solarenergie, indem man nur die Kosten, aberkeinesfalls den Nutzen zusammenzählt. Man verschweigt, dass Solarstrom infolge der Massenproduktion bereits billiger ist als der Strom aus den von der Bundesregierung vorgezogenen Offshore-Windparks. Man vergleicht sinnvolleZukunfts-INVESTITIONEN in Solar- und Windenergie mit kurzfristigenKONSUM-Kosten bei der Verbrennung von Kohle und Erdöl. Und man berücksichtigt die Umweltschäden nicht. Den unvermeidlich bevorstehenden Preisanstieg wegen Verknappung von Kohle, Erdöl und Erdgas verschweigt man. Die Gewinnmitnahmen der konventionellen Stromversorger lässt man unerwähnt. Man wälzt die Bezahlung der neuen Anlagen von den Stromgroßverbrauchern auf die privaten Endkunden ab. Man schiebt die Verantwortung für den Strompreisanstieg den Erneuerbaren Energien in die Schuhe und begründet die Ablehnung der Erneuerbaren mit der Sorge um die sozial benachteiligten Stromkunden, deren soziales Abgleiten ansonsten aber gleichgültig hingenommen wird.

Die Berechnungen stimmen vorne und hinten nicht, aber sie werden von den Medien gerne aufgegriffen, denn sie machen Angst. Tragischer Weise haben sie auch viele Unterstützer der Erneuerbaren Energien beeindruckt.
Besonders die Neidkampagne gegen die "reichen Zahnärzte", die sich angeblich auf Kosten der Hartz IV-Empfänger teure Solaranlagen leisten, kam bei vielen gut an und wurde ungeprüft, aber mit leidenschaftlicher Empörung übernommen.

Wie haben die im Bundestag vertretenen Parteien reagiert?

Im Regierungslager wurden quasi im Gleichschritt mit der Regierung die Ängste gezielt weiter geschürt. Die SPD im Bund lässt immer noch eine klare Position zur Energiewende vermissen, wohl weil sie traditionell in enger Beziehung zur fossilen Stromwirtschaft steht, wenn auch in einigen SPD-regierten Bundesländern (z.B. Rheinland-Pfalz) durchaus richtige Zielsetzungen erkennbar sind.

Die Grünen und die Linkspartei reagierten völlig unterschiedlich.

Die Linkspartei identifizierte den aufkommenden Konflikt nicht als Konflikt zwischen vermögenden "Zahnärzten" und armen Hartz-IV-Empfängern, sondern als grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen der Energiewirtschaft mit ihren Großprojekten und der Solarenergie als Energietechnik von Einzelpersonen. Sie nahm Partei für die demokratiefreundlichere Technik und forderte, es solle die "Vergütung am Ziel des schnellstmöglichen Ausbaus ausgerichtet" werden. http://www.linksfraktion.de/themen/erneuerbare-energien/
Diese Position entspricht weitgehend der Position des Solarenergie-Fördervereins und anderer Umweltorganisationen, z.B. EUROSOLAR [3].
Der Antrag der Linksfraktion vom 06. 03. 2012 mit 9 Vorschlägen, die den solaren Ausbau beschleunigen und die Einbeziehung der Speicher-Markteinführung in das EEG erreichen sollten, trägt die Überschrift "Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter" [4].

Bei den Grünen setzte sich offensichtlich die Überzeugung durch, man sei der Neidkampagne der Massenmedien argumentativ nicht gewachsen und man solle deshalb lieber das Wachstum der Solarenergie bremsen, um ihren guten Ruf nicht zu gefährden [5]. Sie entwickelten das Instrument des atmenden Deckels, das von allen Fraktionen des Bundestages mit Ausnahme der Linken übernommen wurde. Die Grünen forderten [6] eine Verminderung des jährlichen Wachstums mit Hilfe des atmenden Deckels von 7,5 GW auf 5 GW (während die Regierungskoalition jedoch weit drastischere Kürzungen durchsetzte).

