Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von www.ippnw.de

Nach Auffassung des AK Atomenergie der IPPNW ist es wünschenswert, wenn Länder des Südens Solarkraftwerke für ihren eigenen Energiebedarf errichten. Es sollte die souveräne Entscheidung der Bevölkerungen dieser Länder sein, ob sie einen dezentralen oder einen zentralistischen Weg beschreiten und welche Energie-Technologien sie verwenden wollen.
Für die Energieversorgung Deutschlands hält der AK Atomenergie den Import von Solarstrom aus der Sahara bzw. aus Spanien und von Strom aus fernen Off-Shore-Windparks wie auch die Errichtung eines Super-Verbundnetzes für kontraproduktiv, ökonomisch bedenklich und hinderlich für das vordringlich erforderliche Umsteuern zu einer autonomen Energieversorgung auf Grundlage von erneuerbaren Energien.

Ziel muss der weitere dezentrale Ausbau der erneuerbaren Energien in der Hand von Bürgern und Kommunen bis hin zu einer 100%-Versorgung sein ("Energieautonomie"). Dem Versuch, eine Zentralisierung der erneuerbaren Energiewirtschaft im Interesse der großen Energiekonzerne politisch durchzusetzen, sollte sich die IPPNW gemeinsam mit anderen Verbänden energisch widersetzen.

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung Deutschlands liegt derzeit bereits bei über 18 Prozent. In Sachsen-Anhalt sind es bereits über 35 Prozent. Voraussichtlich wird in Deutschland schon bald mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Atomkraftwerken erzeugt. Abgesehen von dem geringen Anteil großer Wasserkraftwerke handelt es sich weit überwiegend um dezentrale Energieanlagen, die überwiegend von Bürgern, Bürgergemeinschaften, Landwirten und Kommunen betrieben werden.

Bei einer konsequenten Fortsetzung dieses Weges könnte die Stromerzeugung Deutschlands schrittweise von den großen Energiekonzernen zu Bürgern und Kommunen verlagert werden. Das große alte Ziel der Anti-Atom- und Energiewende-Bewegung einer "Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energiewirtschaft" rückt derzeit in greifbare Nähe und wird zum Teil auch im politischen Raum offensiv gefordert.

In der Energiewirtschaft und in der Politik gibt es vor diesem Hintergrund seit einiger Zeit starke Bestrebungen, den überaus erfolgreichen dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu behindern und das Geschäft mit den erneuerbaren Energien in der Hand der großen Energiekonzerne zu zentralisieren und zu konzentrieren. Schon seit Rot-grün versucht die Bundesregierung daher, den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien auf Off-Shore-Windparks und auf große Solarkraftwerke in Spanien und in der Sahara zu konzentrieren. Ein gewaltiges Stromverbundnetz – von der Anti-Atom-Bewegung stets als zentrales Machtmittel der Großkonzerne in ihrem Kampf gegen die kommunale Energiewirtschaft kritisiert – soll den Wüstenstrom aus Afrika und Spanien nach Mitteleuropa und den Off-Shore-Windstrom von der Küste nach Süddeutschland leiten. Unter der Bezeichnung "TREC" wird dieses Programm in Zusammenarbeit mit der Energiewirtschaft und einschlägigen Großbanken, beispielsweise auch von den Grünen, intensiv propagiert.

Parallel zu diesen Bemühungen versuchte die CDU-Führung im Mai 2008, die finanzielle Förderung für den weiteren dezentralen Ausbau der Photovoltaik ganz drastisch zu senken, was katastrophale Folgen für die Energiewende gehabt hätte. Der Versuch ist glücklicherweise an der SPD und der Ost-CDU, die die Photovoltaik zu Recht als wichtigen regionalen Wirtschaftsfaktor betrachtet, gescheitert.

Die Umwelt- und die globalisierungskritische Bewegung haben für diese aktuelle Auseinandersetzung zwischen einem dezentralen und einem zentralisierten Entwicklungspfad noch kein nennenswertes Problembewusstsein entwickelt. Durch die Nähe zu den Grünen propagieren einzelne Institutionen – vermutlich wenig reflektiert – für Strom aus der Wüste, für Off-Shore-Windkraft wie auch für Erdgas-Kraftwerke. Erhebliche Teile der sozialen Bewegungen haben scheinbar noch gar nicht wahrgenommen, welche Bedeutung die dezentralen erneuerbaren Energien für die Stromversorgung Deutschlands längst haben und wie schnell es zu einer Energieautonomie mit weitreichenden positiven Implikationen für die Gesellschaft kommen kann.

Es ist absolut unrealistisch, die Hälfte des gesamten Strombedarfs Europas durch relativ wenige Wüstenkraftwerke und Off-Shore-Windparks decken zu wollen, wie TREC vorschlägt. Erstens gibt es derzeit (noch) erhebliche technische Schwierigkeiten (u.a. Sandstürme in der Sahara, Wartung der echten Off-Shore-Windparks fernab der Küste). Zweitens sind die Kosten u.a. wegen der ungelösten technischen Probleme nicht abschätzbar. Drittens ist völlig offen, zu welchem Preis der Wüstenstrom an die Bevölkerung verkauft werden wird, wenn diese erst einmal abhängig ist vom Super-Netz in der Hand von zwei oder drei europäischen Mega-Energiekonzernen. Viertens sind bei einer Abhängigkeit von einer oder zwei großen Stromtrassen aus Afrika härteste Konflikte bis hin zu Kriegen zwischen den beteiligten Akteuren vorprogrammiert.

Wir haben leidvolle Erfahrungen mit Kostenexplosion, Abhängigkeiten, Erpressbarkeit und Kriegen um Öl gemacht. Wir wollen neben OPEC und Gazprom nicht auch noch selbst den nächsten Energieriesen und Monopolisten aus der Taufe heben, der Europa dann jederzeit über Nacht "den Strom abdrehen" kann.

Jedenfalls wären wir entweder von nordafrikanischen Staaten mit bekannter Instabilität abhängig oder müssten die Energiefelder von Anfang an dort militärisch sichern, was sich zwar mit der europäischen Verteidigungsdoktrin, aber nicht mit dem Völkerrecht vereinbaren ließe. Selbst wenn die Wüstenstaaten auf ihre Souveränität verzichten würden, wären wir weiterhin erpressbar von den zwei oder drei Mega-Energiekonzernen, unter deren Regie die Stromproduktion stattfinden würde. Sie würden ihre Macht genau so ausspielen und uns die Preise diktieren, wie sie es immer getan haben.

Statt immer das in der Ferne liegende zu favorisieren, ist die konkrete Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Energieautonomie und dezentrale Energieversorgung hier vor Ort weiter zu fördern und zum Erfolg zu führen. Die Strom- und Energieversorgung aus den unterschiedlichen erneuerbaren Energien ist erprobt, wächst rasant und bringt Arbeitsplätze. Hier gehören die Gelder investiert statt in Fata morgana-Großprojekte in der Wüste.