Dem "atmenden Deckel" liegt die Überlegung zu Grunde, man könne die Energiewende auch billiger bekommen, wenn man nur die Gewinne der Akteure sorgfältig berechnen und auf ein verträgliches Maß zurückschneiden würde [6]. Wenn jedes kommende Jahr mehr Solaranlagen als vorausgeplant gebaut würden, dann sei die Einspeisevergütung eben zu hoch gewesen und müsse abgesenkt werden.

Mit der Einführung des "atmenden Deckels" in das EEG 2009 wurde das bewährte Prinzip der langfristig fest vorgegebenen Einspeisevergütungen mit festgelegter jährlichen Degression verlassen und ersetzt durch eine Mengenvorgabe, einen sogenannten Zubaukorridor (Zubauquote mit unterer und oberer Grenze). Dass sie damit anstelle des bisherigen Systems fester Vergütungen ein Quotensystem einführten, war den Erfindern des atmenden Deckels möglicherweise nicht einmal bewusst.

In der Öffentlichkeit ist vielfach der verhängnisvolle Eindruck entstanden, dass das im Jahr 2010 und 2011 erreichte Ausbautempo der Photovoltaik (7,4 bzw 7,5 GW) zu hoch gewesen sei, weil "sogar die Grünen" eine Drosselung des Ausbautempos auf 3 GW später auf 5 GW [7] gefordert und die Einführung eines atmenden Deckels vorgeschlagen haben. Dieses von den Grünen geforderte geringere Ausbautempo sei das Höchstmögliche. So die Meinung vieler Anhänger der Grünen und auch anderer Parteien.

Diese Fehleinschätzung behindert entscheidend den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wenn es uns nicht gelingt, sie als Fehleinschätzung darzustellen, dann wird die Solarenergie auf unabsehbare Zeit nur eine Nischenfunktion ausfüllen.

Bei Anerkennung aller Verdienste der Grünen um die Energiewende sehen wir uns deshalb gezwungen, immer wieder die Abschaffung des atmenden Deckels zu fordern, weil
- der atmende Deckel keine Kosten einspart,
- viele Investitionen zu Fehlinvestitionen macht,
- Arbeitsplätze zerstört,
- das Vertrauen der Investoren zerstört
- und damit letztlich den Ausbau der Solarenergie ausbremst.


Aus dem gleichen Grund bedauern wir, dass die wichtigste noch fehlende Säule für den vollständigen Umstieg auf Erneuerbare Energien weiterhin beharrlich weggelassen wird: Die Markteinführung der Stromspeicherung!
Diese wird inzwischen nicht einmal mehr erwähnt. Man fürchtet vermutlich den Hinweis auf die Kosten der Speicherung.

Dazu unsere Stellungnahme: Natürlich kostet die Stromspeicherung Geld, aber ohne Stromspeicherung würde der Umstieg auf Erneuerbare Energien Stückwerk bleiben. Es würde die Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Wirtschaft erheblich beeinträchtigen, wenn die Erneuerbaren Energien nicht bedarfsgerecht, sondern nur bei ausreichend Sonnenschein oder Wind angeboten werden können. Deshalb ist ein ausgewogenes System von
dezentralen Speichern und ein strategischer Vorrat an gespeicherter Sonnen- und Windenergie unverzichtbar.

Zusammenfassung:

Nach wie vor ist das Fortschreiten des Klimawandels die wohl größte Gefährdung der Menschheit. Maßnahmen, ihn zu stoppen oder wenigstens abzumildern müssen deshalb mit höchster Priorität durchgeführt werden.
Der Umstieg auf die Erneuerbaren Energien muss daher so rasch wie möglich erfolgen. Wer sich an der Forderung "so rasch wie möglich" wegen ihrer scheinbaren Unbestimmtheit stört, sei daran erinnert, dass es
angesichts großer Gefahren manchmal notwendig wird, wichtige Dinge so rasch wie möglich zu erledigen. Ein Beispiel dafür ist die Fahrt zu einem Notarzt-Einsatz. Man kann dem Fahrer nicht vorschreiben, er solle
stets mit 80 km/h fahren, sondern man muss an ihn appellieren, "so schnell wie möglich" zu fahren.

Diese Einsicht in die Öffentlichkeit zu tragen und von der Politik beharrlich die notwendigen Entscheidungen zu fordern, sehen wir als unsere wichtigste Aufgabe im kommenden Jahr an.

Quellen und Erläuterungen

[ 1] Jüngstes Beispiel: Beim Streit zwischen Japan, China und Taiwan um eine unbewohnte Inselgruppe im Nordchinesischen Meer geht es letztlich um vermutete Erdgas- oder Ölvorkommen.


[ 2] In diesem Zusammenhang wird sogar über Fracking nachgedacht, ein Verfahren, durch Einleitung eines Chemiecocktails unter hohem Druck in den Untergrund Gesteinsrisse zu erzeugen und damit Erdgasblasen aus dem Boden zu pressen.


[ 3] EUROSOLAR Eckpunkte: "Die Beschleunigung der dezentralen Energiewende spart Kosten und ist der wirtschaftlich vernünftigste Weg." URL: http://www.eurosolar.de/de/index.php?option=com_content&task=view&id=1673&Itemid=379. Im gegebenen Zusammenhang ist besonders wichtig die dort gestellte Forderung: Festhalten an den Grundprinzipien des EEG: feste
Vergütungssätze, Einspeisevorrang und Planungssicherheit für alle im Inland verfügbaren Erneuerbaren Energien.


[ 4] "Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter" Bundestagsdrucksache 17/8892, Antrag der Fraktion DIE LINKE. Vollständiger Text mit insgesamt 9 konkreten Forderungen. Die Forderungen 1, 5 und 8 lauten:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Vorschlag für zusätzliche außerplanmäßige Kürzungen bei der Einspeisevergütung für Photovoltaikanlagen zurückzuziehen;
5. einen Technologiebonus für den Aufbau von Stromspeichern im EEG für jede Form der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (Speicherbonus) einzuführen;
8. die Entlastung der energieintensiven Industrie von der Übernahme der EEG- Umlage deutlich zu begrenzen.
Ende des Auszugs. Dieser Antrag wurde durch Schwarz-Gelb abgelehnt. SPD und Grüne enthielten sich.


[ 5] In seinem Infobrief 6/11 schreibt Hans-Josef Fell (energiepolitischer Sprecher der Grünen)
http://www.hans-josef-fell.de/content/index.php?option=com_content&view=article&id=328:infobrief-0611&catid=22:infobriefe&Itemid=72 "(...) Sowohl die Spanier, Tschechen, als auch die Italiener haben
erfolgreich das deutsche EEG kopiert. Mehrfach habe ich selbst die Gelegenheit gehabt mit Regierungsvertretern und Abgeordneten über die besten Gesetzesvorlagen zu reden. In Tschechien habe ich früh davor gewarnt, zu hohe Vergütungen zu machen. In Spanien habe ich gemahnt, die zu hohen Vergütungen zu senken und auch in Italien, dass zu hohe Vergütungen zu einer ungesunden Entwicklung führen, die der Photovoltaik ab einem bestimmten Punkt mehr schaden als helfen. Tschechien und Spanien zeigen auf, dass es nicht nur genügt ein EEG zu machen, sondern die Balance zwischen rentablen Vergütungssätzen und der Vermeidung erhöhter Gewinne ein wesentlicher Punkt für einen stabilen Markt ist.(...)"

[ 6] An Hunderten von Beispielen fertiggestellter Solaranlagen wurde versucht, die erzielbare Rendite zu bestimmen. Allerdings wurden und werden bei den Bewertungen der erzielbaren Renditen die zunehmende Menge fehlgeschlagener Investitionsversuche und die dabei "in den Sand gesetzten" Ausgaben, nicht einbezogen, obwohl bei der Beurteilung von Geldanlagen das Risiko des Scheiterns ein wichtiges Kriterium ist.

[ 7] Am 9.6.2011 teilte Hans-Josef Fell (Grüne) in einem Rundbrief mit der Überschrift 'Union stellt Ausbau Erneuerbarer Energien in Frage' mit: "Wir Grüne haben diese Woche hingegen beschlossen, dass das
Ausbauziel für die Photovoltaik von jährlich 3000 auf 5000 MW angehoben werden soll. Eine Deckelung wird von uns strikt abgelehnt."